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THE SWELL SEASON
 
Ein Mal ist kein Mal
The Swell Season
Normalerweise ist es ja so, dass ein Spielfilm das "richtige" Leben bestenfalls als Ausgangslage hernimmt, während z.B. ein Dokumentarfilm dieses eher begleitet. Im Falle von "Once" verwischen sich die Grenzen. Hier spielen Glen Hansard (Frontmann der irischen Frames) und Marketa Irglova zwei Musiker, die sich zufällig auf den Straßen von Dublin kennen lernen, zusammen eine Scheibe aufnehmen, sich zwar ineinander verlieben, dann aber doch dafür entscheiden, eigene Wege zu gehen. Damit fing eigentlich alles an - obwohl die Musik zu "Once" schon vorher existierte. Der Film - quasi ohne Budget und ohne Filmerlaubnis im Dogma-Stil in Dublin gedreht - geriet zu einem Überraschungserfolg, der im Folgenden dazu führte, dass Glen und Marketa alias The Swell Sesaon zusammen tourten und als Krönung bei der Oscar-Veranstaltung auftraten. Heutzutage sind sie das Paar, das im Film nie eine echte Chance hatte und legen mit "Strict Joy" eine zweite Scheibe vor, die - im Gegensatz zum akustisch gehaltenen Debüt - einen runden Band-Sound vorweisen kann und sogar einer möglichen Frames-Scheibe den Rang abläuft.
Was ist denn aus Glens Sicht der Unterschied zwischen den beiden Projekten Frames und Swell Season? "Der Unterschied ist heute nicht mehr allzu groß, aber ursprünglich fühlte ich mich in der Band immer mehr als Fremdkörper. Ich schrieb immer mehr ruhige Songs für die Band und fühlte eine stärkere Verbindung zu diesen Stücken. Im Frames-Lager waren das immer die weniger wichtigen - was ich natürlich gar nicht so sah. Als ich begann, mit Mar(keta) in der Tschechei zu arbeiten, eröffneten sich mir wundervolle neue Möglichkeiten. Denn die Art, in der sie die Stücke mit dem Piano begleitete und Harmonien sang, war so klar und rein, dass ich sofort begeistert war. Und es ist ja auch so, dass ihr die ruhigen Songs besser gefielen. Ich hatte also endlich einen Partner gefunden. Und ich fühlte auch, dass mit Mitte dreißig die Songs, die ich im Kontext der Rockband sang, nicht mehr dem entsprachen, was ich als Mann oder Junge darstellte. In vielerlei Hinsicht bin ich ja immer noch ein Junge. Aber wie dem auch sei: Swell Sesaon war für mich ein wirklich wichtiges Projekt. So etwas wie eine Flucht. Als wir das Album aufnahmen, war das fast ein Zufall und als es erschien, war ich sehr stolz. Was auch noch schön war, ist der Titel des Projektes, denn nachdem es erschien, wurde es wirklich eine großartige Zeit für uns, in der das Nebenprojekt erfolgreicher als die Band wurde. Für mich war das eine sehr erzieherische und lehrreiche Erfahrung." Hat sich das Songwriting irgendwie verändert? "Ich denke, es hat sich geändert, aber es ist sehr subtil." In "Open" gibt es eine Szene, in der Glen gefragt wird, für wen er einen Song geschrieben habe und er antwortet "Für niemanden". Wie sieht das denn beim realen Glen aus: Schreibt er noch Songs für bestimmte Leute, hat er eine Technik entwickelt? Arbeitet er mit erfundenen Charakteren oder verwendet er autobiographisches Material? "Die Antwort zu all diesen Fragen lautet: Ja!", lächelt Glen, "es ist immer persönlich, es ist immer fiktional, es ist immer jemand konkretes und es ist immer jemand, den ich mir vorstelle. Das muss auch so sein. Stell dir nur mal vor, es wäre alles ganz konkret und persönlich - dann wäre ein solcher Song zu schwierig für mich zu performen und auch für Außenstehende nicht mehr interessant." Nun gibt es ja auch Songwriter, die sagen, man dürfe nicht zu persönlich werden. "In gewisser Weise mag das so sein", stimmt Glen zu, "auf der anderen Seite bin ich der Meinung, dass je persönlicher ein Song ist, desto universeller wird er auch. Es ist ein Balance-Act."
Wie sieht Marketa die Sache mit dem Songwriting? "Ich begann als klassisch ausgebildete Pianistin im Alter von sechs oder sieben", führt sie aus, "das war mein musikalischer Background als ich Glen traf. Ich war damals erst dreizehn und er hat mir eine ganz andere Art, an die Musik heranzugehen, offenbart. Er hat mir gezeigt, wie man eigene Musik zu eigenen Texten schreibt. Der Gedanke, mit ihm zu arbeiten und meine eigenen Ideen einzubringen, war ein sehr befreiende Sache für mich, zu der ich mich sehr hingezogen fühlte. Und dann habe ich auch angefangen, Musik anders zu hören. Zunächst hatte ich mich immer auf Melodien konzentriert. Dann wurde es aber auch wichtig zu erfahren, worüber diese Songwriter sangen und die Kunst der Poesie zu erfahren - beziehungsweise eine Sprache so zu verwenden, damit sie poetisch wird. Und die Art zu lernen, in der Dylan oder Leonard Cohen oder auch Glen dies umsetzten." - "Ach das ist süß", schmunzelt Glen. Warum aber singt Marketa relativ wenige Songs als Lead-Sängerin? "Nun, ich ziehe meine Rolle auf der Bühne vor", erklärt sie, "und das ist eine unterstützende Rolle. Ich fühle mich da wohler. Ich verspüre keinen Drang, im Mittelpunkt zu stehen, weil ich denke, dass Glen sowieso ein toller Frontmann ist. Und es ist ja auch so, dass er da eine Menge Druck aushalten muss. Und so etwas überlasse ich gerne jemand anderem. Für zwei oder drei Songs macht das Spaß - auch, wenn man so mit den Leuten Kontakt aufnehmen kann. Aber es reicht mir eben, wenn das ein paar Momente sind." Nun schreibt ja Glen auch Songs nur für sich selbst, oder? "Ich habe bislang nur Songs für mich selbst geschrieben - aber wenn jemand einen meiner Songs singt, dann ist das großartig. Es ist ein großes Kompliment für mich. Wenn ich über die Grafton Street gehe und einen Straßenmusiker einen Song von 'Once' singen höre, dann ist das so ein tolles Gefühl. Einfach, weil ich dieser Typ war, der Dylan, R.E.M.- oder Waterboys-Songs dort gesungen hat. Ich weiß dann nämlich, dass ich mich vom Lehrling zum Arbeiter hochgearbeitet habe. Wenn man das weiter verfolgt, hat man die Chance zum Meister zu werden - wie eben Dylan oder Neil Young oder Springsteen. Das sind diejenigen, die wir widerspiegeln."

