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MARIEE SIOUX
 
Folk is not the end
Mariee Sioux
Natürlich war es nicht falsch, Mariee Siouxs 2000er-Erstling, "Faces In The Rock", unter "Folk, traditionell" einzusortieren. Ähnlich wie bei ihrer Freundin seit Kindertagen und langjährigen Tourpartnerin, Alela Diane, dauerte es allerdings nicht lange, bis sich die heute 27-jährige Singer/Songwriterin aus Nevada City, Kalifornien, künstlerisch freigeschwommen hatte. Mit ihrem neuen Album, "Gift For The End", unterstreicht sie, dass Purismus ihre Sache nicht ist. Selbstsicherer präsentiert sie sich auf ihrem zweiten Werk, experimentierfreudiger. Die Fokussierung auf das Wesentliche bei "Faces In The Rocks" ist nun einem weit schweifenden Blick über den Tellerrand gewichen.
Die Arrangements auf "Gift For The End" sind ausgefeilter, aber auch etwas versponnener. Dass die Amerikanerin seit Langem nicht nur ein Faible für die Joni Mitchells und Karen Daltons der Folk-Welt, sondern auch für die sphärischeren Klänge von beispielsweise Enya oder den Cocteau Twins hegt und bei ihren Konzerten seit Jahren gerne The Cure covert, tritt nun deutlicher zutage. Dazu passend sind die Texte auf "Gift For The End" bisweilen recht abstrakt, transportieren im ersten Moment mehr Gefühl als Inhalt und erschließen sich auch Mariee selbst häufig erst später. "Oft passieren Dinge in meinem Leben, die sich mit dem überschneiden, was ich zuvor in den Texten angesprochen habe, und ihnen Sinn geben", sagt sie beim den Atlantik überspannenden Telefongespräch mit Gaesteliste.de. "Es ist allerdings keine sich selbst bewahrheitende Prophezeiung und auch nicht so verrückt, wie es sich vielleicht im ersten Moment anhört. Ich denke, ich war innerlich einfach schon 'auf dem Weg', und rückblickend kann ich die Entwicklung dann nachvollziehen. Die Texte der neuen Platte finde ich persönlich viel interessanter, aber ich weiß nicht, ob das wichtig ist. Die Songs der ersten Platte gehörten mit zu den frühesten, die ich je geschrieben habe, die Stücke des neuen Albums sind dagegen etwas tiefgründiger und ernster. Ich mache mir heute einfach mehr Gedanken und schreibe vorsätzlicher über bestimmte Dinge. Ich gebe den Texten mehr Zeit und kehre vielleicht an einem späteren Zeitpunkt noch einmal zu ihnen zurück, anstatt die Worte einfach fließen zu lassen wie zuvor."
Doch nicht nur bei den Texten sieht Mariee deutliche Unterschiede zwischen "Faces In The Rocks" und "Gift For The End". "Die erste Platte würde ich am ehesten als 'organische Erfahrung' bezeichnen", überlegt sie. "Wir haben einfach das gemacht, was uns gerade einfiel. Wir haben im Studio Ideen entwickelt, anstatt vorher Pläne zu schmieden. Deshalb vermittelt sie ein sehr natürliches Gefühl. Das tut die neue zwar auch, aber auf andere Weise. Außerdem haben wir auf dem ersten Album oft die Indianerflöte eingesetzt und damit den Songs Zusammenhalt gegeben. Dass wir auf dieses Instrument dieses Mal verzichtet haben, macht einen großen Unterschied." Doch wie kam es dazu, dass Mariee auf "Gift For The End" das urwüchsige Folk-Feeling ein Stück weit hinter sich lässt? Neue Einflüsse, neue Inspirationen, womöglich ganz einfach neue Hörgewohnheiten? "Oh, ich habe, seitdem ich die erste Platte aufgenommen habe, definitiv eine Menge anderer Musik gehört. Oft veröffentlichen Musiker ja jedes Jahr eine Platte, anhand derer man ihre Entwicklung in kleinen Schritten nachvollziehen kann. Zwischen meinen beiden Platten liegen rund vier Jahre, deshalb hatte ich die Gelegenheit, mir über den Aufnahmeprozess vorab viele Gedanken zu machen, außerdem konnte ich auf der Studioerfahrung der ersten Platte aufbauen. Dieses Mal wusste ich, wie man eine Platte aufnimmt, und mir war klar, dass ich mehr Zeit mit den Aufnahmen des Gesangs verbringen wollte und den Harmonien ebenso mehr Beachtung schenken wollte wie zusätzlichen Instrumenten. Bei der ersten Platte habe ich kaum mehr gemacht, als meine Songs live zur Gitarre zu singen. Dieses Mal habe ich zunächst allein die Gitarre aufgenommen und den Gesang erst später hinzugefügt, was natürlich den Vorteil hatte, dass ich mich so voll und ganz auf den Gesang konzentrieren konnte." In den Interviews zu ihrem Debüt kam immer wieder durch, dass sich Mariee nicht für eine gute Sängerin hält. Sie sang ihre Songs praktisch nur deshalb selbst, weil es sonst niemand tat. Die Tatsache, dass sie dieses Mal den Gesangsaufnahmen mehr Beachtung schenkte, deutet dagegen auf ein verändertes Selbstverständnis hin. "Es stimmt, früher hatte ich ein Problem damit, mich wirklich als Musikerin und speziell als Sängerin zu sehen", bestätigt sie. "In den vergangenen Jahren habe ich mich allerdings an den Gedanken gewöhnt, obwohl ich mich immer noch nicht gerne selbst kategorisiere, weil ich so viele verschiedene Dinge tue. Früher war das Singen richtig stressig für mich, inzwischen habe ich daran allerdings wirklich Spaß, und es war eine wahre Freude, Harmonien hinzuzufügen und die Songs genau so auszugestalten, wie ich sie in meinem Kopf gehört habe."

