Wer es heutzutage noch wagt, mit dem Anspruch an seine Kunst heranzugehen, Dinge realisieren zu wollen, die es vorher so noch nicht gegeben hat, der hat entweder gaaanz viel Chuzpe oder ist ein wenig (größen)wahnsinnig. Vermutlich trifft bei dem musizierenden Ehepaar Daniel Benjamin und Eleni Zafiriadou beides ein wenig zu. Was auf dem bereits vielgelobten Debütalbum noch eher fragmentarischen Charakter besaß, geriet auf dem nun vorliegenden zweiten Album, auf dem das Paar seinen "Ghost Pop" mit manischer Intensität zelebriert, zur formvollendeten, songorientierten Gesamtdröhnung.

"Evropi" ist ein Album, was auf der Tour-Diaspora mangels anderer Möglichkeiten im Kopf als eine Art Portrait unseres Kontinents und unserer Zeit(en) konzipiert wurde. Mit einem gewaltigen Ideenfundus verquicken Sea + Air hier auf exaltierte Weise Versatzstücke aus Klassik, Pop, Rock, Kraut, Psychedelia, Jazz, Folklore und Folk zu höchst eigenwilligen, operettenhaft dramatischen Art-Pop-Kleinkunstwerken. Dabei wird keine Rücksicht auf irgendwelche Befindlichkeiten genommen und alle Ideen bis ins Detail und ins Extrem ausgelobt.

Die gewaltige dynamische und emotionale Bandbreite zwischen Genie und Wahnsinn ist es dann auch, die diese bemerkenswerte Scheibe bei allem Nonsense dann am Ende doch auf sympathische Weise sinnvoll erscheinen lässt. Sea + Air leben und zehren von den scheinbaren Gegensätzen, die sich in ihrer Kunst so finden und nehmen die Zuhörer mit bei ihrem abenteuerlichen Trip durch das musikalische Wunderland Europa. Und mal ehrlich: Wer vermisst da noch angelsächsische Tugenden und Hörgewohnheiten?