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Konzert-Bericht
 
Klingt immer noch dosig

Orange Blossom Special 14 - 2. Teil

Beverungen, Glitterhouse-Villa
22.05.2010/ 23.05.2010

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Orange Blossom Special 14
Ein langjähriger Begleiter des OBS ist der Sponsor Jack Wolfskin, der sich nicht nur in tätiger Nächstenliebe übt (es gibt jedes Jahr drei Zelte für musikhistorische Freaks mit obskuren Nischenkenntnissen zu gewinnen, die dieses Mal den im Schrein geehrten Vic Chesnutt gewidmet waren), sondern er ermöglicht auch immer wieder unwirtschaftliche Großtaten wie etwa die tourtechnische Kombination von Dirtmusic und Tamikrest.
Dirtmusic wurden bekanntermaßen auf der Bühne des OBS geboren. Vor dem Auftritt auf dem OBS 11 kannten sich Chris Eckman, Chris Brokaw und Hugo Race noch gar nicht richtig. So ähnlich klang dann auch das damalige Konzert. Im Laufe der Zeit raufte man sich nicht nur zu einer richtigen Band zusammen, sondern interagiert heute auf einem ganz entspannten, selbstverständlichen Level. Das Zusammentreffen mit der malinesischen Touareg-Band Tamikrest kam über einen gemeinsamen Auftritt zustande, der im Folgenden dazu führte, dass man die zweite Dirtmusic Scheibe "BKO" zusammen in Mali einspielte und Chris Eckman im Anschluss daran auch gleich ein ganzes Album mit Tamikrest produzierte. Insofern machte man sich gar nicht die Mühe, die Auftritte der beiden Acts zu trennen, sondern schickte nacheinander alle zusammen auf die Bühne. Um es kurz zu machen: Während Dirtmusic sich auf wenige eigene Stücke beschränkte, überließ man den Gästen aus Mali den Löwenanteil der Show (und der Lorbeeren).

Und da gab es dann einige Überraschungen: Da waren zunächst mal die malerischen Folklore-Outfits, die man so noch nicht in Beverungen gesehen hatte. Das machte ordentlich was her. Für eine afrikanische Band taten sich Tamikrest hingegen mit dem Rhythmus erstaunlich schwer. Während die Stücke eigentlich entspannt dahingroovten, erwiesen sich der Trommler und der Bassist als eher umständlich und hakelig. Und für eine malinesische Band hatten Tamikrest erstaunlich wenig Blues - dafür aber eine gute Prise Rock - im Gepäck. Insgesamt war der Auftritt dennoch sehr unterhaltsam - schon alleine des exotischen Flairs wegen, das auch nicht durch Nummern wie "All Tomorrows Parties" gebrochen wurde. Es war dies im Vergleich auch die längste OBS-Show bislang.

Was dann folgte, war ein klassischer Fall von professionellem Overkill. Die Crew der dänischen Pop-Band Kashmir hatte bereits am frühen Morgen damit begonnen, das OBS-Team zu nerven. "So eine große Produktion war auch mal für uns interessant", umschrieb Rembert das Ganze besänftigend. Das gewaltige Instrumentarium der Band war dann auch schon recht beeindruckend - wirkte aber auch übertrieben. Ebenso wie die Anordnung, den Bühnenbereich auch für das Personal abzusperren und das Mitschneiden zu verbieten (was bei einem Festival wie diesem ja schwierig durchzusetzen ist). Bei einem solchen Aufwand erwartet man dann natürlich so einiges. Nicht aber unbedingt angenehm zu konsumierenden Synthie-Pop mit New Wave-Einlagen, wie er hier geboten wurde. Wie die Simple Minds zu ihren besten Zeiten, versorgten Kashmir das (zu dem Zeitpunkt jüngere) Publikum mit rollenden Bassläufen, Sirenengesang und verfremdeten Gitarrenriffs - ganz so, als haben die 80er nie aufgehört. Da ein Großteil des Publikums vergeblich zum Fußball-Schauen abgewandert war und alle anderen ihren Spaß hatten, ging die Sache am Ende aber doch in Ordnung.

Der letzte Act des Abends, Kante, verblüffte dann mit einer Art Antithese zu Kashmir. "Nimm mal die Mitten raus", dirigierte Frontmann Peter Thiessen den Tontechniker, "aber nicht die Zwischentöne. Der Body muss noch erhalten bleiben." Nur um dann zu dem Schluss zu kommen: "Klingt immer noch dosig." Und dabei ging es nur um einen Monitor. Nun ja, Kante sind halt Perfektionisten. Auch intellektuell. Im Theater sei man tätig gewesen in der Schaffenspause, erklärte man. Wer denn Goethes "Wilhelm Meisters Lehrjahre" geschrieben habe, wollte man vom Publikum abfragen und dass der gute Mensch von Sezuan nicht nur von Brecht, sondern auch ganz nett sei, ließ man einfließen. Mal ehrlich: Damit beeindruckt man ein von proletarischen Tugenden geprägtes Publikum wie das vom OBS nicht wirklich. Man düpiert es eher. Davon aber mal abgesehen, funktionierten Kante aus dem Bauch raus total abführend: Die Jungs rockten tatsächlich, was das Zeug hält, machten Druck (juhu!) und spielten die alten Hits wie "Zombi" in wirklich tollen, knackigen Versionen. Das ganze Theater ließ man da gerne außer Acht - auch weil das neue (Theater)-Material musikalisch recht spannend erschien. Der abschließende Gig von Boy Division im Stadtkrug war dann dem Vernehmen nach eine rezeptorische Herausforderung - oder "Große Kunst" wie Rembert es zusammen fasste.

