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18.03.2018
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Leise Vielfalt

Melodica Festival

Köln, Weltempfänger
18.03.2018

Paper Beat Scissors
Nur um es deutlich zu sagen: Der Kölner Ableger der internationalen Melodica Festival-Reihe, die dieses Jahr zum sechsten Mal aufgelegt wurde, ist grundsätzlich eine mehrtägige Veranstaltung. Und auch wenn es keinen vernünftigen Grund dafür gibt, muss sich die Berichterstattung hier leider auf den letzten Tag des Festivals beschränken. Der Vollständigkeit halber sei aber gesagt, dass das Event mit einer "Warm Up Night" im nahe gelegenen RubinRot am 16.03. begonnen hatte, am 17.03. dann im Weltempfänger zu voller Grandezza auflief und dort am 18.03. zum krönenden Abschluss gelangte.

Nachdem - fast noch zu nachtschlafender Zeit - um 15:30 Hagen Siems alias Gregor McEwan den Tag mit einer für diese Verhältnisse fast rockigen Note eröffnet hatte, erklärte die zur Zeit in Berlin lebende New Yorkerin Kendy Gable ("Kendy wie Wendy und Gable wie Clark" wie sie es definierte) noch ein Mal das Prinzip des Melodica Festivals. Begonnen habe die Sache in Australien, erklärte Kendy, die in New York den dortigen Ableger des Festivals kuratiert. In Kanada habe sie dann obendrein den kanadischen Songwriter David Celia kennengelernt, der zufällig an diesem Tag zusammen mit seiner Partnerin, der Songwriterin Marla ebenfalls auf dem Line-Up stand, was für den kommunikativen Charakter des Festivals spreche. Mittlerweile gibt es Ableger z.B. in Berlin, Wuppertal, Trier, Paris, Groningen, Wien, Aarhus, Nottingham, Reykjavik und eben auch New York. Das Konzept des Festivals ist dabei recht einfach: Es geht um die Repräsentation aktueller Strömungen und Acts, die in der Lage sind, ihre Musik auf akustischer Basis zu präsentieren. Ursprünglich ausgelegt auf den lokalen Bezug, ist die Sache - zumindest in Köln - aber schon lange ein Tummelplatz von Songwritern aus aller Herren Länder geworden. Früher hätte man zu so etwas einfach Folkfestival gesagt - aber aufgrund der Komplexität der heutigen Musikszene träfe das nicht mehr unbedingt den Nagel auf den Kopf. Wie es der Zufall wollte, war die Sache am 18. im Weltempfänger besonders eklektisch ausgerichtet.

Gregor McEwan (der Künstlername entstand dem Vernehmen nach, als Hagen Siems eine Star Wars-Werbung von Ewan McGregor auf Pro 7 gesehen hatte) zum Beispiel ist jemand, der auf seiner aktuellen LP eher einen druckvollen Bandsound bevorzugt. Im Solo-Setting arbeitet er deshalb etwa mit einer Sammlung von Effektgeräten, die ihm auch im Akustik-Setting einen fülligen Sound ermöglichen. Musikalisch orientiert sich Gregor McEwan am klassischen Folkpop - ohne dabei allerdings spezifische Acts zu emulieren. Der Mann hat eine eigene Vision und erzählt in seinen persönlich gefärbten Songs aus seinem Künstlerleben - wobei ihm durchaus auch der eine oder andere potentielle Hit gelingt. Aufgrund dessen, dass auf der einen Seite viele Kids im Publikum waren und andererseits die Fans bemerkenswert aufmerksam zuhörten ("Ihr hört ja sogar der Stille zu", wunderte sich später etwa Hanna von Bergen) nutzte Gregor - wie auch manch anderer - die Gelegenheit zu Unplugged- und Mitsing-Momenten. Wes Geistes Kind die Leute im Weltempfänger übrigens sind, kam zu Tage als Gregor fragte, wer im Publikum denn einen Instagram-Account habe und dann gerade mal zwei oder drei Leute aufzeigten.

Kendy Gable war van diesem Tag vielleicht diejenige, die dem Ideal des Folk-Artisten am nächsten kam. Mit einer glasklaren, kräftigen Gesangsstimme präsentierte sie - eingerahmt von zwei brillanten A-Cappella-Songs - eine Sammlung reinrassiger Folksongs, die sich aber erfreulich von Klischees und Genre-Routinen fernhalten. So verzichtet Kendy auf Country-, Americana- oder Folklore-Konventionen, sondern suchte sich vielmehr - durchaus mit Hochachtung vor den Altvorderen - ihren eigenen Weg, der zuweilen einfach in der Suche nach dem weniger begangenen musikalischen Pfad besteht; auch wenn sie sich inhaltlich durchaus an traditionellen Formen orientiert.

