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Konzert-Bericht
 
Irgendwie Folk - aber ganz anders!

Erland And The Carnival

Duisburg, Steinbruch/ Frankfurt, Das Bett
12.11.2010/ 17.11.2010

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Erland And The Carnival
"Incredible night in Duisburg. Who ever would have known!", twitterten Erland And The Carnival am Morgen nach ihrem in der Tat spektakulären Auftritt im Steinbruch - und das lag ganz sicher nicht an mangelnden Vergleichsmöglichkeiten. Ganze sechs Tage vor dem Abstecher ins Ruhrgebiet hatte die britische Folk-Band mit dem gewissen Etwas, deren selbstbetiteltes Debüt ohne jeden Zweifel zu den ungewöhnlichsten und besten Veröffentlichungen des zu Ende gehenden Jahres zählt, schließlich noch im Harlem Apollo in New York, der legendären "Heimat" James Browns, auf der Bühne gestanden! Dass der Auftritt in Duisburg dem in New York trotzdem in nichts nachstand, passt allerdings zur Band. Schließlich ist bei Erland And The Carnival alles ein wenig anders.
Das Quintett mit den Wurzeln auf den Orkney-Inseln setzt seine Songs in guter alter Folk-Tradition aus den Versatzstücken der Werke anderer zusammen und lässt dabei althergebrachten britischen Folk, amerikanisch geprägte Garagen-Psychedelia und cinematische Breitwand-Pop-Ambitionen mit Text-Bruchstücken aus alten Traditionals, Gedichten von William Blake, Lyrics von Leonard Cohen oder gar Auszügen aus Gerichtsverhandlungen auf wunderbar organische Art und Weise zusammenfließen. Auch der Bühnenaufbau ist ungewöhnlich: Einmütig sind die drei Protagonisten am vorderen Bühnenrand positioniert: Links vorne Trommler David Nock, der in Duisburg nicht nur mit musikalischer Perfektion, sondern vor allem auch durch sein äußerst visuelles Schlagzeugspiel zu begeistern wusste und damit seine exponierte Position auf der Bühne vollends rechtfertigte, in der Mitte der ungemein charismatische Sänger und Gitarrist Erland Cooper, der mit ausgeprägter Mimik und Gestik die Songs nicht nur einfach sang, sondern sie wirklich aufführte, ja streckenweise geradezu neu durchlebte, während rechts außen, ohne nennenswerten Aktionsradius und scheinbar teilnahmslos, Simon Tong eine unglaubliche Leadgitarre beisteuerte. Tastenmann Andrew Bruce und Bassist Danny Wheeler begnügten sich derweil mit Plätzen in der zweiten Reihe, sorgten aber für genau den dichten Soundteppich, auf dem sich die drei Frontmänner austoben konnten. Es war jedenfalls eine helle Freude, den Musikern nicht nur zuzuhören, sondern ihnen auch zuzusehen.

Doch damit nicht genug: Bei der Gestaltung der (zuvor nicht schriftlich fixierten) Setlist hatte das Quintett offenbar Spaß daran, gängige Konventionen auf den Kopf zu stellen: Der Opener des Debütalbums wurde so kurzerhand zum Schlussstück des Mainsets umfunktioniert, die abschließende Nummer der LP stand dagegen live ganz am Anfang. Ob man damit diejenigen im Publikum vorsichtig auf den Abend einstimmen wollte, die ein Konzert mit eher folkloristischer Note und Intensität erwartet hatten? So zaghaft und behutsam wie bei "The Echoing Green" klangen Erland And The Carnival jedenfalls danach kaum noch. Gleich in den zweiten Song, das wundervolle Jackson C. Frank-Cover "My Name Is Carnival", das auch bei der Namensgebung der Band Pate gestanden hatte, warfen sich die fünf mit ungeahnter Wucht und Lautstärke. Gleiches galt für die meisten der anderen Stücke auch, ohne dass darunter die vielen Nuancen der verspielten Arrangements oder die beeindruckende Klarheit des Sounds gelitten hätten. Die Essenz der Songs blieb stets erhalten, dennoch klangen sämtliche Stücke hörbar anders, sodass es nie langweilig wurde, obwohl Erland And The Carnival ihr Debütalbum in Duisburg bis auf "The Sweeter The Girl" komplett spielten. Für zusätzliche Abwechslung sorgten eine Reihe Stücke, die nicht auf dem Erstling zu finden sind. Die stürmische B-Seite "The Tempest" zum Beispiel, das sich an den hypnotischen Ohrwurm "Was You Ever See" anschloss, oder die beiden neuen, namentlich nicht weiter vorgestellten Songs des im Februar 2011 erscheinenden zweiten Albums, die - ohne grundlegend Neues zu offenbaren - unterstrichen, dass die Band ihr Pulver mit der ersten LP längst noch nicht verschossen hat. Ohne zwischen den Songs groß Worte verlieren zu müssen, kommunizierten sie allein durch ihre Musik mit dem Publikum und hatte dabei leichtes Spiel, die schwer zu erklärende telepathische Verbindung zwischen Band und Zuschauern herzustellen, die aus guten Konzerten großartige macht.