Der letzte Festival-Tag begann dann wieder mit Druck. Aber von der sympathischen Sorte. The Fog Joggers kommen aus Krefeld und brauchen keine Schuhe zum Glücklich-Sein. Die Band hatte das Publikum auch ohne Fußbekleidung nahezu umgehend im Griff. Sänger Jan freute sich, dass um die Mittagszeit praktisch schon alle da waren und diese dankten es ihm dann auch gleich durch Mitklatschen und -Singen. Der Power-Pop der Herren war dann auch genau das Richtige, die Stimmung anzuheizen.

Das war insofern notwendig, als dass der nächste Act dem Publikum dann wieder alles abverlangte. "Mehrfachbesteiger" Michael J. Sheehy und Bruder Patrick haben mit Saint Silas Intercession ein neues Projekt am Start, für das andere ihre ganze künstlerische Integrität in die Waagschale werfen müssten. Die Jungs machen diese Art von brutalem Power-Blues-Punk-Krach-Rock aber scheinbar bloß so zum Spaß. Nun, wirklich witzig war das insbesondere für die Trommelfelle nicht. Aber noch konnte ja niemand ahnen, dass das durch die Godfathers noch mal wesentlich überboten werden würde und beeindruckend ist solch geballter musikalischer Nihilismus dann natürlich auch wieder irgendwie.

Gemma Ray wartete derweil bereits am Bühnenrand, denn sie musste mit den Sheehy-Musikern noch für ihren anstehenden Auftritt üben, während sich Golden Kanine aus Schweden bereit machten, die Bühne erstmals zu besteigen. Im Vorfeld des Festivals schon eifrig als Geheimtip propagiert, wurde das Quintett mit fehlendem sechsten Mann diesem Anspruch mühelos gerecht. Nicht zuletzt deswegen, weil sich die Jungs um Frontmann Linus freuten wie die Schneekönige und ihre Musik mit echter, gelebter Begeisterung vortrugen. Es gab angeschrägten Indie-Folkpop vom Feinsten und sogar eine echte Neuerung: Synchron gespieltes Banjo und Posaune nämlich. Da muss man auch erst mal drauf kommen! Bands wie diese retten eigentlich jedes OBS in die Gewinnzone.

Was dabei noch unterstützend geholfen hätte, wäre eine vernünftige Frauenquote gewesen. Doch Gemma Ray war die einzige Dame, die als solche hauptberuflich auf der Bühne stand. Rembert entschuldigte diesen Umstand damit, dass er die - seiner Meinung nach - fehlenden Damen doch nicht schnitzen könne. Was natürlich nur eine Ausrede war. Denn zum einen hätte er sie ja schnitzen lassen können (dafür zeigten sich auch gleich Praktikanten erbötig) und zum anderen ist das sowieso Quatsch, weil es mindestens so viele musizierende Damen wie barfüßige Nachwuchsbands, die Druck machen gibt. Also: Das nächste Mal möchten wir da zumindest originellere Erklärungen bekommen! Gemma bekam von dieser Problematik nichts mit. Auch deswegen nicht, weil sie zunächst bemüht war, ihr umfangreiches Effekt-Kabinett in den Griff zu bekommen. Vergeblich: Beim Vortrag funktionierte dies alles nicht so, wie es sollte. (Was aber nicht ihre Schuld gewesen sei, wie sie sich nach dem Konzert bemühte, festzustellen.) Zum Glück konnte Gemma dann aber noch auf die Band zurückgreifen, bei der auch Michael J. Sheehy als Keyboarder und Glockenspieler tätig war. Gemma spielte vornehmlich Songs ihrer beiden bisherigen Alben, jedoch auch einige der herrlich verkorksten Cover-Versionen den neuen Werkes "It's A Shame About Gemma Ray". So etwa "Ghost On The Highway" vom Gun Club, das thematisch ja ganz gut passte. Ab einem gewissen Zeitpunkt waren es dann allerdings Gemmas Messer, mit dem sie die Saiten ihrer antiken Hagström-Gitarre bearbeitete und die am Bühnenrand übereinandergestapelte Bühnencrew, die versuchte, die richtigen Anschlüsse für Gemmas Sampler und Effektgeräte vielleicht doch noch zu finden, die die Aufmerksamkeit auf sich zogen. Schließlich wurde es Gemma zu bunt und sie legte sich zu den Herren auf die Bühne, um so direkt handgreiflich zu werden. Alles in allem war das - nicht zuletzt aufgrund der technischen Schwierigkeiten - ein unterhaltsamer Auftritt. "Hat mir auch Spaß gemacht", erklärte sie, "auch wegen der vielen Kinder auf der Bühne, die sich die Ohren zugehalten haben - so was habe ich auch noch nicht gesehen." Tja - so was gibt's ja auch nur beim OBS.

