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Konzert-Bericht
 
Australian Schnittlauch

Tinpan Orange

Köln, Die Wohngemeinschaft
28.09.2017

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Tinpan Orange
Es ist ja immer auch schön, wenn man als Fan etwas Persönliches über die Künstler seiner Wahl erfährt. Nachdem das australische Trio Tinpan Orange also gerade das Reeperbahn Festival mit gleich mehreren Auftritten erfolgreich absolviert hatte, kamen die Geschwister Lubitz und Kumpel Alex Burkoy auf ihrer umfangreichen Tour durch unsere Lande auch in der Kölner Wohngemeinschaft an - und da brach sich dann wieder das vermaledeite Sprachproblem Bahn, das immer dann zutage tritt, wenn Musiker aus dem angelsächsisch geprägten Ausland sich an den lokalen Begrifflichkeiten "Köln" und "Kölsch" versuchen.
Denn obwohl sich Tinpan Orange musikalisch durchaus gerne an europäischen Stilen und Genres orientieren, sind sie nicht unbedingt eine der Bands, die sich als multilingual einordnen würden. Bei dem Versuch, seine deutschen Brocken zusammenzukratzen, knickte Jesse Lubitz schließlich ein und gestand, dass seine (und natürlich auch Schwester Emilys) Mutter zwar von Schweizer Herkunft sei, es aber nie für nötig befunden hatte, ihren Kindern Deutsch oder wenigstens Schwyzerdütsch beizubringen. Bis auf einen Begriff - und das sei das Wort "Schnittlauch", das sie beibehalten habe, weil sie einfach nicht gewusst habe, dass Schnittlauch auf Englisch "chives" heißt. "Australien ist einfach zu weit weg", resignierte Emily schließlich, "ich glaube, wenn man in Australien lebt, dann muss man einfach auch australisch sein." Da mag was dran sein - vor allen Dingen aber sorgt das dafür, dass Tinpan Orange so eine durchaus eigene musikalische Identität entwickeln konnte, die sich angenehm von der US-Dominanz absetzt, der sich viele ihrer Landsleute musikalisch hingeben. Tatsächlich spielen Tinpan Orange eine ziemlich eigenwillige Folkpop-Variante, die sich besonders auf der Bühne gerne mal unüblicher Elemente wie z.B. klassische Geigensoli, psychedelische Fuzz-Mandolinen Traktate und ambitionierte Prog-Strukturen bedient. Inklusion wird also bei Tinpan Orange groß geschrieben. Auch in Bezug auf die Instrumentierung, die insbesondere Alex auf der Bühne durch Fuzz-Mandoline, Mikro-Gitarre, Geige und psychedelisches Effektpedal anreichert. Bass und Keyboards freilich fallen dann schon der Ökonomie zum Opfer.
Da der letzte Longplayer er Band "Love Is A Dog" (dessen Titeltrack auf dem Gedicht "Love Is A Dog From Hell" von Charles Bukowski basiert, wie Emily verriet) bereits 2016 erschienen ist, hatten Tinpan Orange auf dieser Tour zumindest einige neue Songs im Gepäck - wie z.B. die aktuelle Single "Wanderers" oder "Brunswick River" - einen weiteren Song über das Wasser, den Emily unter dem Eindruck ihres Umzuges an einem Ort "zwischen einem Fluss und einem Ozean" geschrieben hatte. Das Programm des Abends sprang munter zwischen den Songs der letzten drei Tinpan Orange-Veröffentlichungen umher - was aber weiter nichts heißen will, denn obwohl die Band aus einem bestimmten Fundus schöpft, ist keine Tinpan Orange-Show wie die andere - was sie z.B. auf dem Reeperbahn Festival eindrucksvoll unter Beweis stellten. Einfach auch deswegen, weil die Band das Publikum und die Situation vor Ort in die Show mit einbezieht. In Köln war es zum Beispiel der Umstand, dass kurz vor dem Konzert - und unmittelbar vor der Spielstätte - Hunderte von Fussballfans von der Polizei zum Stadion eskortiert worden waren, die für endloses Amüsement der Musikanten führte. Wobei sich Emily allerdings vorwiegend für das modische Aussehen der Polizisten zu interessieren schien. Die eingangs erwähnten europäischen Einflüsse, derer sich Tinpan Orange musikalisch bedienen, kamen dann in Songs wie natürlich "Barcelona" - dem ersten "Hit" der Band - oder "Saudades" zum Tragen. "'Saudades’ stammt aus dem Portugiesischen und das ist das einzige Wort, das ich auf Portugiesisch kenne", erläuterte Emily, "es kann aber nicht übersetzt werden, weil es einen komplexen Zusammenhang in einem Begriff zusammenführt. Ich mag so was. Im Japanischen gibt es viele Begriffe dieser Art. Zum Beispiel wenn man einem Bus hinterherläuft und es zu schneien beginnt und man an seine Großmutter denkt, während sich eine Schneeflocke auf dem Finger niederlässt - die haben dann ein Wort dafür. Sowas finde ich faszinierend." Letztlich ist diese Art der Wahrnehmung und Emilys Fähigkeit, die so gewonnen Beboachtungen in poetischen, zuweilen mystischen und sympathisch unkonkreten Gedankengebilden verfestigen zu können auch ein Teil des Charmes, der die Songs von Tinpan Orange auszeichnet.

Auf der Bühne kommt dann noch die angenehme Bühnenpräsenz dazu, die in der Wohngemeinschaft dann zum Beispiel darin gipfelte, dass die Band sich für einen Song zwischen das Publikum stellte und bei dieser Gelegenheit wirklich jeder Einzelne mit Handschlag und freundlichen Worten begrüßt wurde. Und noch etwas war speziell bei dieser Show: Tinpan Orange ließen sich nicht etwa durch den Beitrag eines Kollegen ankündigen, sondern durch die Worte von Magic Steven, einem - wie er sagte - philosophierenden Touristen, der sich keineswegs als Künstler sehen wolle und der das Publikum mit einem Beitrag zum Thema halbvolles/halbleeres Glas auf Tinpan Orange einstimmte. Keine Frage: Tinpan Orange gehören zu jener Spezies Musikanten, die ohne jedwede Distanz zum Publikum in ihrer Musik aufgehen - vielleicht auch deswegen, weil sie als Straßenmusiker angefangen haben - und die man als Zuhörer demzufolge am liebsten einpacken und mit nach Hause nehmen möchten.

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Surfempfehlung:
tinpanorange.com
www.facebook.com/tinpanorange
Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-

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