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21.06.2013
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SIMON JOYNER

Ein ganz normales Genie

Simon Joyner
Simon Joyner ist nicht berühmt. Trotzdem ist der 42-jährige Amerikaner einer der besten Singer/Songwriter unserer Zeit, einer, der selbst Vergleiche mit Unantastbaren wie Leonard Cohen oder Bob Dylan nicht zu scheuen hat. Beck zählt den unscheinbaren Mann aus Omaha, Nebraska, zu seinen Lieblingsmusikern, John Peel war 1994 so von Joyners Post-Punk-Glanztat "The Cowardly Traveller Pays His Toll" begeistert, dass er gleich die komplette LP (!) über den Äther jagte, John Darnielle von den viel geliebten Mountain Goats war mehrfach für Kollaborationen zu haben, und Bright Eyes-Vordenker Conor Oberst verdankt Joyner sogar seine Karriere, schließlich erschienen seine ersten musikalischen Gehversuche Anfang der 90er auf dessen Sing-Eunuchs!-Label - auf Cassette und zum moderaten Mailorderpreis von drei Dollar.

Fast zwanzig Platten in ebenso vielen Jahren hat Joyner auf renommierten Indielabels wie Jagjaguwar, Shrimper oder Team Love inzwischen veröffentlicht, seine Liebe zu Lo-Fi-Sound und Underground-Ästhetik hat er sich dabei immer bewahrt. Sich daheim gemeinsam mit seiner Frau um seine drei Kinder zu kümmern, war ihm stets wichtiger, als mit monatelangen Gastspielreisen für seine immer wieder anders klingenden brillanten Platten zu werben. Wer seine Musik hören will, muss danach suchen und Umwege in Kauf nehmen. So erlaubte Joyner sich letztes Jahr, sein Album "Ghosts" lediglich auf Vinyl zu veröffentlichen, und auch seine just erschienene Zusammenarbeit mit Shrimper-Gründer Dennis Callaci kommt in Deutschland ohne geregelten Vertrieb aus. Eingespielt mit seiner bereits auf "Ghosts" erfolgreich eingesetzten derzeitigen Band mit jungen lokalen Talenten klingt Joyner auf dem "New Secrets" betitelten neuen Gemeinschaftswerk trotz ungeschönter Ursprünglichkeit und bisweilen etwas irritierender First Take-Momente versöhnlicher als auf dem betont düsteren, dissonanten letztjährigen Doppel-Album und beweist mit seiner Hinwendung zu einem rustikalen Americana-Sound einmal mehr eindrucksvoll, dass er sich nicht festlegen lässt.

Vor seinem phänomenalen Auftritt im Kölner King Georg Mitte April hatten wir die Gelegenheit, mit dem grundsympathischen, herrlich unaufgeregten Troubadour der Sonderklasse beim Warten auf das Abendessen zwanglos über 20 Jahre Underground-Dasein zu plaudern.

GL.de: Wie ist es, im Jahre 2013 Simon Joyner zu sein?

Simon Joyner: Mein Leben heute unterscheidet sich nicht groß von dem im Jahre 1993. Seitdem habe ich ständig Songs geschrieben und alle paar Jahre eine Platte gemacht. Ich lebe immer noch in Omaha und reise ein wenig umher, wann immer sich mir die Chance dazu bietet. Ich habe ein Label, auf dem ich die Musik anderer Künstler herausbringe. Eigentlich mache ich also das Gleiche wie immer, allerdings versuche ich natürlich, es stets ein wenig anders als beim Mal zuvor zu machen.

GL.de: Schön, dass du das sagst. Die meisten Musiker geben sich ja die größte Mühe, die Veränderungen in ihrem Leben und Wirken zu unterstreichen, deshalb ist deine Aussage sehr erfrischend. Trotzdem stellt sich die Frage, wie du es eigentlich geschafft hast, trotz deines offensichtlichen, immensen Talents nie groß rauszukommen?