Ein Luxus, wenn man bedenkt, dass viele Zweitwerke daran kranken, dass sie zu schnell aufgenommen wurden, weil die Künstler ihr ganzes bisheriges Leben hatten, um Ideen für ihr Debüt zu sammeln, oft aber nur wenige Monate haben, um ein zweites Album nachzulegen, um den Gesetzen des Marktes gerecht zu werden. Hat Mariee also absichtlich etwas mehr Zeit zwischen ihren beiden Platten verstreichen lassen? Einige der nun veröffentlichten Songs befinden sich schließlich bereits seit Längerem in ihrem Live-Repertoire. "Ein wenig war das meine Intention, allerdings hat mir das Leben beim Timing einfach einen Strich durch die Rechnung gemacht", gesteht sie. "Sicherlich hätte ich die Songs, die ich nun schon einige Jahre spiele, bereits vor einer Weile aufnehmen wollen, aber ich musste erst einmal schauen, wie ich mich über Wasser halte, und Geld verdienen, um die neue Platte überhaupt fertigstellen zu können, nachdem mein amerikanisches Label dichtgemacht hatte. Deshalb hat es zwei Jahre gedauert, bis das Album fertig war. Letztlich bin ich froh, dass sich alles so lange hingezogen hat, weil ich so die Chance hatte, etwas Abstand zu gewinnen, mir die Aufnahmen wieder und wieder anzuhören und daraufhin Kleinigkeiten noch verändern zu können. Ich denke, man hört es der Musik auch an, dass wir unter keinerlei Zeitdruck standen und so lange an der Platte arbeiten konnten, bis jeder Song so klang, wie ich mir das vorgestellt hatte. Wir haben das Album sogar selbst abgemischt, und auf diese Weise habe ich unglaublich viel über den Entstehungsprozess einer Platte gelernt."

Zur Seite standen ihr bei den Aufnahmen des Albums vor allem Musiker aus ihrem nächsten Umfeld. Freunde aus ihrer Heimatstadt waren ebenso beteiligt wie ihr Vater Gary Sobonya, ihr Lebensgefährte Sean Kae half bei Arrangements und Produktion. Auch Alelas Vater Tom Menig leistete seinen Beitrag und gewährte Mariee und Co. Zutritt zu seinem Heimstudio. Bei einer Session in Los Angeles konnte Mariee dagegen mit keinem Geringeren als Billy "Prince" Bonnie alias Will Oldham zusammenarbeiten, den sie von gemeinsamen Konzerten in Kalifornien kennt. Die resultierenden vier Songs wurden unlängst auf einer formschönen Doppel-7" veröffentlicht. "Ich höre und liebe seine Musik, seit ich 14 Jahre alt bin, und war immer sehr von der bizarr-wundervollen musikalischen Welt angetan, die er erschaffen hat. Ich konnte selbst kaum glauben, dass es wirklich zu der Zusammenarbeit kam, und das Ganze war schon ziemlich nervenaufreibend", erinnert sie sich. "Er ist ein sehr witziger, auf gute Weise abgedrehter Mensch, sehr abstrakt, aber auch sehr fokussiert und ruhig, und er nimmt ohne jegliche Mühe Gesangsspuren auf, die einfach unglaublich sind. Er singt jedes Take anders, und trotzdem trifft er's immer perfekt. Er hat ein Selbstvertrauen, das eigentlich gar kein wirkliches Selbstvertrauen ist: Er weiß einfach, dass er's draufhat, ohne deshalb arrogant zu sein. Er kann einfach in den Raum kommen, die Stimmung aufsaugen und anfangen zu singen, ohne sich Gedanken zu machen. Das war unglaublich, ihm dabei zuzusehen. Was auch immer 'Das Ding' ist, das so schwer zu beschreiben ist, er hat's!" Das galt allerdings auch für die All-Star-Band, die mit den beiden im Studio war, darunter Nate Walcott (Bright Eyes), Paz Lenchantin (A Perfect Circle) und Farmer Dave Scher (Beachwood Sparks). "Das hat mir erst mal bewusst gemacht, wie toll es ist, eine wirklich stramme Band zu haben, die nicht nur einen Song in Nullkommanichts lernen kann, sondern ihn dann auch noch wunderschön spielt", sagt Mariee. "Das war eine Erfahrung, die ich zuvor nie gemacht hatte, und das hat mich zum Nachdenken angeregt. Eine solche Band hätte ich auch wirklich gerne."

Bei den im Mai anstehenden Deutschland-Konzerten wird Mariee allerdings wohl ohne hochkarätige Mitstreiter auskommen müssen. Aber mit einer Gitarre und den "Gift For The End"-Songs im Gepäck wird es ihr ein Leichtes sein, für Abende voller entrückter Schönheit zu sorgen.

Weitere Infos:
www.marieesioux.com/
www.facebook.com/marieesioux
en.wikipedia.org/wiki/Mariee_Sioux
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Tom Cops-
Mariee Sioux
Aktueller Tonträger:
Gift For The End
(Almost Musique/Broken Silence)
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