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11.11.2016
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AGNES OBEL

Das Geheimnis der Transparenz

Agnes Obel
Als die in Berlin lebende und arbeitende Dänin Agnes Obel an den Songs ihres aktuellen, dritten Albums arbeitete, stieß sie auf den in unseren Breiten gerne verwendeten Begriff des "gläsernen Bürgers". Wie wir alle wissen, ist damit die erzwungene Transparenz gemeint, der sich jedermann auszusetzen hat, der auf irgendeine Art und Weise im politischen oder sozialen System verhaftet ist (alle also, außer vielleicht dezidierter Anarchisten). Den Begriff fand Agnes so reizvoll, dass sie beschloss, ihn zum Thema des neuen Werkes zu machen, das sie demzufolge "Citizen Of Glass" nannte. Doch Agnes Obel wäre nicht sie selbst, wenn es ihr dabei einfach nur um das Wortspiel oder die klassische, politische Bedeutung des Begriffes gegangen wäre.

"Nein - darum ging es mit nicht", bestätigt Agnes, "ich fand es damals sehr überraschend, als ich diesen Begriff gelesen habe. Der Idee, wie sehr wir alle durch die neuen Technologien und sozialen Medien unter Beobachtung stehen, stehe ich sehr kritisch gegenüber und ich denke, wir sollten uns dieses vergegenwärtigen. Denn schließlich werden wir von bestimmten Firmen kontrolliert, die dann auch noch Zugriff auf alle unsere Informationen haben. Das macht irgendwie auch Angst. Ich finde das gleichzeitig aber auch sehr interessant - obwohl ich meine, dass wir uns wieder stärker darauf konzentrieren sollten, nach innen zu blicken anstatt auf die Oberfläche, die wir nach außen hin darstellen." Das heißt also, dass das Thema der Scheibe die Transparenz ist, der wir uns selbst passiv - oder aktiv über die sozialen Medien - hingeben? "Teilweise", schränkt Agnes ein, "denn ich wollte auch über Geheimnisse schreiben. Ich finde, dass Geheimnisse etwas wundervolles sind, weil das etwas ist, das nur dir gehört und es niemand wegnehmen kann. Man kann Geheimnisse dazu verwenden, seine Einzigartigkeit herauszustellen." Was meint das denn genau? "Nun, das ist die Art in der ich Schreibe", verrät Agnes, "indem ich nämlich nicht alles ausbuchstabiere und alles genau erkläre. Es müssen schon Geheimnisse übrig bleiben - denn es ist so, dass sich die Dinge verändern, wenn du etwas über dich preisgibst. Und du kannst das niemals zurücknehmen. Das sollten wir eben stets berücksichtigen. Ein Beispiel ist der letzte Song, 'Mary', in dem es - wie bei dem Song 'Familiar' - um ein Geheimnis geht. 'Mary' hat ein schreckliches Geheimnis, das sie bedrückt und befreit sich schließlich von diesem. Diese stelle ich durch diesen verhallten Schlussakkord dar, der symbolisieren soll, wie befreiend oder erlösend es sein kann, wenn man seine Geheimnisse offenbart". Ist das denn nun alles positiv oder negativ zu sehen? "Das kann man so einfach gar nicht sagen", überlegt Agnes, "und zwar gibt es noch einen interessanten Aspekt: Man kann nämlich gar nicht alles über sich preisgeben, weil man selbst nicht alles über sich weiß. Wir sind uns ja selbst zuweilen ein Mysterium. Auch als gläserne Bürger. Ich denke einfach, wir haben die ganze Sache noch gar nicht bis ins letzte durchdacht oder verstanden. Kurz gesagt: Ich versuche einfach auszudrücken, wie sich das alles für mich anfühlt."

In der Tat ist die Songwriterin Agnes Obel ja alles andere als eine klassische Storytellerin. Gibt es denn für sie eine Art Code, an der sie ihre eigenen Texte festmacht? "Ich habe schon eine klare Vorstellung darüber, worum es in meinen Songs geht", erklärt Agnes, "aber ich verwende lieber Bilder als Formulierungen und Beschreibungen, um das auszudrücken. Wenn ich allerdings auf meine früheren Songs zurückblicke, wird mir manchmal klar, dass ich mich mit Dingen beschäftigte, über die ich mir damals gar nicht im klaren war. Das ist aber das was ich meine, wenn ich sage, dass man gar nicht alles über sich selbst wissen kann. Man muss schon offen für Mysterien sein." Gibt es denn da eine Art Fazit? "Nun, ich will sagen, dass ich nicht alles weiß und mich für alles offen zeigen will", führt Agnes aus, "deswegen haben auch meine Songs eine gewisse Offenheit. Manches muss einfach unausgesprochen bleiben." Welche Funktion haben eigentlich in diesem Zusammenhang die Instrumentals für Agnes? "Manchmal will ich einfach eine Geschichte erzählen, für die ich aber keine Worte finde", antwortet Agnes, "ich liebe es, wenn die Musik und die Worte verbunden sind. Ich möchte schließlich ein Bild mit Klängen malen. Zum Beispiel Glas, das unter deinen Füßen in kleine Stücke zerbricht. Manche Stücke brauchen so dann aber auch gar keine Worte - so lange ich fühle, dass die Geschichte da ist. Ich habe sogar noch mehr solche Stücke, die aber nicht den Weg auf das Album gefunden habe, weil sie nicht zum Feeling des Albums passten."

