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Konzert-Bericht
 
Zwischen den Extremen

Tweedy
Arc Iris

Köln, Kulturkirche
13.11.2014

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Tweedy
"Ich hoffe, ihr seid nicht zuerst zum Tanzbrunnen gelaufen", begrüßte Pastor Thomas Diederichs das Publikum in der Kölner Kulturkirche - denn im Vorfeld hatte es Irritationen bezüglich des Veranstaltungsortes gegeben, der zeitweise im Kölner Tanzbrunnen ausgeschrieben worden war. Das führte dann dazu, dass in der Kulturkirche die Fans nach Art der erworbenen Tickets, die im Tanzbrunnen gestaffelt verkauft werden, in der Kulturkirche verteilt wurde - was zu langen Gesichtern bei denjenigen führte, die dessen nicht bewusst, vorher stundenlang angestanden hatten, um einen guten Platz zu bekommen.
Es führte auch zu Irritationen bei Jocie Adams, der Frontfrau von Arc Iris, die für den Support zuständig war. Ehemals als unterbeschäftigtes Mitglied bei Low Anthem tätig, hatte Jocie sich Anfang des Jahres mit dem Projekt Arc Iris selbständig gemacht und tourte nun erstmals durch unsere Lande. Von der Bühne aus musste es so ausgesehen haben, als trauten sich die Leute, die wegen des falschen Ticket-Typs nicht nach vorne durften, nicht näher heranzukommen. So versuchte Jocie, die Leute zu bewegen, nach vorne zu kommen und stieg dazu sogar während des Vortrages von der Bühne und bewegte sich singenderweise durch die Gänge zwischen den Kirchenbänken. Alles umsonst freilich, denn die Ordner waren angewiesen, die Klassentrennung bis zuletzt aufrecht zu erhalten.

Konzeptionell stellt sich Arc Iris als Gesamtkunstwerk dar, zu dem neben der Bühnendeko aus rankenden Weinblättern und Staniolsonnen auch das Outfit der Musiker gehört. So trugen die Musikerinnen aufgeklebte Strass im geschminkten Gesicht während die Herren weiße Overalls trugen und Jocie selbst hatte sich in ein wagemutigen, goldfarbenen Körperanzug gezwängt. Musikalisch lieferten Arc Iris alles, was die bemerkenswert unkonventionell inszenierte CD auch versprochen hatte - außer vielleicht, dass aufgrund der begrenzten Zeit, die einem Support Act nun mal zur Verfügung steht, gar nicht alles ausprobiert werden konnte. So spielte Jocie weder Klarinette noch Trompete - gleichwohl beides bereit stand. Dafür gab es aber ansonsten ziemlich viel geboten: Mit Cello, zwei Keyboards und diversen Gitarren ist die Band ja eh schon gut aufgestellt, Jocies hochkomplexe und immer wieder überraschende Kompositionen entsprechend darbieten zu können. Jocie selbst wechselte zwischen den Instrumenten hin und her, unterstrich ihre Darbietung mit mystischen Gesten und hatte offensichtlich jede Menge Spaß am Vortrag. Besonders dann, wenn wie bei der eigenartigen Blues-Emulation "Powder Train" ein wenig Verruchtheit ins Spiel kam, und die Verlockungen des Kokain-Genusses ins Zentrum gestellt wurden - was einen interessanten Kontrast zu Jocies unschuldiger - zwar technisch makelloser - Klein-Mädchenstimme darstellte. Ansonsten kann man nicht viel aus den sehr kryptischen Texten Jocies herauslesen - braucht das aber auch nicht zu tun, weil auch die Musik als Gesamtkunstwerk, bestehend aus dem Song, den Arrangements und der Performance einfach am Besten gefiel. Das Ganze ging so munter drunter und drüber, dass sich die Älteren im Publikum wohl gar an die seligen Gentle Giant erinnert gefühlt haben dürften. Was die Eklektik betraf, brauchte sich Jocie jedenfalls nicht hinter dem zu verstecken, was Tweedy im Folgenden bot.

