Tom Liwa macht, was er will. Zugegeben, das ist nicht unbedingt eine neue Erkenntnis, doch sein Auftritt mit den Flowerpornoes nahe der alten Heimat lieferte neue Argumente für diese These. Da entfernt er sich mit seinem vor gerade einmal sechs Wochen veröffentlichten neuen Album spürbar vom Bandsound der letzten Jahre, und geht anschließend solo und akustisch auf Tour, nur um beim Gastspiel in Essen mit einer geliehenen Danelectro-Stromgitarre in Händen die neuen Songs in genau den Flowerpornoes-Klangkosmos zurückzuholen, dem er sie zuvor absichtlich entrissen hatte. Gleichzeitig darf man sich einbilden, dass in den elektrifizierten Quartettversionen die Inspirationsquellen für die Songs deutlicher zutage treten als in den Studiofassungen.
Auf der wunschgemäß abgedunkelten Bühne präsentiert er die neuen Lieder an diesem Abend gemeinsam mit Markus Steinebach am Bass, Birgit Quentmeier an den Tasten und Giuseppe Mautone am Schlagzeug in einem herrlich entspannten Rock-Groove und lässt viel Raum für Improvisationen und glückliche Zufälle, etwa, als er seinem Bassisten zuruft: "Hab doch gesagt, dass du dir das Ende nicht merken musst", als "Dope" relaxt austrudelt. Doch seine langjährigen Mitstreiter wissen, wie sie mit Liwas Idiosynkrasien umzugehen haben, und lassen sich selbst dann nicht aus der Ruhe bringen, wenn er mehr als einmal spontane Arrangementänderungen anmeldet, die ihm auf den vorangegangenen Solokonzerten eingefallen sind oder er plötzlich von toten Tauben auf dem Parkdeck des benachbarten REWE-Parkdecks fantasiert, die er passend zum Song "Federkleid" am Merch-Tisch anbieten will. (Ein Scherz, wie er wenig später auf Nachfrage zugibt, aber bei Liwa weiß man ja nie!)
Doch so schräg sich das auch anhören mag - es funktioniert. Die Flowerpornoes können es sich an diesem Abend sogar leisten, auf alte Stücke praktisch komplett zu verzichten, ohne Gefahr zu laufen, die Aufmerksamkeit des Publikums zu verlieren, denn irgendwie ist es Liwa gelungen, mit den Songs des letzten Flowerpornoes-Werkes und seiner aktuellen Solo-Platte all das, was ihn schon immer ausgemacht hat, aufzugreifen, ohne sich zu wiederholen und ganz nebenbei mit Liedern wie "Ophelia", "Federkleid", "Schuld", "Meistens" oder "Unisex" auch noch einige der eingängigsten Nummern seiner langen Karriere zu fabrizieren. Die wenigen Rückgriffe auf alte Songs - "Stunde des Zweifels", "Herz aus Stein" und "Lieber als hier" - glänzen derweil mit der gleichen tiefenentspannten Schluffigkeit wie die neuen Stücke. Auch wenn es im Song "Ufo" heißt "Die Zeit der Freaks ist vorbei" - es ist schön zu hören, dass bei Tom Liwa und den Flowerpornoes Können und eine gewisse freigeistige Spleenigkeit auch weiterhin Hand in Hand gehen.