"Once" behandelt Musik in einer anderen Art als alle anderen Filme, die sich mit Musik beschäftigen - unter anderem, weil die Performances dort nicht gestellt sind. Die Energie ist dort auch eine ganz andere als auf den Scheiben. Ist das Absicht? "Ja, denn ein Studio ist so etwas wie ein Labor", erklärt Glen, "dort muss man Songs auf einer blanken Leinwand erschaffen. Live-Auftritte sind ein ganz anderes Biest. Ich hoffe, dass unsere Live-Auftritte mit derselben Energie rüberkommen, wie die im Film - weil das das ist, was wir in dem Film gemacht haben - und das war rau. Ich habe es übrigens aufgegeben, Live-Aufnahmen herauszubringen. Ich weiß auch nicht, warum es unmöglich ist, Live-Energie auf Tonträger einzufangen. Es funktioniert einfach nicht." Was fordert Glen als Songwriter heraus? "Auf jedes Wort stolz zu sein und Faulheit zu vermeiden", erklärt er, "Songs sind oft nicht mehr als Sketche. Ich wünschte mir ja durchaus, einen Song schreiben zu können, die auf alles Unnötige verzichten und ganz simpel zum Punkt kommen. Wenn du dir Bill Callahan anschaust, den ich sehr verehre, dann wirst du feststellen, dass er immer weniger singt. Am Ende kommt er mit drei oder vier Wörtern aus. Er singt sich selbst in die Stille. Das ist sein Job. Und das finde ich sehr attraktiv - nicht dass das mein Ziel wäre. Aber ich wünschte mir schon, dass ich ein wenig fester im Sattel säße." Wenn man sich dagegen Marketas Songs anhört, dann stellt man fest, dass diese in eine andere Richtung gehen. Sie sind wortreich, liebevoll ausgearbeitet und haben elaborierte Geschichten als Basis. "Ich denke, es passiert immer auf eine andere Weise. Inspiration ist eine ziemlich scheue Sache. Wenn man versucht, sie einzufangen, dann rennt sie weg und versteckt sich. Wenn man sich in einen Zustand versetzt, in dem man offen ist, dann funktioniert es am besten. Man hat dann das Beste aus zwei Welten - der sichtbaren und der unsichtbaren. Das ist aber nicht vorauszusehen. Man weiß nie, wann es einen erwischt. Wenn es passiert, muss man den Moment nutzen und die Essenz der Idee einfangen." "Ja, das stimmt, es gibt keine Verabredung mit der Muse", stimmt Glen zu. "Es mag nur eine Zeile in einem Song sein, die dich berührt", führt Marketa fort, "es mag aber sein, dass dies eine Glocke klingen lässt. Nach solchen Zeilen suche ich. Manchmal entsteht so ein ganzes Gedicht, manchmal ein Reim und manchmal nur ein Wort. Es gibt aber keine Gebrauchsanleitung. Es ist nett, dass du sagst, es gäbe bei mir ausgearbeitete Geschichten - dessen war ich mir aber gar nicht bewusst." - "Deine Songs sind so dicht und voller Geschichten - das ist schon brillant", ergänzt Glen.