Simon: Wie ich es geschafft habe, den Durchbruch zu vermeiden? Das ist eine klasse Frage! Ich denke, die Musik, die eine große Öffentlichkeit erreicht, ist vermutlich einfach nicht so undurchdringlich, weniger subtil, textlich unkomplizierter und in puncto Melodien und Sound einfach zeitgeistiger. Wenn ich Platten gemacht habe, habe ich immer lediglich darüber nachgedacht, was mir gefallen würde, und nie darüber, was bei anderen Leuten gerade angesagt ist. Außerdem habe ich es für den Großteil meiner Karriere vermieden, auf Tournee zu gehen. In den 90ern war das noch in Ordnung, denn es fanden sich immer Labels, die meine Platten trotzdem veröffentlicht haben. Sie zu kaufen, war schließlich die einzige Möglichkeit, sie zu bekommen. Heute [im Zeitalter der illegalen Downloads] sind die Plattenfirmen sehr erpicht darauf, dass ihre Künstler touren, weil das heute der beste Weg ist, Musik zu promoten und ein paar Platten zu verkaufen. Deshalb ist es praktisch, dass ich es mir inzwischen erlauben kann, öfter von zu Hause weg zu sein. Allerdings muss ich auch gestehen, dass ich meinen Underground-Status sehr mag, weil er es mir erlaubt, ausschließlich das zu tun, wonach mir der Sinn steht. Deshalb kann ich zum Beispiel problemlos einem ganz sanften, ruhigen Album eine laute, wilde Rock-Platte folgen lassen. Ich folge da dem Vorbild von Neil Young: Tue immer das, was dein Herz dir sagt - und mache dir um nichts sonst Gedanken! Dazu muss ich sagen, dass ich die andere Seite ja auch kenne: Ich habe eine Menge Freunde, die eigentlich das Gleiche gemacht haben wie ich und plötzlich einen Hit hatten. Danach steckten sie alle gewissermaßen in einer Zwangsjacke. Die wenigsten würden das zugeben, aber es ist zweifelsohne so. Sie machen sich unweigerlich Gedanken wie: "Nun habe ich soundso viele Exemplare verkauft, was sollte ich nun wohl als Nächstes tun?" Erfolg zu haben, verändert deine Art zu schreiben und aufzutreten, besonders, wenn deine Shows plötzlich in größeren Sälen stattfinden. Ich vermeide es, große Venues zu besuchen, und bin froh, dass meine Auftritte genau in der Art von Läden stattfinden, in denen ich selbst gerne Konzerte sehe - und keinesfalls in größeren. Den Freunden von mir, die in großen Theatersälen auftreten, kann ich ansehen, dass es für sie ein wenig wie ein Job mit der Stechuhr ist. Sie blicken in einen vollkommen dunklen Raum und haben nicht die Chance, eine Verbindung zu den Zuschauern aufzubauen. Für sie ist es Arbeit, während für mich Konzerte eine natürliche Verlängerung meines Schreibens sind. Müsste ich auf einem höheren Level auftreten, würde mir eine Menge Spaß verloren gehen. Allerdings muss ich gestehen, dass der Erfolg natürlich auch seine Vorteile hat. Mehr als einmal habe ich mir Geld von Musikerfreunden geliehen, die finanziell viel besser dran sind als ich! Trotzdem bin ich unter dem Strich sehr zufrieden mit dem Stand, den ich habe. Die Tatsache, dass ich neben der Musik stets wirklich arbeiten musste, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten, hat mich immer wieder mit Themen versorgt, über die ich schreiben konnte, denn mein gewöhnliches Leben ähnelt dem vieler Charaktere aus meinen Songs. Anders als Bruce Springsteen muss ich mir nicht erst vorstellen, wie es ist, sich als Arbeiter durchzuschlagen. Das sorgt meines Erachtens für künstlerischen Tiefgang. Es fühlt sich richtig an.

GL.de: Womit verdienst du eigentlich deinen Lebensunterhalt?

