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Reeperbahn Festival 2023 - 4. Teil

Hamburg, Reeperbahn
23.09.2023

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Hot Wax
Aus gar nicht nachvollziehbaren Gründen beginnt ausgerechnet am Samstag - dem Tag des größten Publikumsandrangs - das Musikprogramm in den Clubs erst abends, so dass man sich tagsüber anderweitig umschauen muss - beispielsweise bei den frei zugänglichen Sessions auf dem Heiligengeistfeld oder auf dem Spielbudenplatz.
Dort spielte auf der Bühne am N-Joy-Bus das Geschwisterpaar Austin und Taryn Durry - ihres Zeichens der maßgebliche Kern des Bandprojektes Durry - aus Burnsville, Minnesota, ein Akustik-Set mit jener Art schrulliger Schrammelpop-Indie-Hits, die sie auf ihrem bemerkenswerten Debütalbum "Suburban Legend" versammelt haben. Die musikalische Unvorhersehbarkeit, mit der Austin und Taryn ihr Material da zusammenschrauben, erklärt sich der Legende nach aus dem Umstand, dass Austin sieben Jahre älter ist als Taryn - und die Band somit aus Musikern zweier Generationen - Millennials und Gen Z - besteht und somit jeder seine Ideen ins Projekt einbrachte. Im Akustik-Setting beim N-Joy-Bus kam das allerdings alles im dann doch sehr jugendlich anmutenden Sturm- und Drang-Stil daher. Das erinnerte dann an ganz andere Sachen, als die dem College-Rock entlehnte Basis der Studioproduktionen. Auf die Frage nämlich, wieso das Duo in diesem Setting so Britisch klänge, hatte Austin auch keine Antwort - außer der, dass er diese Frage noch nie gestellt bekommen habe, aber selbst in Ed Sheeran ein großes Vorbild sähe. Ach ja: Aufgrund einer Verzögerung im Programmablauf gebührte Durry die Ehre, statt drei gleich vier Songs vortragen zu dürfen - was beim N-Joy-Bus absolut unüblich ist. Und Taryns Gesangbeiträge sind in diesem Setting dankenswerterweise deutlich prägnanter als auf Konserve.

Sekundengenau pünktlich zur einzigen wirklich relevanten Wetter-Kapriole auf dem gesamten Festival sollte ein Auftritt der Wuppertaler Songwriterin, Komponistin, DJane und Produzentin Maria Basel auf einer kleinen Open-Air Bühne bei dem HVV-Bus stattfinden. Ein einsetzender, heftiger Regenschauer machte aber zunächst mal eine spontane Umbaupause notwendig, im Rahmen derer ein Technikerteam einen der Party-Unterstände auf dem Gelände requirierte und über die Mikro-Bühne stülpten, so dass die beteiligten drei Musiker und zwei Tontechniker halbwegs im Trockenen sitzen/stehen konnten. So konnte Maria dann tatsächlich den geplanten Auftritt absolvieren - und erstaunlicherweise mit gar nicht mal so geringem Zuspruch, denn die Fans verharrten auch im strömenden Regen. Die Sache ist dabei die: Maria Basel hat als Förderpreisträgerin der Stadt Wuppertal nunmehr eine Solo-Karriere losgetreten, nachdem sie sich zuvor mit verschiedenen Kollaborationen - etwa mit Jonas David, Samy Deluxe oder der Kompanie des Tanztheaters Pina Bausch - bereits einen Namen gemacht hatte. Dieser Tage erschien nun ihre Solo-LP "Bloom", von der Maria bei dem Regen-Showcase einige Tracks präsentierte. Spielen auf der LP elektronische Grooves und Loops eine große Rolle, so überraschte Maria in Hamburg mit einem eher organischen Setup, bei dem ihre Roots aus Jazz, R'n'B und Soul deutlich zum Vortrag kamen. Obwohl das Material Marias eher gedämpften, melancholischen, nachdenklichen Downtempo-Charakters ist, präsentierte sie sich hier als gut gelaunte, lebhafte Animateurin, die sich nicht zu schade war, im strömenden Regen vor der Makeshift-Bühne das Publikum auch mal direkt einzubeziehen. Eine große Solo-Tour ist für Februar und März kommenden Jahres geplant.