Bevor es im Folgenden mit dem Auftritt von Marla und David Celia weitergehen sollte, gab es eine Impromptu-Session im Auditorium, bei der Impresario und Lokalmatador Stefan Honig mit den am Tag zuvor aufgetretenen Jungs von St. Beaufort, die früher als geplant abreisen mussten, seinen vom Publikum begeistert mitgesungenen Song "Golden Circle" mit einer außerordentlichen Inbrunst zum Besten gab. Wie viele andere Acts an diesem Wochenende auch, gehören Marla und David Celia zu den Stammgästen im Weltempfänger - hatten zuvor aber noch nicht auf dem Festival gespielt. Bei ihrem letzten Auftritt dortselbst war die Aufgabenteilung noch eindeutig gewesen: Marla war mit ihrem Debüt-Album auf Tour und hatte David als Support Act und zweiten Mann an der Gitarre mitgenommen. Inzwischen habe man sich aber ineinander verknallt - so Marla - und werfe sich nun die Ping Pong-Bälle (bzw. die Songs) gegenseitig zu. Auch die stilistische Kategorisierung hat sich relativiert. War David bislang für virtuos inszenierte, lebensbejahende Gute-Laune-Songs und Marla für nachdenkliche, melancholische Balladen zuständug, so hat sich auch das zwischenzeitlich geändert - besonders dann, wenn das Paar gemeinsam geschriebene Songs im Duett vorträgt. Da Marla zur Zeit einfach zu glücklich ist, um traurige Songs zu schreiben, hat sich - zumindest bei diesen Kollaborationen - dann auch die Stimmungslage zumindest neutralisiert. Dennoch ist ein neuen Album bereits im Kasten - wartet aber noch auf die geschäftliche Abwicklung, die für eine Veröffentlichung halt nun mal nötig ist.

Die Norwegerin Hanna von Bergen stammt natürlich nicht aus Bergen (das wäre ja auch zu einfach), sondern aus Oslo. Auch sie kam bei ihren Songs ganz ohne (Skan-)Americana und Folk-Referenzen aus. Und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Sie spielte - bis auf eine Ausnahme - ihre Stücke nicht auf einer akustischen Gitarre, sondern auf zwei sehr großen Kalimba-Abarten. Die kleinere davon - die sie dem Publikum stehend präsentierte, während sie ansonsten ihrer Tätigkeit im Sitzen nachgeht - stammt aus Gambia und die andere - noch größere - aus den USA. "Dort muss natürlich alles gigantisch sein", erklärte sie dieses Monstrum. Hanahs Songs drehen sich um ihr wohl recht kompliziertes Liebesleben, das sie mit einem gewissen naiven Charme und einem zuweilen absurden Humor in eher ungelenk formulierte Songs mit Kinderliedcharakter seziert. Das war dann zwar wegen des Kalimba-Einsatzes recht ungewöhnlich, am Ende aber auch ein wenig eintönig. "Auf meinen CDs habe ich aber noch Bass und Schlagzeug dabei", beeilte sie sich dann demzufolge auch zu versichern.

Auch Tim Crabtree gehört zu den Weltempfänger-Veteranen, die bislang noch nicht auf dem Festival aufgetreten waren. Unter seinem Projektnamen Paper Beat Scissors arbeitet der Exil-Brite in seiner Wahlheimat Kanada des Öfteren mit anderen zusammen - gerne auch mit klassischen Musikern, mit denen zusammen er seine Songs zuweilen orchestral aufbereitet. Diese mussten natürlich in Köln außen vor bleiben - dennoch haben Tims Songs zuweilen Qualitäten, die den Anspruch an einen Folksong auf ein ganz anderes Level hieven. Tims Vorlieben liegen dabei vor allen Dingen im meditativen Bereich, denn seine Songs bewegen sich jenseits klassischer Strophe-Refrain-Konventionen auf einen eher linearen Level - wobei er vorzugsweise mit einer fast sirenenhaften, hohen Tenorstimme singt, was seinem Material zuweilen eine fast liturgische Note verleiht. Umso wichtiger, dass er im Solo-Setting das Programm mit neuen - in diesem Sinne konventionelleren - Songs auflockerte und auch eine Cover-Version von Tamara Lindeman alias Weather Station mit einbaute. Auch hatte Tim das Format seiner auf Konserve gerne mal überlangen Songs gut im Griff, so dass am Ende überraschend ein recht kurzweiliges Set dabei heraus kam.

Einen dem Anlass angemessenen offiziellen Schlusspunkt des Festivals setzte dann Thijs Kuijken aus Utrecht - der besser unter seinem Projektnamen I Am Oak bekannt ist. Normalerweise arbeitet auch Thijs im Kollektiv zusammen mit anderen Musikanten - er hatte aber keine Mühe, das Publikum mit seinen melancholischen, ernsthaften und nachdenklichen Songs im Griff zu halten. Auch Thijs hält sich dabei erfreulicherweise von den naheliegenden, klassischen Americana-Klischees fern - hat aber dennoch eine erkennbare Vorliebe für solche klassische Songwriter vom nordamerikanischen Kontinent, die sich - wie er - ein wenig links der Mitte orientieren. Neil Young oder Elliott Smith kommen hier als Bezugspunkte in den Sinn. Thijs ließ sich auch dazu hinreißen, das hauseigene Piano warmzuspielen, das bis Dato nur Staffage gewesen war. Als Fazit lässt sich sagen, dass das Melodica Festival auf eindrucksvolle Weise aufzeigt, was mit einer akustischen Darbietung jenseits aller Lagerfeuer- und Liedermacher-Assoziationen noch so alles machen lässt.

Surfempfehlung:
www.facebook.com/MelodicaFestivalCologne
melodicafestival.org

Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-
 

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