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THE CHARLATANS
 
Unkapputtbar
The Charlatans
Neun Jahre lang waren The Charlatans nicht auf deutschen Bühnen zu sehen, und auch die drei in der Zwischenzeit veröffentlichten Alben schlugen hierzulande - obwohl allesamt bei Majorlabels erschienen - keine allzu hohen Wellen. Da kann man leicht vergessen, dass die einstigen Heroen der Rave-Zeiten zu den erfolgreichsten britischen Bands der letzten 20 Jahre gehören. Drei Nummer-1-Alben, sieben weitere unter den Longplay-Top-40 und dazu beachtliche 22 Top-40-Singles konnte das Quintett aus Cheshire bisher verbuchen. Dass ausgerechnet das neue Album "You Cross My Path" die schwächste Chartnotierung (Platz 39 in England) erreichte, liegt nicht etwa an schwindendem Fanzuspruch, sondern daran, dass das Album acht Wochen lang als kostenloser Download erhältlich war und weit über 300 000 Mal heruntergeladen wurde, bevor es offiziell in die Läden kam - wo es trotzdem noch genug Käufer fand, um so manche Band hinter sich zu lassen, deren Platte zuvor nicht gratis zu bekommen war.
Also spielen The Charlatans im kleinen, aber immerhin sehr gut gefüllten Kölner Luxor ein großartiges Konzert, bei dem sich die neuen Stücke nahtlos in die lange Reihe der alten Klassiker einfügen. Die neuen Songs klingen großartig, weil die Musiker offensichtlich einen Riesenspaß haben, Nummern wie das Titelstück gleich zu Beginn oder das schwer ohrwurmverdächtige "The Misbegotten" zu spielen. Die alten klingen genauso gut, weil die Band sie aus dem Effeff beherrscht und dabei zudem auf der Welle der Begeisterung surft, die ihr aus den ersten Reihen entgegenschlägt, als "The Only One I Know", "Then", "One To Another" oder "Crashing In" auf dem Programm stehen. Für das Konzert in Köln haben sie aber nicht nur (fast) all ihre Hits mitgebracht, sondern vor allem auch die Erfahrung, die man nun mal hat, wenn man jahrelang in heimischen Gefilden Venues wie die Wembley Arena (11 000 Plätze) füllt und in der altehrwürdigen Brixton Academy (5200 Plätze) den Fanansturm mit einem Konzert gar nicht befriedigen kann. Was die Band dagegen zu Hause gelassen hat, sind die Starallüren, die so manche britische Band plagen, die auf der Insel wesentlich erfolgreicher ist als in unseren Breiten. Wer vielleicht gedacht hatte, die kleinen Clubkonzerte auf dem Festland seien für The Charlatans nur eine Pflichtübung und das Aufwärmprogramm für die deutlich größeren Konzerte in Großbritannien und Irland im Oktober, sah sich getäuscht. Wir haben es hier mit einer Band zu tun, die (noch einmal) angreifen will, und nicht mit einer, die sich auf den daheim verdienten Lorbeeren ausruht.
Diesen Eindruck vermittelt auch Frontmann Tim Burgess, der Gaesteliste.de am Nachmittag vor dem Konzert ausführlich und geduldig Rede und Antwort steht, obwohl wir uns erdreistet hatten, den Gesprächstermin erst 24 Stunden vorher anzufragen und er sich eigentlich unbedingt noch vor dem Soundcheck zum (Vinyl-)Shopping auf den Weg machen wollte. Auch dass Tim uns einlud, die vier Stunden zwischen Soundcheck und Showtime backstage ebenfalls mit ihm zu verbringen, um über Bob Dylan, The Cure und viele, viele andere Bands zu fachsimpeln, gehört nun wahrlich nicht zum Standard bei britischen Rockbands.