Murder By Death sind dann wieder eine dieser Bands, die wirklich in keiner Schublade Platz fänden. Frontmann Adam Turla erklärte das Anliegen der Band in etwa so: "Der folgende Song ist unser fröhlichster - er handelt aber dennoch vom Tod." Kämen die Musikanten nicht aus Indiana - man müsste befürchten, dass es sich um Iren handelt! Die Musik von MBD ist dramatisch, düster, dräuend - zumindest auf der einen Seite. Auf der anderen sitzt Cellistin Sarah Balliet und setzt Akzente, die man in einem solch schroffen Zusammenhang eigentlich nicht erwartet. Das erzeugt so eine Art "Beauty And The Beast"-Stimmung, die sich quasi außerhalb der Bühne fortsetzt: Adam und Sarah sind privat nämlich ein Paar und turtelten hinter der Bühne betont undüster herum. Zumindest bis Adam und andere Musiker mit Glitterhouse-Praktikanten in der Küche politische Diskussionen über die unterschiedlichen Bildungssysteme und andere soziale Fragen, die die Welt betreffen, anzettelte.

Da hatten es die Godfathers schon einfacher. Sie recyceln seit Mitte der 80er den einzigen Song, den sie kennen und spielen diesen immer wieder gerne. Das ist natürlich ein bisschen übertrieben, aber die Musiker aus England, die die bekennenden Fans Rembert und Reinhard extra für diese Show hatten einfliegen lassen, hatten von allen auftretenden Bands die klarste Linie. Und die lauteste. Selbst ausgebuffte Festival-Veteranen hielten sich verstört die Ohren zu angesichts des über sie hereinbrechenden Soundgewitters. (Nun ja - irgendeine Art von Gewitter braucht das OBS ja schließlich.) Auch wenn die Herren rein optisch aussehen wie eine betagte Flippers-Cover-Band: Die bliesen alles weg, was sich nicht wehrte. Auch erschreckend, wie viele Hits die Jungs im Gepäck hatten, die dann auch alle mitgrölten. Darunter jener Song, der das Leben als solches eigentlich am elegantesten lyrisch zusammenfasst: "Birth, School, Work, Death!".

Was nach diesem musikgewordenen Naturereignis dann noch fehlte, war ein wenig Stille. Da ist natürlich Graham Langley der richtige Mann! Auch er und seine Band Savoy Grand gehören zu den Mehrfachbesteigern. Dieses Mal kam die Band zwar ohne Vibraphon und Steel-Guitar, dafür aber mit Keyboard und Klarinette daher. An der grundsätzlichen Vorgehensweise - also die Stille zwischen den Tönen mitzuspielen - hatte sich natürlich nichts geändert. Das ging sogar soweit, dass der Savoy Grand-Drummer die meiste Zeit im Leerlauf arbeitete und nur gelegentlich der Klöppel das Fell traf. Natürlich verlangte wieder jemand gegen Ende der ersten Nummer nach "Rock N Roll". Dazu sagte Langley erst mal nix. Das sparte er sich dann für den Schluss auf, nachdem Savoy Grand ihrem eigentlichen Namen "Kings Of Thunder" wieder ein Mal Ehre gemacht hatten und noch ein Mal zu einer Zugabe gebeten wurden. "Ihr wollt also doch Stadien-Rock", witzelte Langley und dann gab es noch eine Nummer voller kinetischer Energie.

Den abschließenden Comedy-Vortrag von Rembert und Reinhard müssen sich alle nicht anwesenden dann vorstellen wie Mario Barth - aber mit Niveau. Witze vom Schlage "Wo wohnt die Katze? … Im Miezhaus." muss man ja auch erst mal so vortragen können, dass sie lustig erscheinen. Am Ende war es dann also doch wieder ein sehr ordentliches OBS geworden. Mehr davon gibt's dann im nächsten Jahr - mit frisch geschnitzten Frauen, hoffentlich...

Video: Dirtmusic - "The Other Side" - OBS 14:

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Video: Kante - "Die Tiere sind unruhig" - OBS 14:

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Video: Golden Kanine - "Arkham" - OBS 14:

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Video: Gemma Ray - "Put The Bolt On The Door" - OBS 14:

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Video: Savoy Grand - "The Undertaking" - OBS 14:

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Surfempfehlung:
www.orange-blossom-special.de
www.glitterhouse.com
Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-


 
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