Prinzipiell ist Tweedy ja eine Band. Jeff Tweedy machte noch den Witz, dass alle Musiker - also nicht nur er und sein Sohn Spencer, mit dem er das Album "Sukierae" unter dem Namen Tweedy eingespielt hatte, ihren Namen geändert haben, um die Band entsprechend gründen zu können. Aber auch wenn dem konzeptionell so sein mag: An diesem Abend gab in Sachen Bühnendominanz es nur einen Tweedy - und das war Jeff selbst. Er gab den Ton an, er machte die Witzchen und er bestimmte, wo es lang geht. Das ging dann sogar so weit, dass er die Hälfte der Show solo und akustisch spielte. Hier gab es dann auch das, worauf die Leute gewartet hatten: Die lang ersehnten Wilco-Songs wie "Theologians", "I Am Trying To Break Your Heart", "Jesus, Etc." oder das mit Billy Bragg vertonte Guthrie-Stück "Mountain Bed". Denn bis dato hatten Tweedy nur Material der neuen Scheibe gespielt - und eigenartige Cover-Versionen, wie z.B. einen unveröffentlichten Song "Love Like A Wire" der verstorbenen Songwriterin Diane Izzo - was aber auch nicht weiter half, da diese offensichtlich niemand kannte.

Was nun das neue Material betrifft, so ist hier zu sagen, dass Tweedy die Fans, die er beginnend mit "Summer Teeth" und "Yankee Hotel Foxtrott" verloren haben mag, mit dem neuen Material auch nicht unbedingt zurück gewinnen können wird. Dieses ist sehr streng und erbarmungslos durchkonzipiert - öfters nickelig monoton und oft auf die Tweedy typische Art in unlogische Richtungen ausbrechend. Auch wenn Tweedy "Summer Noon" als Single-Titel ankündigte. Dem Meister gefiel es natürlich, die Leute auf diese Weise auf dem Sprung zu halten. Der Versuch, das Publikum zum Mitsingen zu bewegen, funktionierte demzufolge auch nicht so richtig - denn etwas Konkretes zum Mitsingen fand sich eigentlich gar nicht. (Mal abgesehen von der einen oder anderen Wilco-Textzeile später im Programm.) "Zu singen ist das Beste, was man in einer Kirche machen kann", witzelte Tweedy dennoch zu dem Thema.

Stimmungsmäßig war er an dem Abend allerdings nicht besonders gut drauf und legte sich mit allen an, die ohne Akkreditierungen Fotos von ihm machen wollten. Und musikalisch überzeugte er sowieso immer dann am meisten, wenn er virtuos zwischen den unterschiedlich gestimmten Akustikgitarren hin und her wechselte und - trotz seiner permanent laufenden Nase - hier fingerfertig seine zum Teil beeindruckenden Akkordwechsel aus dem Ärmel schüttelte. Ein Mal verpfiff er sich dann. Und das ist wörtlich gemeint und führte zu einem weiteren Witz mit dem Publikum. Die Band agierte solide, aber eher unauffällig. Spencer Tweedy machte seinen Job sehr ordentlich - ohne da indes irgendwie auszubrechen. Sein Schulfreund Liam an der Effektgitarre und den Keyboards erschien dagegen eher blass. Und Gitarrist Jim Elkington war bestenfalls effektiv. Und dann war da noch Bassist Darin Gray. Alles das, was die Band Tweedy in Sachen Zurückhaltung aufzuweisen hatte, bot der Mann im anderen Extrem in Form extrovertierter Superstar-Performances. Nicht nur, dass er mit seinem Plektrum den Bass traktierte, als sei es eine 12-saitige Gitarre - der Bass war auch viel zu laut. Tatsächlich war der Bass über weite Strecken das lauteste Instrument überhaupt - und da kann etwas nicht stimmen. Gray verleidete dem Zuhörer mehr als den gelegentlichen Augenblick und auch wenn seine Bass-Attacken im fast Zeppelin-lastigen, rockigen Zugabenblock John Paul Jones alle Ehre gemacht hätte, passte das insgesamt überhaupt nicht. Insgesamt kam Tweedy, der Mann, seinem Ruf als sensibler, schwieriger, genialischer und virtuoses Künstler an diesem Abend durchaus nach - als Konzertereignis war diese Show wegen vieler Aspekte und trotz berührender Highlights leider kein uneingeschränktes Vergnügen.

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Surfempfehlung:
www.facebook.com/TweedyBand
twitter.com/JeffTweedy
wilcoworld.net
arciris.net
www.facebook.com/arcirismusic
Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-

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Mehr über Tweedy:
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