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ESCAPOLOGISTS
 
Flucht nach vorne
Escapologists
Nottingham, so scheint es, ist momentan so etwas wie der neue Nabel der musikalischen Avantgarde in England. Zunächst waren es ja nur Graham Langley und Savoy Grand mit ihrer Neudefinition des Zeitlupen-Core, die auf das Städtchen des bösen Sheriff aufmerksam machten. Dann kamen noch Seachange hinzu, die uns wortreiche, verschachtelte Rockmusik brachten und nun kommen die (nicht "the") Escapologists, ein ungewöhnliches Rock-Power-Trio mit einer ganz eigenen Note hinzu. Das Ungewöhnliche an dieser Konstellation: In allen drei Bands spielt ein gewisser Neil Wells mit. Wells ist ein musikalischer Tausendsassa, der anscheinend nicht ausgelastet genug sein kann. Neben diesen Bands hat er - quasi zur Entspannung - nämlich auch noch ein Elektronik-Projekt namens Line am Köcheln. Dabei fing im Prinzip alles mit den Escapologists an. Es ist nämlich so, dass Wells mit seinem Jugendfreund Peter Fletcher eine Band gründete - bevor er noch die anderen Projekte begann. Später wanderte noch Drummer Jorge Lerda aus Argentinien zu.
Doch lassen wir die Jungs einmal selber zu Wort kommen: "Neil und ich haben uns in der Uni getroffen", erklärt Peter Fletcher und Neil fügt hinzu: "Ja, und da waren wir dann auch gleich drei oder vier Jahre zusammen in einer Band. Es war eine Noise-Band. Aber irgendwann mussten wir uns ja auch um die Uni kümmern, und dann haben wir uns ein wenig aus den Augen verloren. Pete hat zu der Zeit auch Techno gemacht. Sein Projektname war damals schon Escapologists. Das haben wir dann also übernommen, als wir diese Band begannen. Vor ein paar Jahre begannen wir dann wieder zusammenzuspielen. Da kam dann auch Jorge dazu." - "Der Grund, warum wir wieder zusammen kamen, war der, dass wir gemerkt hatten, dass wir alles ein wenig einfacher strukturieren sollten", erklärt Peter den neuerlichen Schritt. Eine Erkenntnis, die vielleicht sogar auf dem Techno-Abenteuer basiert. In der Anfangsphase war bei den Escapologists, die ja im Grunde genommen eine Rockband sind, ein Keyboarder dabei. Auf der Scheibe fehlt dieser, bei den Live Konzerten ist wieder einer dabei. Was steckt denn hinter diesem Prinzip? "Als wir begannen, live zu spielen, merkten wir sehr schnell, dass wir noch etwas brauchten, um unser Soundspektrum als Trio auszufüllen", erläutert Peter, "da baten wir dann einen Freund von der Band Sweetbriar uns als Keyboarder auf der Tour zu begleiten." Wenn man das jetzt mal alles zusammenfaßt: Wofür steht heutzutage der Name Escapologists? Interessanterweise erklärte uns neulich Paul Austin von Transmissionary Six, dass er sich auch als Eskapisten betrachte - allerdings Eskapismus hierbei nicht im klassischen Sinne bedeutet, der Welt und der Realität zu entfliehen, sondern mittels der Musik zu neuen Ufern aufzubrechen. "Das trifft es ganz gut", erklärt sich Neil bereit, beizupflichten. "Ja, es ist eine lange Zeit her seit ich mir den Namen aussuchte, aber ich denke, Musik existiert für mich auf einer vollkommen anderen Ebene als alles andere", fügt Peter hinzu, "es ist schon eine Art von Flucht, die ich mit dem Musizieren betreibe. Es war aber gar nicht so kalkuliert. Ich dachte einfach, der Name klingt gut."
