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TOCOTRONIC
 
For Those About To Rock - We Salute You!
Tocotronic
Der Album-Titel ("K.O.O.K.") läßt es schon vermuten, die fünfte Platte von Tocotronic aus Hamburg ist von einer gewissen Ratlosigkeit gekennzeichnet. Nicht unbedingt seitens der Band, aber seitens des Publikums. Denn während die Band fest davon überzeugt ist, daß sie mit diesem Album die Halbwertzeit ihrer Songs verlängert hat, wird doch so mancher Fan der frühen Werke hier verwundert die plakativen Aussagen und griffig-witzigen Formulierungen vermissen. Schienen auf dem letzten Album "Es Ist Egal, Aber" die Neuerungen das alte Konzept nur zu ergänzen, kann man bei "K.O.O.K." fast schon von einem Neubeginn sprechen. Gerade einmal zwei Songs sind annähernd so schnell wie die alten Hits, und auch die introspektiv-autobiographischen Texte sind fast restlos verschwunden. Jetzt wird beobachtet, kommentiert und - Abstand gehalten. Dazu wird auch die Geschwindigkeit zurückgedreht, Mid-Tempo heißt das Zauberwort. Waren es auf dem letzten Album Streicher, die den Triosound verfeinerten, sind es dieses Mal oldskoolige Synthies, die die Powertrio-Besetzung auflockern. Herausgekommen ist eine Platte, die für viele sicherlich beim ersten Hören langweiliger erscheinen wird, die aber - und da geht das Konzept der drei auf - letztendlich mehr Substanz und Tiefgang besitzt. Nach einem genialen Auftritt im Juni im gediegenen Ambiente des altehrwürdigen Hamburger Schauspielhauses und diversen Festivalauftritten gehen die drei im Herbst auf Club- und Hallentournee. Zwischendurch fanden sie außerdem Zeit, sich in Köln unseren Fragen zu stellen, wo wir sie mit dem Gästeliste-Sichtwortzettelkasten konfrontierten.
A - AUSLAND

Jan: Das ist etwas, was uns sehr interessiert. Einmal, dort zu spielen, aber auch generell, einfach zu sehen, wie es in anderen Ländern so ist. Wir haben jetzt ein paar Auftritte in Amerika gemacht. Dann waren wir noch in Dänemark, Holland und Belgien. Belgien ist ein wahnsinnig tolles Land.

GÄSTELISTE: Dort habt ihr ja mit To Rococo Rot gespielt - hat das gepaßt?

Dirk: Die Schnittmenge war größer, als man gedacht hatte. Musikalisch natürlich nicht unbedingt, aber allein optisch. Als die nachher auf der Bühne standen, sahen sie uns, was Kleidung und Frisuren anging, doch sehr ähnlich. Außerdem haben wir uns persönlich sehr gut verstanden.

GÄSTELISTE: Ist das schwierig, vor Leuten zu spielen, die euch überhaupt nicht kennen?

Arne: Nee, schwierig ist das überhaupt nicht. Wenn du viel in Deutschland spielst, wird das ja auch zur Routine und ich fand das sehr erfrischend zu sehen, wie wir ankommen, wenn die Leute die Texte nicht verstehen. Reaktionen kommen dann eben nur über die Musik.

B - BRÜCHE

D: Es war uns schon wichtig, mit bestimmten Dingen zu brechen, musikalisch, wie auch textlich, insgesamt, wie auch in jedem einzelnen Stück.

J: Dieses Mal haben wir es zum ersten Mal gezielt darauf angelegt. Bei den letzten Platten war es so, daß wir das selbst ein bißchen abgelehnt haben, weil es einem doch schon ein bißchen eitel vorkommt, von sich selbst zu sagen: Wir machen jetzt was ganz Neues. Das bedeutet ja auch ein bißchen, daß das Alte keine Gültigkeit mehr hat. Das wollten wir jetzt auch vermeiden.