GL.de: Tim, wenn man im Netz stöbert, findet man immer wieder Artikel über The Charlatans, die mit Sätzen beginnen wie "Wir hätten nie gedacht, dass sich die Band so lange hält". Die meisten Bands lösen sich irgendwann auf oder das Besetzungskarussell beginnt sich zu drehen. Bei euch ist das anders…

Tim: Ich weiß auch nicht, wie das kommt. Die Bands der meisten Musiker, die ich kenne, haben sich irgendwann aufgelöst, ohne dass es eine richtige Erklärung dafür gibt, denn sie hängen trotzdem ständig gemeinsam rum. Sie sind nur nicht mehr zusammen in einer Band! Bei uns war es so, dass die Chemie von Anfang an stimmte und wir von Beginn an etwas Besonderes hatten, nämlich Rob Collins' Hammond-Sound. Wir hatten einfach einen guten Start und waren schnell eine Band, die den Menschen wirklich etwas bedeutete, und das ist auch heute noch so. Wir sind nicht die Art von Band, die in dein Leben tritt, explodiert und sich dann wieder verflüchtigt, wir sind eine Art positive Konstante.

GL.de: Trotzdem habt ihr, gerade mit euren Alben der letzten zehn Jahre, soundtechnisch sehr unterschiedliche Pfade beschritten...

Tim: Ja, aber wir mögen es, unser Publikum herauszufordern. Manche Menschen verwirrt das, es kann auch vorkommen, dass jemand, der fast alles von uns mag, mit einer neuen Platte gar nichts anfangen kann.

GL.de: Geht dir das selbst manchmal auch so?

Tim: Es gibt eigentlich nur eine Platte von uns, die ich nicht besonders mag, das ist "Up At The Lake". Ich konnte mich mit dem Album nie sonderlich identifizieren, denn ich hatte damals das Gefühl, dass wir sie nicht hätten machen sollen. Zu der Zeit hatten wir einen Manager, der dringend Geld benötigte, und er hat uns praktisch dazu gedrängt, eine neue Platte aufzunehmen. Einige Songs des Albums sind wirklich gut, aber die Platte als Ganzes ist irgendwie durcheinander, es fehlt ihr ein übergeordnetes Thema. Platten wie "The Charlatans" oder "Wonderland" dagegen hatten einen roten Faden.

GL.de: Auch die neue Platte hat einen roten Faden, wenngleich ihr zu Beginn mit dem Rocksong "Oh Vanity!" zunächst eine falsche Fährte zu legen scheint…

Tim: Ich wollte einen schnellen Song am Anfang, auch wenn das vielleicht verwirrend ist, weil wir mit dem Song praktisch nostalgisch zurückschauen. Wir haben verschiedene Reihenfolgen ausprobiert, bei einigen davon stand [wie nun auch bei den Konzerten] "You Cross My Path" am Anfang, auch wenn das ebenfalls eher rockig ist. Für mich sind "Oh Vanity!" und anschließend "Bad Days" und "Mis-takes" allesamt quite up there, mit "The Misbegotten" wird's dann etwas elektronischer, "A Day For Letting Go" lässt dich im Sumpf versinken, "You Cross My Path" und "Missing Beats" bringen dich wieder nach oben, dann wird es atmosphärisch ["My Name Is Despair"], dann wagen wir uns auf My-Bloody-Valentine-Territorium ["Bird/Reprise"], und das Outro "This Is The End" ist einer der schönsten Songs, die wir je geschrieben haben!

GL.de: Außerdem ist das wohl auch das erste Mal, dass ihr einen Song von vorneherein als Schlusssong konzipiert habt?

Tim: Ja, das war das erste Mal, dass ich überhaupt auf die Idee gekommen bin, das zu versuchen. Wir haben auch einen Song geschrieben, der am Anfang stehen sollte - obwohl er nicht "This Is The Beginning" hieß -, aber es wollte nicht so recht klappen, deshalb ist ein Outtake daraus geworden. Wir werden die Nummer voraussichtlich noch nicht einmal als B-Seite verwenden. "This Is The End" hätte eigentlich auch die neue Schlussnummer unserer Konzerte sein sollen…

GL.de: …doch diese Position wird immer noch von "Sproston Green" belegt!