Damit sind wir bei den musikalischen Aspekten angelangt: Agnes verwendete auf dem neuen Album eine Reihe antiker Instrumente wie z.B. einem Cembalo oder einem Trautonium (was so etwas wie der Vorläufer eines Synthesizers aus den 30er Jahren ist, der über seinen Einsatz in Alfred Hitchcocks "Die Vögel" Bekanntheit erlangte), die sie aus einem Musik-Museum entliehen hatte. War da vielleicht auch eine Glas-Harfe dabei - was ja auf der Hand gelegen hätte? "Leider nicht", räumt Agnes ein, "ich habe mir aber eine angeschaut - und auch eine Glasorgel, die ich in Frankreich fand. Sie wäre aber zu schwer zu transportieren und einzusetzen gewesen." Nun ist es überhaupt so, dass man sich nie so recht sicher sein kann, welche Instrumente auf "Citizen Of Glass" zum Einsatz kommen, da Agnes alles Mögliche miteinander kombiniert (ein wenig so, wie Brian Wilson das zu "Pet Sounds"-Zeiten tat). "Ja, aber mir ging es ja auch darum, eine neue Klangpalette für mich zu finden", meint Agnes, "auf eine gewisse Art ist das dann so, als fände man neue Instrumente - indem man zum Beispiel drei unterschiedliche Instrumente kombiniert. Und ehrlich gesagt, macht das auch mehr Spaß als immer nur das Klavier zu spielen. Man hat dann halt ein bisschen vom Charakter eines jeden Instrumentes und findet so neue Klänge. Das habe ich sehr genossen."

Agnes Experimentierlust bezog sich aber nicht nur auf die musikalischen Arrangements. Sogar ihrer Stimme verpasste sie ein Treatment - was sogar so weit führte, dass sie mittels eines Harmonizers mit sich selbst ein Duett in verschiedenen Tonlagen führte. "Ich muss dich da korrigieren", meint sie, "denn ich habe einen Pitch-Shifter verwendet. Ein Harmonizer mischt Harmonien in die eigene Stimme, während ein Pitch-Shifter die Tonhöhe verändert. Ich denke, ich bin auf diese Idee gekommen, als ich versuchte, die Tonhöhen all dieser verschiedenen historischen Instrumente anzugleichen. Ich wusste also, wie man mit einem Pitch-Shifter umgeht und fand es ganz natürlich, das auch mal mit meiner Stimme zu probieren." Aber warum denn nur? Ging es vielleicht darum neue Charaktere einzuführen oder bestimmte Aspekte zu betonen? "Ich denke beides", überlegt Agnes, "ich war ja auf der Suche nach diesen Glas-Klängen, wie ich schon sagte - unter anderem, um verschiedene Identitäten zu etablieren. Ich denke auch, dass wir alle verschiedene Stimmen und verschiedene Ideen darüber, wer wir eigentlich sind, in uns herumtragen. Können wir eigentlich nicht alle sein, wer wir sein wollen? Mir wurde schnell klar, dass ich hier nicht einfach mit einer Stimme singen kann, wie sonst. Ich habe also schon mal von vorneherein versucht, höher oder tiefer zu singen - was ja nur bis zu einem gewissen Grad möglich ist. Da war ich ganz froh, dass ich auf die Idee mit dem Pitch-Shifter gekommen bin. Es war sehr spannend, damit zu experimentieren. Ich fand, das sich die so entstandene Stimme wie ein Geist klingt - auf jeden Fall aber wie ein Mann. Ich fand es sehr schön zu singen und dann zu erleben wie anders als sonst das klingt." Kennt Agnes Obel vielleicht Lapsley - die dieses Prinzip ja fast zum Gimmick erhoben hat? "Nein, die kenne ich nicht", meint Agnes, "aber das Prinzip ist ja nicht ganz neu. Das hat Laurie Anderson schon mit 'Oh Superman' gemacht - obwohl sie tatsächlich einen Harmonizer verwendet hat. Ich habe das also nicht erfunden - aber für mich fühlte es sich ganz neu an."

Es gibt noch ein interessante musikalische Randnote: Viele von Agnes’ Songs basieren auf einem Walzer-Motiv. Woher kommt das denn eigentlich? "Das weiß ich auch nicht so genau", gesteht sie - und muss dann auch lachen, als sie darüber nachdenkt, "ich denke, ich liebe einfach den inneren Puls eines Walzers. Manchmal wähle ich ja sogar einen 6/8 Rhythmus - also tam-dadada anstatt tam-dada. Und ich gebe zu, dass mir das auch manchmal auffällt, wenn ich eine Setlist schreibe und dann feststelle, dass ich eigentlich zu viele Walzer habe. Aber ich kann da nicht raus. Schon als Kind habe ich Walzer geliebt. Ich denke einfach, ich identifiziere mich halt mit dieser Art der Bewegung." Wie sagt Agnes so schön: Man kann ja nicht alles über sich wissen und manches muss auch unausgesprochen bleiben. Das kann man so stehen lassen.

Weitere Infos:
www.agnesobel.com
www.facebook.com/agnesobelofficial
twitter.com/agnesobel
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Pressefreigabe-
Agnes Obel
Aktueller Tonträger:
Citizen Of Glass
(Pias/Rough Trade)
 

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