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Konzert-Bericht
 
Kill Rock Stardom

Mary Lou Lord

Olympia, Washington, Capitol Theater
26.02.2000
Mary Lou Lord
In ihrer amerikanischen Heimat ist Mary Lou Lord schon längst ein Star, und trotzdem spielt sie noch regelmäßig in Boston in der U-Bahn. Wer Ani DiFranco, Jewel, Shawn Colvin, Joan Baez und/oder Juliana Hatfield mag, wird auch von Mary Lou begeistert sein, die nach ihrem Major-Debut "Got No Shadow" von 1998 unlängst auch wieder einen kleinen Indie-Abstecher für ihr altes Label Kill Rock Stars unternommen hat und mit dem Minnesota-Punkrocker Sean Na Na (ex-Calvin Krime) eine feine Split-Ep aufgenommen hat. Und wenngleich Mary Lou als Mutter einer 13 Monate alten Tochter ungern reist, eine Show am anderen Ende der Staaten, in der verschlafenen Kill-Rock-Stars-Heimatstadt Olympia, Washington, war trotzdem Pflicht.
Doch bevor Mary Lou im altehrwürdigen Capitol Theater – in dem, Indie-Fanatiker wissen das, regelmäßig der "Yo Yo A Go Go"-Konzertmarathon stattfindet - auf die Bühne kam, gab es einen kuriosen Auftritt von Olympia-Urgestein Jason Traeger, einem Mann mit vielen Talenten, der eigentlich ein Superstar sein müsste. An diesem Abend sollte er sich eigentlich solo und akustisch als Singer/Songwriter präsentieren, doch schon nach einer Nummer driftete das Konzert des fürchterlich erkälteten Traeger in eine Stand-Up-Comedy-Show der Extraklasse ab, bei der ein ungefähr dreijähriger Junge die Hauptrolle spielte, Jason neben ihm kniend Kinderlieder improvisierte und einen Freund im Publikum zu überreden versuchte, "American Pie" à la Eddie Vedder zu singen. Auf dem Papier mag sich das wenig witzig und sehr konfus anhören, aber live war’s ein Zwerchfellschocker erster Kajüte. Peter Connelly, ein junger Spund mit Prinz-Eisenherz-Frisur (sein Friseur ist vermutlich blind), folgte und gab seine traurigen Anti-Lovesongs nur auf der Klampfe begleitet zum Besten. Seine Version von Bob Dylans "To Ramona" war nett, aber irgendwie schaffte es Connelly leider nicht, den Funken überspringen zu lassen.
Mary Lou Lord
Ganz anders natürlich Mary Lou, die, nachdem sie uns beim Soundcheck schon mit ihrer Version von Dire Straits' "Romeo & Juliet" auf positive Weise "geschockt" hatte, mit ihrer Mischung aus Kleinstadt-Naivität, Straßenerprobtheit und liebenswerter Offenheit Einblick in ihren derzeitigen Seelenzustand gewährte und anderthalb Stunden lang fast ausschließlich "Love-gone-wrong"-Songs präsentierte. Songs wie das fabelhafte "I Figured You Out" von Elliott Smith, das solo und live noch besser klingt als in der Bandversion auf der Platte, "He'd Be A Diamond" von Bevis Frond oder ihren derzeitigen Lieblingssong, "I Don’t Want To Get Over You" aus dem "69 Lovesongs"-Boxset der Magnetic Fields. Dass sich Mary Lou als Interpretin der Songs anderer wohler fühlt, dürfte inzwischen bekannt sein, ebenso wie die Tatsache, dass sie sich nicht scheut, ihre Vorlieben offen zu zeigen. So fanden dann gleich drei (!) Richard-Thompson-Songs den Weg in ihr Set, neben "Beeswing" und "From Galway To Graceland" vor allem der Klassiker "1952 Vincent Black Lightning"; einer der wenigen Songs, den die Sängerin aus Boston jeden Abend im Programm hat. Natürlich erfüllte sie auch wieder jede Menge Wünsche, coverte Billy Braggs "Ontario Quebec And Me" und spielte sogar "Camden Town Rain", eine besonders mutige Entscheidung, gibt es doch in dem Lied einige Anspielungen auf ihre große Feindin Courtney Love, und die stammt bekanntlich ausgerechnet aus Olympia. Natürlich gab Mary Lou auch die Songs der eingangs erwähnten neuen EP zum Besten, Lucinda Williams' "Hard Road" und ihre Version des grandiosen Bevis-Frond-Songs "Aim Low", eine Lehrbuchnummer für alle unglücklich Verliebten. Als Zugaben gab's eine herzergreifende Version von Shawn Colvins "New Thing Now" und den Lieblingssong ihrer kleinen Tochter, "By The Time It Gets Dark". Nach einer Show wie dieser wäre es Mary Lou wirklich zu gönnen, dass sie ein bisschen mehr Selbstvertrauen entwickeln würde und sich nicht nur als Straßenmusikerin ohne Talent zur Songschreiberin sähe. Denn wer es schafft, ein Publikum über 90 Minuten so zu fesseln und zum Zuhören "zu zwingen" (denn geredet wurde im Saal überhaupt nicht!), kann definitiv mehr erreichen als ein ordentliches Trinkgeld in der U-Bahn. Im Sommer soll ihr neues Album erscheinen, und dann wird Mary Lou voraussichtlich auch in Europa spielen – allerdings zunächst einmal leider nur auf der Straße. Und wer die hübsche Sängerin dann irgendwo spielen hört, sollte stehen bleiben. Es lohnt sich, nicht nur, weil’s dann sogar umsonst ist.
Text: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Carsten Wohlfeld-


 
 

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