Hatten die Escapologists ein Sound Design im Kopf, als sie ihr Projekt starteten? Die Frage ist insofern notwendig, als das die Musik der Escapologists, obwohl sie eigentlich dem gar nicht so unüblichen Terrain des Schrammelrockmusikantentums entspringt, doch eine gewisse eigene Note hat, die sich durch einen sehr trockenen Sound, ungewöhnliche Harmoniestrukturen, fast Art-Rock-artige Dynamiksprünge und einen treibenden, polternden Rhythmus auszeichnet. "Ein Sound Design?", fragt Neil, "ich denke einfach, dass wir versucht haben, eine interessant klingende Scheibe aufzunehmen. Es passierte alles vergleichsweise organisch. Der Grund, warum unser Pianist uns verlassen hatte, war der, dass sich einfach zu viele Leute mit zu vielen Ideen in der Band befanden. Wir mussten das irgendwie unter einen Hut bringen. Aber Kompromisse machen die Musik eigentlich immer langweilig. Man muss eine zentrale Idee haben, die das Ganze trägt. Das ist der Grund, warum wir jetzt als Trio agieren." Das wichtigste dabei ist dann im Ergebnis, dass die Escapologists nicht nach einer bestimmten Band klingen und auch keinen bestimmten Stil verfolgen. "Also die Sache ist die", wirft Drummer Jorge ein, "ich habe mal ein Interview mit dem russischen Regisseur Tarkowski gelesen. Er redete über einen anderen Regisseur, den Franzosen Robert Bresson. Er sagte, dass Bresson ein Genre für sich selbst sei. Diese Idee gefällt mir. Und so sehe ich die Escapologists auch." - "Also was wir machen ist ja im Grunde genommen Indie-Gitarren-Rock", ergänzt Neil, "die Dinge, die uns musikalisch inspirieren, sind aber nicht Gitarrenrock-Bands. Ich würde solche Inspirationen auf anderen Feldern sehen - wie z.B. Techno oder House; irgendetwas, was nichts mit Rock zu tun hat. Es scheint mir, dass momentan eine ganze Menge Gitarrenmusik gemacht wird, die sich zu sehr an bestimmten Perioden orientiert und deswegen ziemlich Retro klingt. Ich habe in den letzten Bands jede Menge Bands gehört, die wie New Wave Bands klingen. Einige davon sind auch richtig gut, aber der Grund, warum die ursprünglichen New Wave Bands aufregend klangen, ist der, dass sie sich selbst gar nicht als solche sahen und gar nicht an ein Label wie New Wave dachten. Ich frage mich, was der Grund ist, wenn man versucht, einen anderen Musikstil zu emulieren. Das kommt mir irgendwie sinnlos vor und das möchte ich selbst vermeiden." - "Es wäre schrecklich, wenn wir am Ende unserer Laufbahn sagen müssten, dass wir wie eine andere Band klängen", gibt Peter zu bedenken, "es ist nicht so, dass man sich selbst aussuchen kann, was man schreibt. Man setzt sich mit der Gitarre hin und schaut zu, was passiert." - "Ja, aber wir versuchen, Klischees so gut wie möglich zu vermeiden", ergänzt Neil. Heißt das, dass die Songs innerhalb der Band entstehen? "Oh ja", antwortet Jorge. "eine Menge der Ideen entstehen in Jam Sessions. Wir spielen dann alle mit Arrangements und Ideen herum." - "Wir fangen oft mit einer Gitarrenidee an", beschreibt Peter, "ich habe z.B. noch nie jemandes anderen Stücke gespielt. Also spiele ich auf meine ganz eigene Art. Aber wir haben kein bestimmtes Rezept, sondern sind für alle Ideen offen. Im Tourbus haben wir einen Rekorder, auf dem wir alles mögliche aufnehmen, was uns einfällt. Das heißt aber nicht, dass alles gut ist, was wir so sammeln." - "Nein, manchmal ist es einfach Müll", bestätigt Jorge, "aber vielleicht kann man es später ja noch einmal verwenden. Hauptsache, es ist eigenständig. Vielleicht sagt ja in ein paar Jahren mal jemand, dass jemand anderes wie die Escapologists klingt." - "Nun, da haben wir aber noch einen langen Weg vor uns", lacht Neil.