Tim: Genau, deshalb spielen wir "This Is The End", bevor wir zum ersten Mal die Bühne verlassen. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir "Sproston Green" schon lange nicht mehr als letzte Nummer gespielt, denn ich bin kein großer Freund von Traditionen, aber Martin [Blunt], unser Bassist, ist strikt dagegen, mit einem anderen Song aufzuhören. Außerdem gibt es Leute im Publikum, die uns gesagt haben, dass sie nicht wüssten, wann sie nach Hause gehen sollen, wenn wir's nicht mehr spielen!

GL.de: Wie stellt ihr generell die Setlist zusammen?

Tim: Wir spielen praktisch das komplette neue Album, und in gewisser Weise sind wir immer noch dabei, uns in die Songs einzufühlen. Außerdem haben wir zwei neue Songs, die wir versuchen zu lernen. Dazu kommen dann eine Reihe alter Sachen, wobei Songs wie "Weirdo" oder "Ignition" vom zweiten Album fast unerwartet gut zu den neuen Stücken passen, während ein Song wie "The Only One I Know" in jeder Version funktioniert. "North Country Boy", das seit 1997 ständig im Programm war, spielen wir momentan nicht, außerdem verzichten wir auch auf die anderen jammy Songs wie "Impossible", "Just Lookin'" und "Just When You're Thinking Things Over", weil sie alle sehr eng mit einem bestimmten, leicht countryesken Sound verbunden sind, den wir früher einmal hatten.

GL.de: Hat dich das überrascht, dass ein Song wie "Weirdo", womöglich zum ersten Mal seit Jahren, wieder richtig gut zum neuen Material passt?

Tim: Ja! Das war wirklich schön! "Weirdo" haben wir damals mit einem Produzenten namens Flood aufgenommen, während Ride, die ja ungefähr zur gleichen Zeit angefangen haben wie wir, mit Alan Moulder arbeiteten. Flood und Moulder haben dann abends immer telefoniert und geschaut, wie sie sich gegenseitig übertreffen könnten.

GL.de: Wurden nicht sogar die Debütalben von Ride und den Charlatans am gleichen Tag veröffentlicht?

Tim: Das ist gut möglich! Obwohl wir uns damals noch nicht persönlich begegnet waren - inzwischen kenne ich Andy Bell ziemlich gut -, lieferten wir uns einen richtigen Wettstreit. Zum Beispiel haben ja beide Bands einen Song namens "Polar Bear". Andy erzählte mir später, dass er damals durch die Presse erfuhr, dass wir einen Song dieses Namens hatten, also wollte er auch eine Nummer mit dem Titel schreiben! Ist das nicht ziemlich lustig?

GL.de: Auch wenn "Polar Bear" natürlich keine Coverversion ist - wie kommt es eigentlich, dass ihr nie Songs anderer Bands spielt?

Tim: Oh, einige Coverversionen gibt es aber! Lustige Geschichte: Bevor ich zur Band stieß, gab es die Charlatans bereits einige Monate mit einem anderen Sänger. Für mein Vorspielen knöpften wir uns "Lucifer Sam" von Syd Barrett / Pink Floyd vor. Als wir nun vor einigen Wochen von einem Radiosender gebeten wurden, eine Coverversion zu spielen, erinnerten wir uns daran und haben den Song seitdem auch ein paar Mal live gespielt, denn er passt mit seinem psychedelischen Ende gut vor "Sproston Green". Außerdem haben wir zusammen mit den Chemical Brothers für eine Benefiz-Platte "Time For Living" von Sly Stone gecovert. Vielleicht vergesse ich etwas, aber das könnte es schon gewesen sein!

GL.de: Wo wir gerade bei den Songs und Platten anderer Künstler sind: Kaufst du selbst noch eifrig Platten?

