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Konzert-Bericht
 
Kirchenschändung

Ani DiFranco
Hamell On Trial

Köln, Kulturkirche
19.10.2007

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Ani DiFranco
Zu einer künftigen Kirchenschändung hatten sich Ani DiFranco und Band sowie Support-Act Hamell On Trial am 19.10.07 in der Kulturkirche Nippes eingefunden. So viel geflucht und gepöbelt wurde in dem altehrwürdigen Sakralbau jedenfalls vermutlich bislang noch nicht: DiFranco-Spezi und Labelkollege Hamell legte es wohl darauf an, alle diesbezüglichen Rekorde im Alleingang einzustellen. Der als "Ein-Mann-Punk-Band" bekannte Wanderprediger von eigenen Gnaden erzählte nicht nur schweinische Kirchenwitze, sondern hatte seine Songtexte mit Fäkalausdrücken nur so gespickt, die dann vom Publikum natürlich dankbar aufgegriffen wurden. "Nun ja", meinte er dann zwischendurch halbwegs entschuldigend, "wie ihr merkt, sind meine Shows nicht für jedermann geeignet."
Die Fans von Ani hatten freilich kein Problem mit politisch unkorrekten Performances dieser Art. Musikalisch hatte Hamell irgendwann festgestellt, dass er a) als Solo-Künstler wesentlich mehr Erfolg hatte als mit Band und dass sich b) mit einer akustischen Gitarre alleine mehr Krach machen lässt als mit einer elektrischen (wegen der sonoren Bass-Frequenzen). Seither spielt er eine Art hochfrequenten, schmutzigen Speed-Blues auf einer '37er Gibson Wandergitarre (für die er auch eigens ein Stück schrieb) und sprechsingt dazu seine - teils humorigen, teils geschmacklosen und teils bierensten - politisch-sozalkritischen Traktate. In Köln stieg er abschließend und Gitarre spielend natürlich auch auf die Kanzel, um der Gemeinde so richtig einzuheizen. Auch wenn das Ani-Publikum zweifelsohne alles und jeden bejubelt hätte, der von Ani die höheren Weihen empfangen hat - Hamell On Trial kam mit dieser Stand-Up-Comedy-Rock'n'Roll-Variante besonders gut an. Einen besseren Anheizer hätte sich die Göttin des Independent-Songwriting zweifelsohne nicht wünschen können.

Bevor es dann allerdings zum Auftritt von Ani kam - dieses Mal im Trio mit Bassist Todd Sickafoose und Drummerin Alison Miller - gab es das übliche Warten auf den richtigen Moment. Der sehr gewissenhafte Roadie nutzte jede der ca. 45 Minuten zwischen den Auftritten dazu, Anis unzählige Gitarren im Wechsel immer wieder zu stimmen. Schließlich war es aber doch so weit. Mit dem in diesem Zusammenhang ziemlich gut gewählten Opener "God's Country" stürzte sich das Trio ins Geschehen - mit einer Energie, als gelte es, z.B. den Preis als knackigste Newcomer-Band zu gewinnen (und nicht den 748967sten Auftritt zu absolvieren). Die ganze Show geriet im Folgenden zur groß angelegten Party - unter anderem auch deshalb, weil die aktuelle CD - vermutlich aufgrund einer Babypause - eine Best Of-Compilation ist und deshalb das übliche Abfeiern der neuesten Tracks einer interessanten Retrospektive weichen musste. Ani hatte uns ja in einem Interview einmal erklärt, dass sie zuweilen ganze CDs vergesse - einfach weil sie so viele Stücke schreibt. Also waren besonders die älteren Tracks - wie z.B. "Both Hands" vom Debüt auch immer eine Art musikalischer Entdeckungsreise. Insbesondere der Umstand, dass dieses Mal Drummerin Alison Miller dabei war, unterschied dann noch dieses Konzert vom letzten Besuch Anis in unseren Landen (damals war sie nur mit Todd unterwegs). Das groovte tierisch und ohne zusätzliche Effekte (von minimalen Keyboard-Einlagen Todds abgesehen) kamen alle Tracks ohne Umschweife auf den Punkt. Alison Miller erinnerte vom Stil her sehr an Andy Stochansky, der Ani Ende der 90er begleitete. Wie jener bearbeitete sie das Set mit Händen und Füßen - auch mal ohne Drumsticks - und hantierte mit zahlreichen Percussion-Instrumenten und Glöckchen, was das Ganze ungemein bereicherte. Todd Sickafoose bewies sich wieder einmal als der kongeniale Sidekick, der er nun mal ist, und überraschte bei zwei Gelegenheiten mit dem Einsatz eines Harmoniums, das - so Ani - man in der Sakristei "gefunden" habe. Ani selbst war glänzend aufgelegt und legte das Hauptgewicht auf die energischeren Nummern. So gab sie nur zwei Solo-Stücke - "2 Little Girls" und "Raincheck", bevor sie dann zur neuen Nummer mit Arbeitstitel "The Atom" die Band wieder hinzurief. "The Atom" ist dabei eine bittersüße Bestandsaufnahme über die Probleme, die das (typisch männliche) wissenschaftsorientierte Hantieren mit Dingen, die sich nicht kontrollieren lassen, mit sich bringt. Natürlich ließ sie es sich nicht nehmen, auf den hierzulande populären geplanten "Atomaustritt" einzugehen. Da ist Ani auf ihre Weise dann schon wieder sehr politisch korrekt.

Eine kleine Anekdote am Rande: Bei ihrem letzten Konzert in Köln meinte Ani noch, dass sie sich im Falle des Namens "Cologne" über die amerikanische "Bastardisierung der Sprache" freue, weil sie "Köln" nicht aussprechen könne. Dieses Mal schlug sie vor, dass alle Menschen die jeweils landestypische Sprechweise verwenden sollten. So entwickelt sich also auch Ani DiFranco noch weiter. In dem Zusammenhang: Ihren klassischer Fingerpicking-Akkord-Stil hat sie im Laufe der Jahre zu einer erstaunlichen Perfektion weiterentwickelt. Die Menge an spieltechnischen Details, Varianten und Nuancen, die sie beiläufig einfließen lässt, ist jedenfalls schon beeindruckend. Davon müssten auch die berichten können, die versuchen, diesen Stil zu kopieren (und für gewöhnlich daran scheitern - weil eben der harte Anschlag nicht alles ist). Zum Schluss gab es noch die Erkenntnis, dass der Song "Everest" ein Lied zum Thema Kirchgang sei (so Ani) und dass daraus im Laufe der Jahre so eine Art Reggae geworden ist. Ein Problem, das in den letzten Jahren zum Tragen gekommen war - dass nämlich die kreischenden Fans zuweilen lauter sind als Ani DiFranco selber -, hielt sich (vielleicht aufgrund des ehrwürdigen Amibientes) zum Glück in Grenzen; obwohl es natürlich gerade dieses Mal für alle wahren Fans besonders viel mitzusingen gab. Und natürlich wurde Ani am Ende, nach zwei Zugabenblöcken, dann natürlich doch wieder gebührend und frenetisch gefeiert.

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Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-

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