Klar, dass es da nach dem mitreißenden, sich ständig steigernden "Love Is A Killing Thing", in dem Bassist Wheeler offenbar so sehr aufging, dass es eines Zwischenrufes von Schlagzeuger Nock bedurfte, um ihn in Richtung Finale zu bugsieren, einer Zugabe bedurfte. Für die hatten sich Erland And The Carnival noch ein echtes Highlight aufgespart. Bevor der Abend mit "One Morning Fair" laut und wild zu Ende ging, coverten sie nämlich noch "You Have Loved Enough" von Leonard Cohen - inklusive des Geniestreichs, das kitschige Saxofonsolo des Originals von vier der fünf Musiker pfeifen zu lassen! Unfassbar! Unfassbar gut, um genau zu sein!

Sich eine Band, noch dazu eine, die bisher erst ein reguläres Album veröffentlicht hat, innerhalb weniger Tage zweimal anzuschauen, birgt immer ein gewisses Risiko. Womöglich ist das zweite Konzert mit dem ersten identisch und lässt den Aha-Effekt des Neuen, Unbekannten vermissen. Doch nach dem fantastischen Auftritt von Erland And The Carnival in Duisburg nahmen wir dieses Wagnis gerne in Kauf - und wurden von der Band reich beschenkt. Die Show in Frankfurt war nämlich komplett anders, aber mindestens genauso beeindruckend. Dabei hatte uns die Tourmanagerin wenige Minuten vor dem Konzert noch erzählt, dass die fünf Musiker nach dem geografischen Zickzack-Kurs kreuz und quer durch Deutschland (Duisburg - Ulm - Berlin - Hamburg - Frankfurt) vollkommen erschöpft seien und sie zudem gerade ein schweres italienisches Essen genossen hätten. Auch die Tatsache, dass sie 20 Minuten nach der geplanten Showtime immer noch keine Anstalten machten, auf die Bühne zu kommen, verhieß eigentlich nichts Gutes, doch als die fünf dann endlich nach ihren Instrumenten griffen, dauerte es keine Minute, bis sich ein müder Haufen Musiker in die großartigen Erland And The Carnival, eine der besten neuen Bands des Jahres, verwandelten! Dabei half sicherlich, dass sie das Konzert anders begannen als in Duisburg. Das zögerliche "The Echoing Green" hätte das Quintett an diesem Abend sicherlich nicht so schnell wachgetrüttelt, stattdessen stürzte sich die Band aber gleich zu Beginn in den Theme-Song "My Name Is Carnival", und nach nicht einmal einer Strophe war der Hebel umgelegt und die schon in Duisburg spürbare Symbiose von Band und Publikum perfekt. "Gentle Gwen" klang dann direkt im Anschluss überhaupt nicht "gentle", sondern um einiges tougher als wenige Tage zuvor. Gerade am Ende blieb von der auf dem Album noch als behutsame Western-Ballade interpretierten Traditional nur ein lautes Crescendo übrig. Einmal auf Betriebstemperatur, ließ Cooper dann verlauten, dass nun neue Stücke an der Reihe wären. Ganze zwei waren es in Duisburg gewesen, in Frankfurt war es gleich eine Handvoll, die mit einer Ausnahme allesamt das Prädikat "laut und wild" verdienten. Es wird äußerst spannend sein zu hören, wie sie sich in den Studioversionen anhören werden, schließlich klingen die Songs des Debüts live auch um einiges druckvoller, als viele das erwartet hatten.

"You Have Loved Enough", das herrliche Leonard Cohen-Cover mit dem atemberaubenden Pfeifkonzert der Band, gab es dieses Mal früh am Abend zu hören, gefolgt vom geradezu frenetisch vom Publikum gefeierten "Was You Ever See". Überhaupt trug das Publikum - ähnlich wie in Duisburg - ganz wesentlich zum Gelingen des Abends bei. Rein zahlenmäßig waren es zwar deutlich weniger Zuschauer als beim Tourauftaktkonzert fünf Tage zuvor, die aber schrien der Band ihre (verständliche) Begeisterung praktisch ins Gesicht und ließen sich selbst vom dieses Mal als Atempause in der Konzertmitte platzierten "The Echoing Green" nicht aufhalten. Die Band quittierte dies, indem sie mit "Trouble In Mind" ihren allerschönsten Pop-Ohrwurm folgen ließ. Das hieß dennoch nicht, dass Erland And The Carnival gegen Ende des Auftritts auf Nummer sicher gingen. Anstatt sich auf die Highlights ihres Erstlingswerkes zu beschränken, spielten sie noch ein weiteres brandneues Stück und eine wahnsinnig rasante, unerwartet garagige Version von "Stac-O-Lee" (warum war das eigentlich nur eine B-Seite?), bevor sie die Bühne zum ersten Mal verließen.

Backstage stellten die Herren dann fest, dass sie ihr Vorhaben, an jedem Abend der Tour ein weiteres neues Stück ins Programm einzubauen, in Frankfurt noch nicht in die Tat umgesetzt hatten, also spielten sie "Love Itself Has Gone" kurzerhand als erste Zugabe und damit eine der stürmischsten Nummern des Sets, die fraglos zu den Höhepunkten der kommenden LP zählen wird. Weil das furiose "The Derby Ram" im Mainset den vielen neuen Stücken zum Opfer gefallen war, gab es auch das noch als Zugabe zu hören, bevor wie in Duisburg "One Morning Fair" das krachige Finale bildete. Das war Folk in der Raw-Power-Variante!

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Surfempfehlung:
www.erlandandthecarnival.com
www.myspace.com/erlandandthecarnival
Text: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Carsten Wohlfeld-


 
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