Neil singt nicht nur, sondern schreibt auch die Texte bei den Escapologists. Was sind denn seine Lieblingsthemen? "Manche Songs haben eine kleine Story, aber hauptsächlich interessiert mich ein bestimmtes Thema oder eine Idee, die in meinem Kopf herumschwirren und mich beschäftigt." - "Was denn für Themen?" fragt Peter ganz unschuldig. "Ich will da nicht drüber reden", grummelt Neil, "wie ich es sehe, versuche ich nicht deutlich zu machen, worum es bei einem bestimmten Song geht, weil die Worte für sich selbst stehen sollen." Dann überlegt er einen Moment und meint: "Naja, um ehrlich zu sein, würde es vermutlich sehr viel langweiliger, wenn ich die Sachen alle explizit erklären würde." Was ist denn dann die Funktion der Texte? "Das ist ein interessanter Punkt", meint Jorge, "weil wir nämlich als Instrumental-Band begannen und dann irgendwann realisierten, dass etwas fehlte. Deswegen baten wir Neil, etwas zu singen." - "Also die beste Art für mich es zu erklären wäre, meine Texte als Vorschläge für Lösungen zu Problemen, die mich betreffen, zu betrachten", rückt Neil schließlich doch noch mit einem Angebot heraus, "ich stelle mir selbst Fragen und versuche, sie mir zu beantworten. Mich interessiert im allgemeinen, wie Probleme angegangen werden." Wohin geht denn die musikalische Reise in der Zukunft? "Die Sache ist die", erklärt Neil, "die Art, in der wir Songs schreiben, verlangt praktisch noch nach Zutaten neben der Gitarre. Auf der nächsten Scheibe wird also wohl mehr passieren in Bezug auf Texturen und Strukturen. Es wird wohl darauf hinauslaufen, dass wir weiterhin jemanden bitten werden, uns auf Tour zu Hand zu gehen, aber die Dynamik innerhalb der Band soll mit uns dreien bestehen bleiben. Einfach deswegen, weil die Balance stimmt. Am Ende des Tages sind wir nämlich alle Control-Freaks - da wäre ein zusätzliches Mitglied eher hinderlich." - "Das stimmt, wir sind alle ziemlich kompromisslos", ergänzt Peter, "nicht unbedingt nur in Bezug auf unsere eigenen Ideen, aber auf das, was wir uns einigen können. Wir diskutieren alles sehr intensiv. Wenn etwas richtig ist, dann sind wir uns aber alle einig." Was macht denn einen guten Song aus? "Dass er uns begeistert", erklärt Neil, "wenn ich denke, dass er ein Existenzrecht hat, dann ist das ein guter Song. Wobei es egal ist, was es ist." Eine Frage sei noch erlaubt: Worin sieht Neil den Unterschied, und worin die Gemeinsamkeit bei seinen Musik-Projekten? "Nun, jedes Projekt hat seine Eigenarten. Bei Savoy Grand bin ich ja nur ein Musiker und habe das Privileg tolle Songs spielen zu können, ohne eine große Verantwortung zu haben", überlegt er, "bei Seachange ist es immer ziemlich chaotisch, weil es so viele Leute mit Ideen gibt. Es ist aber sehr viel einfacher, zu einem Ergebnis zu kommen, als bei den Escapologists. Mit den Escapologists fühlt sich hingegen einfach alles 'richtig' an. Es ist alles sehr intensiv. Die Elektronik-Sachen mache ich ja ganz alleine - und da ist das tolle, dass ich tun kann, was ich will. Alles ist also interessant. Das verbindende Element ist aber, dass ich mit Leuten zusammenarbeiten, die ständig mit Ideen aufwarten, die mich begeistern und inspirieren. Das macht das Leben interessant für mich."
Weitere Infos:
www.escapologists.com
www.devilduckrecords.de/phpwcms/index.php?id=94,0,0,1,0,0
www.indigo.de/unser_programm/6923/
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Pressefreigaben-
Escapologists
Aktueller Tonträger:
In Free Motion
(DevilDuck/Indigo)
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