Der Schweizer Cobee begann 2018 seine musikalische Laufbahn als CH-Rapper, wechselte 2021 ins Hochdeutsche und verabschiedete sich in diesem Jahr mit seinem zweiten Album "Bloomer" ganz vom HipHop. Heutzutage - so auch im Häkken Club - präsentiert sich Cobee als androgyner "Boogeyman" (so einer seiner inzwischen englischsprachigen Songs) und spielte mit einer zweiköpfigen Band als moderner Glam-Rock-Star auf. Dass Cobee heutzutage voll auf Rock abfährt, ließ sich schon beim dramatischen Intro in Form eines psychedelischen Schweinerock-Solos erahnen. Spätestens dann, als er dann selber zur Gitarre griff, war die Sache klar und ging gut nach vorne los. Dass der Meister kein großer Sänger ist, ist angesichts der Geschichte natürlich verständlich. Als jugendlich/blonder Lou Reed-Ersatz mit Tendenzen zum Sprechgesang machte er dann aber schon eine gute Figur. Kleine Anmerkung: Später am Abend standen Cobee und seine beiden Mitstreiter dann im Publikum des britischen Alternative Rock-Trios HotWax und feierten den kompromisslos harten Popstpunk-Sound der Band.

Im für diese Zwecke aufgrund seiner hohen Bühne bestens geeigneten Bahnhof Pauli präsentierte die schwedische Alt-Pop-Queen Hilde Skaar im folgenden die Tracks ihres aktuellen Albums "Mad Woman Pt. II" (im wesentlichen eine um einige neue Tracks ergänzte Sammlung von Tracks die zuvor auf der EP "Mad Woman Pt. I") versammelt waren. Auf der LP sind die mit teilweise brutal authentischen Selbstfindungs- und Empowerment-Lyrics versehenen Tracks mit jener Art von "zorniger Elektronika" angereichert, die Skaar selber als Fan von Acts wie Banks als Ideal ansieht. Für die Live-Präsentation hat Skaar allerdings ein anderes Konzept und arbeitet mit einer vierköpfigen Live-Band, die eher in Richtung organischer Disco-Sounds arbeitete, was Titeln wie "Obscene" oder "Get Him Away From Me" im Live-Setting vielleicht sogar noch mehr Nachdruck verlieh. Skaar selbst nutzte dabei jede Möglichkeit, die Fans mit einladenden Gesten zum Mitmachen zu bewegen, trug aber auch dafür Sorge, auf die nicht immer amüsanten Texte hinzuweisen. Ihr Rezept, düstere ernsthafte Lyrics mit eher lebensbejahender Pop-Musik zu kombinieren, funktionierte in diesem Setting jedenfalls ausgezeichnet. Denn Skaar gehört zu jener Generation junger Pop-Queens, die alleine im Party-Hedonismus eben nicht den Sinn ihres Tuns ausmachen, sondern Inhalt und Form in einer zwar unterhaltsamen, aber eben nicht alleine auf den Fun-Factor ausgelegten Weise zusammenführen.

Im Indra-Club ("Where the Beatles played first") spielte im Anschluss die australische Songwriterin Annie Hamilton ihr zweites Konzert auf dem Reeperbahn Festival. Nachdem zunächst beim Sound-/Linecheck technische Probleme aufgetreten waren, stürzten sich Annie und ihre Band im Anschluss mit einer "jetzt erst recht"-Attitüde ins Geschehen. Hatten Annie und ihre Musiker bereits am Tag zuvor im Molotow Backyard gezeigt, dass sie mit den Besten um die Wette rocken können (sogar im strahlenden Sonnenschein), so setzten sie dieses Mal zu einer normalen Roch'n'Roll-Zeit erkennbar noch eins drauf. Dabei versetzten sie selbst potentiell reinrassigen Popsongs wie der aktuellen Single "Dynamite" (somit einem der neuen Tracks auf der Setlist), der in der Studio-Version noch im E-Pop-Modus versackt, einen Tritt in den Allerwertesten - und das gar nicht mal ausschließlich mit brachialen Gitarrenriffs, sondern auch mal mit New Wave-Sounds und Disco-Bassläufen oder psychedelischen Jam Sessions. Irgendwie verstärkte sich bei dieser Show noch mal der Eindruck, dass es sich bei Annie Hamilton, der Studio-Musikerin und der Live-Annie um verschiedene Personas handelt, die nicht über das Format, sondern das Songwriting zueinanderfinden.

