Der Witz dabei ist dann der, dass die Shows stets unter einem bestimmten Motto stehen (die vom 26.06.2020 beispielsweise was als "All Dream Syndicate-Show" ausgewiesen) und Steve sich vorgenommen hat, jede Woche andere Songs zu spielen - so lange die Fans das hören wollen und ihm diese nicht ausgehen. Wer nun weiß, dass er selbst bei vorher festgelegten Touren über einen Fundus von mindestens 50 Songs verfügt, aus denen er jeden Abend die Setlist neu zusammensetzt, dass er des Weiteren mehrere hundert Songs geschrieben hat und obendrein Coverversionen aus dem Ärmel schütteln kann wie andere Leute Schuppen aus den Haaren, der wird erahnen können, dass dieses Projekt potentiell am ehesten geeignet sein dürfte, die Corona-Krise auf kreative und unterhaltsame Art auszusitzen.
Die Dream Syndicate-Show war als elektrisches Ereignis angelegt und Steve ging hierbei zunächst sehr weit in die Vergangenheit zurück und spielte diese Show auf jener Gitarre, die er seit der Dream Syndicate-Scheibe "Live At Raji's" sein eigen nennt und trug dieselbe Smoking-Jacke, die er am Anfang der DS-Laufbahn als Bezahlung für eine One-Off-Show am Ende einer gemeinsamen Tour mit R.E.M. ergattern hatte. Passend hierzu begann er die Show mit einer für die Verhältnisse erstaunlich laut rockenden Version von "Some Kinda Itch" vom Debütalbum "Days Of Wine And Roses". Im Prinzip ging das vom Setting her dann so weiter. Steve und Linda wohnen in einem Apartment in einem renovierten Wohnkomplex im Stadtteil Queens und müssen sich folglich sehr gut mit ihren Nachbarn arrangiert haben, um so etwas durchführen zu können.
Eigentlich - so erzählte Steve - habe Steve die Show in chronologischer Reihenfolge spielen wollen, diese Idee dann aber verworfen, da jede Setlist sowieso nur eine Momentaufnahmen der jeweiligen Situation sei. Das ist ein veritabler Punkt - allerdings nur für jemanden, der sich so etwas leisten kann und über einen entsprechenden Fundus verfügt. Sei es drum: Zwischen den Tracks erfährt man als Steve Wynn-Fan - wie auch bei den "echten" Live-Shows - eine ganze Menge über die Songs und die Umstände, unter denen sie entstanden sind. Wer weiß denn zum Beispiel, dass der Song "Merritville" vom "Medicine"-Album seine Genese mal als Hommage an den Sound von The Gun Club begonnen hatte? Oder dass der Track "Blood Money" als Lead Single des Albums "Out Of The Grey" geplant gewesen sei - dann aber gar nicht den Weg auf das Album fand, weil sich die Band das Stück zuvor selbst totgespielt hatte?
Interessant bei dieser Show war dann auch noch der Umstand, dass es dabei - trotz aller Anekdötchen aus der Historie - keineswegs um eine Retro-Veranstaltung ging, sondern munter auch Songs aus den aktuellen Dream Syndicate-Alben in die Setlist einflossen. Was deswegen erstaunlich ist, da diese ja dezidiert als kollaborative Band-Stücke konzipiert sind und oft und gerne auch mal konventionelle Songformate sprengen. Insofern war es dann interessant zu beobachten, was Steve aus diesen Stücke machte. "Filter Me Through You" von "How Did I Find Myself Here" wurde so - trotz eines nickelig verstiegenen Prog-Rock-Solos - zum balladesken Highlight der ganzen Show.
Und vor einigen Tagen gab es eine überraschende neue Dream Syndicate-Veröffentlichung in Form des Songs "Hold Brother Hold", den die Band schon bei den Sessions zu dem Album "These Times" eingespielt hatten. Unter anderem fand dieser Song gerade jetzt den Weg in die Öffentlichkeit, weil er sich in geradezu prophetischer Weise auf die aktuellen Unruhen im Amiland implizieren ließe und in Form eines Blues-Themas zum Durchhalten im Angesicht der Aversion aufruft. "Ich spiele diesen Song jetzt mal als eine Art Platzhalter", scherzte Steve - denn die Band-Version wartet mit einigen produktionstechnischen Überraschungen auf (einer Rhythmusmaschine etwa), die sich im elektrischen Folksetting nur schlecht implementieren ließe. Der Song ging dann nahtlos in den DS-Klassiker und Live-Favoriten "When You Smile" über.