Simon: Ich verkaufe gewerblich Möbel und Antiquitäten auf eBay. Ich habe dafür ein Lagerhaus, das mir auch als Proberaum und Aufnahmestudio dient. Ich habe Zulieferer, die sich mit Antiquitäten auskennen, und ich bin letztlich nur derjenige, der die Stücke fotografiert, auf eBay listet und dafür einen kleinen Anteil kassiert. Ich kaufe also selbst nichts an, ich bin nur der Mittelsmann, der die Möbel weiterveräußert. Das mache ich jetzt seit ungefähr elf Jahren. Das ist ein stinknormaler Job, von neun bis fünf, aber immerhin bin ich mein eigener Boss, und wenn mal eine Tournee ansteht, kann ich problemlos freimachen.

GL.de: Du hast bereits erwähnt, dass du immer in Omaha gelebt hast. Wie hast du den Boom erlebt, der durch die Erfolge des Saddle Creek-Labels im Allgemeinen und von Bright Eyes im Speziellen ausgelöst wurde?

Simon: Als ich in Omaha anfing, gab es keine Orte, an denen man Konzerte spielen konnte. Damals wichen wir auf Hauskonzerte aus oder traten in Restaurants auf, nachdem die regulären Gäste weg waren. Gut daran war, dass deshalb nur die Leute, die wirklich Engagement und Hingabe zeigten, vorwärtskamen. Allerdings legten uns die Stadtoberen damals auch viele Steine in den Weg. Sie machten spezielle Kontrollen in der Hoffnung, Jugendliche beim Trinken zu ertappen, damit sie die wenigen Clubs, die es gab, auch noch schließen konnten. Das änderte sich, als der Boom einsetzte. Auf einmal wurde die Musikszene zum Aushängeschild der Stadt. Als Omaha plötzlich unter das Mikroskop geriet und auf einmal alle über die Musikszene unserer Stadt schrieben, kamen unglaublich viele talentierte Menschen zu uns, weil sie Teil unserer Szene sein wollten. Das war nicht zuletzt deshalb spannend, weil sich dadurch auch für die Alteingesessenen neue Chancen ergaben. Gleich eine ganze Reihe Menschen eröffnete neue Clubs in der Stadt und ganz generell entstanden eine Menge neuer Auftrittsmöglichkeiten. Zuvor gab es ja nur eine Handvoll Leute, die in stets ähnlichen Konfigurationen zusammen Musik gemacht hatten. Durch den Strom der Neuankömmlinge wurden die Karten vollkommen neu gemischt.

GL.de: Deine Platten sind immer wieder durch unterschiedliche Einflüsse gekennzeichnet. Auf einigen deiner Frühwerke hört man deutlich die klassischen Singer/Songwriter der 60er heraus, auf "Ghosts" letztes Jahr war eine Liebe zu dunklen, dissonanten Tönen nicht zu überhören. Wie kommt es also, dass bestimmte Einflüsse, die dich sicher schon dein ganzes Musikerleben begleiten, mal mehr, mal weniger deutlich auf deinen Platten durchscheinen?

Simon: Den Ausschlag dafür gibt, was ich in dem Moment gerade gerne höre oder auch lese. Bei "Ghosts" war es so, dass die Songs auf verschiedene Weise alle sehr düster waren und sich der Tod als Thema durch die gesamte Platte zog. Ich wollte, dass sich die Dissonanzen im Leben der Menschen, über die ich schrieb, auch in der Musik widerspiegeln. Das Ganze sollte aber nicht trist, sondern bewusst atonal sein. Deshalb gibt es auf der Platte eine Menge Noise und experimentelle Klänge, die ich unter das gemischt habe, was eigentlich Rock-Songs für eine Rock-Band waren. Hinzu kam, dass ich inzwischen seit einer Weile mit meiner aktuellen Band zusammenspielte. Wir haben uns oft gegenseitig Platten vorgespielt, und das hat dazu geführt, dass ich all meine Neuseeland-Platten wieder für mich entdeckt habe, die mich zuvor vor allem zu "The Cowardly Traveller Pays His Toll"-Zeiten beeinflusst hatten. Damals hatte ich gerade This Kind Of Punishment, Alastair Galbraith, Peter Jefferies, The Cakekitchen und all diese Bands für mich entdeckt. Das war Musik, die damals ungemein inspirierend für mich war, um die Themen, über die ich schrieb, nicht nur mit einer Akustikgitarre und Stimme, ganz auf den Text konzentriert, sondern auch musikalisch wirklich adäquat zu kanalisieren. Mit meiner aktuellen Band kehre ich nun gewissermaßen zu dieser alten Herangehensweise zurück. Meine derzeitigen Musiker sind alle deutlich jünger als ich und haben die Neuseeland-Szene durch mich gerade erst für sich entdeckt. Da die Songs, die sich bei mir zu stapeln begannen, passend erschienen, dachte ich: "Warum versuchen wir uns mit der neuen Band nicht an einer Variation dessen, was ich damals gemacht habe?"