Arab Strap haben dann zu einem eindrucksvollen und intensiven Vortrag in das Grünspan geladen - im Rahmen ihrer "Philophobia Undressed"-Tour wurde das komplette Album gespielt, aber in einer abgespeckten Version nur mit Aidan Moffat und Malcolm Middleton auf der Bühne. Middleton wie bisher mit der Gitarre beschäftigt, während Moffat den Gesang übernahm, die Backing-Tracks startete und hin und wieder kleinere Schlagzeug-/Perkussion-Einsätze einstreute. Das sorgte für viele Gänsehaut-Momente und andächtiges Schwelgen im Publikum.

Im Molotow Backyard war dann wieder eine Rockdröhnung allererster Güteklasse angesagt. Das aus dem Projekt The Kliffs hervorgegangene, von den Schulfreundinnen Tallulah Sim-Savage und Lola Sam gegründete Trio HotWax aus Hastings zeigte, was man auch heutzutage noch mit Inspirationsquellen wie Grunge-Rock, Riot-Grrrl-Attitüde und Punk machen kann, wenn man sie durch einen zeitgemäßen Post-Punk-Wolf dreht. Einer der Tracks des Trios heißt "Rip It Out" (und ist der Lieblingstrack der Band). Und auch wenn der betreffende Song eher ein schmirgelndes Kaputnik-Blues-Flair versprüht beschreibt der Titel des Stücks eindringlich, was HotWax am Herzen liegt: Denn obwohl die Songs auf der gerade erschienenen Debüt-EP "A Thousand Times" noch vergleichsweise differenziert produziert erscheinen und auch psychedelische Elemente enthalten, so werden auf der Bühne keine Gefangenen gemacht und (musikalisch) alles rausgerissen, was nicht fest verdübelt ist. Wenn es der Kunstnebel zuließ, ließen sich dabei dann mehr coole Rockstar-Posen erahnen, als so mancher Hardrock-Truppe im Laufe ihrer ganzen Karriere einfallen würden - freilich ohne männliches Protzergehabe. Das war extracool und immens unterhaltsam - auch wenn danach die Ohren ordentlich klingelten.

Im Molotow Club stand dann die letzte von immerhin drei Brockhoff-Shows an. Da auf der Bühne Laptops eingesetzt werden sollten, gab es logischerweise technische Probleme während des Line-Checks (denn es gibt immer technische Probleme beim Line-Check, wenn Laptops auf der Bühne sind). Brocki spielte derweil ein ungeplantes, akustisches Stück, während das Bühnenpersonal versuchte, die Elektronik ans Laufen zu bekommen. Aber mal ernsthaft: Wozu braucht Brockhoff denn eigentlich Elektronik? Es funktioniert doch eigentlich immer dann am Besten, wenn möglichst straight gerockt wird. Immerhin sind die Tracks, die Brocki auf der aktuellen EP "I've Stopped Getting Chills For A While Now" zusammen fasste (die kurz nach dem Reeperbahn Festival erschienen ist), von der Substanz her so gut, dass sie auch ohne produktionstechnischen Firlefanz auskommen. Das zeigte sich im Molotow auch dadurch, dass die Band noch einen Touch tighter zusammenspielte, als bei der Show im Bahnhof Pauli zwei Tage zuvor. Daran mag auch die gelöste Stimmung im "besten Rockclub der Welt" (so Alex Lahey auf dem letzten Reeperbahn Festival) gelegen haben, bei der die Fans die Band mit begeistertem Applaus anfeuerte. Hier wie da war erneut eine inspirierte Live-Version des älteren Tracks "Milkteeth" das Highlight der Show. Zumal Brocki meinte, dass ihre Gitarre bei der Show im Bahnhof Pauli ein wenig schräg gestimmt gewesen sei. Schräg war im Molotow dann gar nichts - und schon gar nicht die Stimmung. Wenn da nichts Unerwartetes passiert, wird Brockhoff demnächst - vielleicht mit Katja Seiffert a.k.a. Blush Always - die Riege der veritablen Indie-Rock-Queens aus deutschen Landen anführen.
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Text: -Ullrich Maurer / David Bluhm-
Foto: -Ullrich Maurer-


 
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