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Konzert-Bericht
 
Amerikas bester unbekannter Songwriter

Simon Joyner

Köln, King Georg
11.04.2013

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Simon Joyner
Seit rund 20 Jahren fristet Simon Joyner nun schon ein Schattendasein als Lo-Fi-Underground-Troubadour, doch der 41-jährige Ausnahme-Singer/Songwriter aus Omaha, Nebraska, der als Labelbetreiber Mitte der 90er half, die Karriere eines gewissen Teenagers namens Conor Oberst auf den Weg zu bringen, und in John Peel früh einen glühenden Verehrer fand, fühlt sich wohl in dieser Rolle. Nachdem er sich jahrelang lieber um seine Familie gekümmert hatte anstatt auf Tournee zu gehen, machte er nun für gerade einmal zwei Konzerte in Deutschland halt. Mehr noch: Im King Georg absolvierte Joyner gemeinsam mit seiner neuen Backingband The Ghosts seinen wohl allerersten Headline-Auftritt in Deutschland überhaupt. Doch nicht nur deshalb war es ein ganz besonderer Abend mit einem unerwarteten Ende.
Simon Joyner steht nicht gerne im Mittelpunkt. Vielleicht auch deshalb hat er sich für den Auftritt in Köln gleich fünf zumeist sehr junge Mitstreiter gesucht, die nicht nur grimmig dreinschauen, sondern auch perfekt simultan spielen und Kette rauchen können. "So müssen sich die Menschen gefühlt haben, die 1968 The Velvet Underground in dunklen Kaschemmen in New York, Boston oder Cleveland gesehen haben!", ist der erste Eindruck des Schreibers dieser Zeilen, als er zum nachmittäglichen Soundcheck im King Georg eintrifft. Der Pedal Steel-Gitarrist will zwar nicht so recht ins Bild passen, dafür besteht das Schlagzeug nur aus einer Snare, einem Stand-Tom und einem einzelnen Becken, der Gitarrist schreddert in höllischer Lautstärke die simpelsten Akkorde und die einzige Dame im Bunde bedient neben dem Keyboard geradezu selbstverständlich noch eine Viola, während der Bassist zwar einen Hoefner-Beatles-Bass spielt, dafür aber vermutlich zum gleichen Friseur wie Moe Tucker geht. Es dauert ein bisschen, bis sich aus dem atonalen Soundcheck-Chaos ein erkennbarer Song herausschält, aber als Joyner ans Mikro tritt, ist klar, mit welcher Nummer sich die Band da warmspielt: "Sister Ray" von - natürlich! - den Velvets! Wow!

Beim abendlichen Konzert ist dagegen kein Platz für Coverversionen. Schließlich sind Auftritte im King Georg ob der strikten 22.00 Uhr-Curfew kurz, und Joyner hat zudem Hunderte eigene Lieder, die er spielen könnte. Größtenteils besteht das Programm dennoch aus Songs der mit seinen aktuellen Musikern eingespielten Vinyl-only-Großtat "Ghosts" aus dem letzten Sommer, doch das ist vollkommen in Ordnung, denn Joyners Drone-Folk-Orchester sorgt an diesem Abend für einen sagenhaft dichten Noise-Schleier, der sich über dissonante Düster-Balladen wie "Answering Machine Blues" von der aktuellen LP ebenso legt wie über das fast 20 Jahre alte, schon von Bright Eyes gecoverte "Joy Division". Ein besonderes Bonbon gibt es auch, denn das noch unveröffentlichte "Old Man In The Rain" entpuppt sich als heimliches Highlight des gesamten Abends. Wieder und wieder schwappen raue Feedback-Wellen durch den dunklen Raum, bis nach einer knappen Stunde die Curfew dem ohrenbetäubenden Spektakel ein Ende bereitet.

Das besondere i-Tüpfelchen ist allerdings, dass Joyner an diesem Abend danach spontan noch einmal zur Gitarre greift und solo noch reichlich Raritäten aus seinem gesamten Schaffen spielt, "obwohl ich das schon ziemlich lange nicht mehr gemacht habe", wie er eingangs entschuldigend erklärt. Und so mitreißend der erste Teil des Konzerts auch war, seine Stärke als Erzähler wunderbar poetischer, wenngleich oft rabenschwarzer Geschichten kann er erst ohne seine Band richtig ausspielen. Bisweilen erfüllt er sogar auf Zuruf Songwünsche aus dem Publikum, auch wenn es ihm offenbar ein bisschen peinlich ist, "dass diese Lieder alle auf den gleichen vier, fünf Akkorden" basieren. Die restlos begeisterten Zuschauer hören trotzdem wie gebannt zu, und in vielen Gesichtern kann man ablesen, dass so mancher es gar nicht fassen kann, dass hier Amerikas bester unbekannter Songwriter kaum eine Armlänge vom Publikum entfernt tatsächlich Underground-Klassiker wie "Black Dog" oder "Medicine Blues" singt. "Es ist kein Kritiker-Hype, wenn man sagt, Simon Joyner besitze dieselbe emotionale Tiefe wie Leonard Cohen oder er habe dieselbe Gabe, Geschichten zu erzählen", schrieb der All Music Guide vor einigen Jahren. Nach diesem großartigen Auftritt können wir das nur bestätigen.

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Surfempfehlung:
www.simonjoyner.net
www.facebook.com/simonjoyneromaha
Text: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Carsten Wohlfeld-


 
 

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