GL.de: Du bist bis heute ein großer Anhänger analoger Produktionen. Was genau magst du daran?

Simon: Ich mag die Wärme des Tape-Klangs und die Limitierungen, die die analoge Technik mit sich bringt. Du kannst nicht alles ständig überdenken, endlos ändern oder so lange darum herumdoktern, bis es "perfekt" ist. Es wäre zu viel Aufwand, alles zu bereinigen, deshalb bleiben die Fehler drin. Das Element des Zufalls und die kleinen Unsauberkeiten, die sich beim Aufnehmen unweigerlich einschleichen, machen das Besondere an Musik aus. Alle meine Lieblingsplatten haben Fehler. Auf "Blonde On Blonde" singt Dylan zum Beispiel beinahe etwas, und man kann hören, wie er sich im letzten Moment anders entscheidet. Auf anderen Platten hört man, wie jemand einen falschen Ton spielt und dann ganz schnell zum richtigen hochrutscht. Dadurch wird für mich alles viel echter!

GL.de: Letzte Frage: Bedeutet das, was du soeben gesagt hast, dass du heute eher ältere Musik hörst, oder verfolgst du auch aktuelle Trends? Viele Menschen sind ja heute von den aktuellen Sachen gelangweilt, weil sie sich so offensichtlich auf die Vergangenheit beziehen.

Simon: Es stimmt, viele alte Sachen lassen die Musik von heute ziemlich blass aussehen. Ich persönlich versuche trotzdem, offen für alles zu sein. Ich verschließe mich keinem Feld der Musik, denn es gibt tolle Künstler in jedem Genre. Man muss sie nur finden. Ich höre gerne die Podcasts des Senders WFMU, denn die DJs dort sind sehr geschmackssicher, und weil sie viele alte Sachen spielen, die ich bereits mag, vertraue ich darauf, dass sie auch bei den neuen Sachen die finden, die mich interessieren. Das erspart mir gewissermaßen die Auseinandersetzung mit dem kompletten Wust an neuer Musik. Es gibt auch einige Labels, deren Macher einen außergewöhnlich guten Geschmack haben, und wenn sie etwas veröffentlichen, höre ich hin. Natürlich kannst du nicht alles mögen, aber zumindest besteht dort ein gewisses Qualitätsniveau. Es ist natürlich schwer zu erklären, was mich inspiriert und was nicht. Letztlich muss vor allem das Songwriting stimmen. Wenn du kein guter Songschreiber bist, kann der Sound genau richtig sein und trotzdem passt es am Ende nicht. Das Songwriting ist das, was die Musik emporhebt. Es gibt eine Menge populärer Singer/Songwriter, bei denen ich denke: "Das ist nichts, da fehlt der Song!" Die Musik kann herrlich sein, die Produktion ist großartig und alle, die bei der Nummer mitspielen, sind äußerst talentiert, aber der Song an sich fehlt. Für mich ist das Ganze dann bedeutungslos.

Weitere Infos:
www.simonjoyner.net
www.facebook.com/simonjoyneromaha
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Sara Adkisson-
Simon Joyner
Aktueller Tonträger:
Ghosts / New Secrets
(Sing Eunuchs!/Shrimper)
 

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