Der Titel des neuen Albums basiert auf einem Gedicht des irischen Schriftstellers James Stephens, der - wie die Frames - eher innerhalb Irlands bekannt ist und der sich auch mit typisch irischen Themen - teilweise aus dem Reich der Mythologie - beschäftigte. Was reizte Glen an diesem Mann? "Wenn ich an James Stephens denke, dann habe ich immer einen Arbeiter im Sinn. Denn Stephens war ein Arbeiter, der morgens aufstand und dann den ganzen Tag arbeitete. Eine Zeile des Gedichtes 'Strict Joy' beschäftigt sich damit, dass Trauer, die ich anderen vermittle, andere glücklich macht. Die Kraft, die Trauer dir gibt, wenn du sie auf diese Weise verarbeitest, hat etwas von dem, was ein Blues-Mann macht. Blues kann man ja auch genießen - obwohl er melancholisch ist. Und dieser Gedanke passt zu unserer Musik. Unsere Hoffnung ist, dass du so unsere Musik genießen kannst. Und dann klingt der Titel 'Strict Joy' ja auch noch sehr cool - auch weil es ein Begriff ist, den man so nicht kennt." Das ist ja so ähnlich, wie bei Glens eigenen Songtiteln - etwa dem Opener "Low Rising". "In gewisser Weise ja", bestätigt Glen, "in dem Song geht es darum, sich langsam von einem Rückschlag zu erholen. Wenn du ein 's' voranstelltest, dann hieße der Song ja sogar 'Slow Rising'. Worte in ungewöhnliche Kontexte zu setzen - so etwas mag ich. Es ist zwar nicht so, dass ich ungewöhnliche oder originelle Ausdrücke suche, aber wenn ich auf so etwas stoße, dann beschäftige ich mich auch damit. Neulich habe ich zum Beispiel das Wort 'curvature' im Zusammenhang mit einer Landschaftsbeschreibung gehört. Das ist ungewöhnlich - über so etwas denke ich dann nach und lasse mich auch davon inspirieren." Was dann auch die poetische Note mancher Hansard-Momente erklärt.

Wie sieht es denn mit der Filmkarriere aus? Wird es ein zweites "Once", einen zweiten Film geben? "Nun, je länger der Film zurück liegt, desto reizvoller wird die Idee für uns, einen zweiten Film zu drehen", überlegt Glen, "ich glaube aber nicht, dass das geschehen wird, da der Film sehr ursprünglich, sehr ehrlich war. Es müsste also schon ein unglaublich gutes Drehbuch geben, das dieses Gefühl wieder vermittelte. Alleine unser Wunsch, einen Film machen zu wollen, würde da nicht als Rechtfertigung ausreichen."

Weitere Infos:
www.theswellseason.com
www.myspace.com/theswellseason
en.wikipedia.org/wiki/The_Swell_Season
www.once.kinowelt.de
www.foxsearchlight.com/once/
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Pressefreigabe-
The Swell Season
Aktueller Tonträger:
Strict Joy
(Anti/Indigo)
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