Tim: Oh ja! Ich bin ein Ebay-Verrückter! Als ich nach Los Angeles zog, machte dort mit Amoeba gerade einer der größten unabhängigen Plattenläden der Welt auf, und ich war oft dort. Inzwischen kaufe ich allerdings das meiste direkt auf Ebay. Ich liebe 7"-Singles, und momentan stehe ich ziemlich auf deutsches Zeug - Palais Schaumburg, X-Mal Deutschland und all die 80s-Post-Punk-Sachen. Ich bin ein obsessiver, impulsiver Mensch. Wenn ich etwas angehe, gibt es kein Zurück mehr. Ich habe früher viel Beach Boys gehört, und nur ihre regulären Platten zu besitzen, war mir nicht genug. Ich musste auch die Bootlegs haben, und ich wollte die einzelnen Tonspuren hören, um herauszufinden, wie sie die Songs geschrieben haben. Da ich keine musikalische Ausbildung habe und keine Noten lesen kann, da mich das, als ich elf Jahre alt war, einfach nicht interessiert hat, ist das meine Art, zu lernen. Als ich begann, mich für Dylan zu interessieren, war es ganz ähnlich, und von New Order hatte ich jeden Montagmorgen ein neues Bootleg, weil ich einen Typen kannte, der all ihre Shows am Soundboard mitgeschnitten hat.

GL.de: Wie kommst du nun ausgerechnet auf die deutschen Sachen?

Tim: Ich stolperte über die Einstürzenden Neubauten, und ich erinnerte mich, dass ich vor vielen Jahren schon einmal was von ihnen gehört hatte und dass ein Freund von mir total auf sie stand. Also kaufte ich mir ‚Kollaps' und war völlig von den Socken. Da sagte ich mir: Eigentlich solltest du nur noch solche Musik hören! Dann kam ich auf Palais Schaumburg, und meine neueste Entdeckung sind Malaria!

The Charlatans
Spricht's und hat danach nur noch eines im Kopf: trotz des ungemütlichen Regenwetters draußen den Weg zum Laden von Kompakt ausfindig zu machen, um im teutonischen Vinyl zu stöbern. Als er die gesuchte Platte - Thomas Fehlmanns "Lowflow" auf Plug Research - findet, zaubert dies das gleiche breite Grinsen auf sein Gesicht, mit dem er später auf der Bühne des Luxors in jedes ihm unter die Nase gehaltene Fotohandy lächelt. Als er die Platte zum Vorhören auf den Plattenspieler des Ladens legt, braucht er nur zwei Tracks anzuspielen, um sich zum Kauf zu entscheiden. Glücklich trägt er die Platte zurück zum Venue, wo seine Bandkollegen inzwischen den Soundcheck ohne ihn begonnen haben. Sie wissen nun einmal um Tims Vinylsucht, die der Sänger - anders als Alkohol und Drogen, man höre "Bad Days" auf dem neuen Album - bisher nicht überwunden hat, und nehmen's gelassen. Dabei steht beim Soundcheck mehr auf dem Programm, als nur die richtige Abstimmung der Instrumente zu finden. Als Dankeschön für eine junge Dame aus Belgien, die gleich ein halbes Dutzend Charlatans-Konzerte in ganz Europa besucht, wollen die Herren nämlich im Laufe der Tournee die teils recht obskuren Songwünsche ihres hinterherreisenden Fans erfüllen. Also lernen sie in Köln "It Is What It Is", das an diesem Abend seine Live-Premiere feiern wird (und, nebenbei bemerkt, für eine B-Seite eigentlich viel zu gut ist). "‚It Is What It Is' knüpft an ‚A Day For Letting Go' vom neuen Album an und orientiert sich gesanglich ein wenig an Iggy oder Bowie", hatte uns Tim zuvor beim Interview erzählt. "Da schließt sich dann wieder der Kreis, denn vor den Charlatans war ich in einer Band [The Electric Crayons], die Iggy-Pop-Coverversionen gespielt hat. Es geht also zurück zu den Wurzeln!"

Wenn er damit (auch) meinte, dass er und seine Mitstreiter so herrlich bodenständig bleiben, wie sie sich uns in Köln präsentierten, dann können wir uns ohne Zweifel noch auf viele positive Überraschungen von den Charlatans gefasst machen!

Weitere Infos:
www.thecharlatans.net
wwww,myspace.com/thecharlatans
www.thecharlatans.info
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Roger Sargent-
The Charlatans

(Cooking Vinyl/Indigo)
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