D: Diese Platte war die erste, wo wir schon bevor das erste Stück überhaupt geschrieben war, uns überlegt hatten, daß sich da was ändern muß, auch wenn diese Überlegungen damals noch nicht sehr konkret waren.

C - CAROL VON RAUTENKRANZ [Produzent und Lado-Label-Chef]

J: Es ist sehr schön, auf Lado zu sein, weil es mehr ist als eine reine Geschäftsbeziehung, weil man freundschaftliche Bezeihungen zu den einzelnen Mitarbeitern hat und auch die Freizeit miteinander verbringt. Gerade im Bezug auf Carol hat sich das ja noch einmal ausgeweitet, weil wir lange überlegt haben, wer denn die neue Platte produzieren könnte, weil wir's nicht ganz alleine machen wollten. Auf Carol kamen wir dann, weil's halt persönlich gut funktioniert.

GÄSTELISTE: Ist das auch eine Art Verbindung zur Vergangenheit. Die letzte Platte ["Es Ist Egal, Aber"] war ja die erste, die ihr weder in Hamburg, noch mit den alten Bekannten im Studio produziert habt. Absicht oder Zufall?

A: Das ist eine Sache, die sich wahrscheinlich einfach ergibt, wenn man noch einmal eine Art Anker werfen will.

D - DEUTUNG

J: Das ist immer schwierig, weil man in Interviews immer aufgefordert wird, die eigenen Stücke zu deuten und ich finde das sehr entmystifizierend.

GÄSTELISTE: Glaubt ihr, daß man sich - als Zuhörer - mehr Gedanken machen soll und muß, da die Formulierungen ja nicht mehr so direkt wie früher sind?

D: Das würden wir nicht als Forderung in den Raum stellen, das würde uns doch zu vermessen vorkommen. Grundsätzlich war es schon angedacht, daß man ein bißchen länger an der Platte hat.

J: Man hat auch mehr Raum, darin Sachen zu sehen. Bei den letzten Platten war das ja aufgrund ihrer Direktheit sehr begrenzt.

E - EHRGEIZ

J: Haben wir bei dieser Platte sehr stark entwickelt. (lacht)

GÄSTELISTE: Ich finde, ihr habt einerseits den Ehrgeiz entwickelt, etwas komplett Neues zu machen, andererseits aber auch eigensinnig auf die Eingängigkeit der letzten Platten zu verzichten.

J: Das sind ja gleich zwei E's: Ehrgeiz und Eigensinn... (lacht)

D: Ehrgeiz ist eben sehr negativ besetzt. Wir waren eher, ähm, bienenfleißig (lacht).

J: Ich find Fleiß noch negativer als Ehrgeiz. Fleißig setzt immer eine gewisse Routine voraus. Ehrgeiz, da schwingt ja auch der Wille mit, etwas Neues erschaffen zu wollen.

D: Hmmm, ja klar... (lacht) Nächster Buchstabe in der Buchstabensuppe!!! (lacht)

J: F wie Fleiß. (lacht)

F - FRISUREN

D: Ich war neulich seit langem zum ersten Mal wieder beim Friseur. Sonst hat mir immer meine Freundin die Haare geschnitten. Aber jetzt war ich bei meinen Eltern in Offenburg und da hat mich meine Mutter zum Friseur geschickt. Da kann ich jetzt mal aus dem Nähkästchen plaudern: Daß einen Eltern zum Friseur schicken, hört nie auf! War aber eigentlich ganz angenehm.

A: Und was hast du dann angegeben, was du gerne für einen Haarschnitt hättest?

D: Naja, ich bin mit dem Auto zum Friseur gefahren und hab mir überlegt, daß es wahnsinnig schwierig ist... Ich hab dann einfach gesagt: So wie's ist, nur anders... Das ist echt schlimmer als beim Plattenproduzieren zu sagen, wie man den Sound haben will. Ich hab gesagt, es soll nicht zu Major-mäßig aussehen. (allgemeines Gelächter)

J: Ich geh immer zur gleichen Friseurein und ich liebe das!

D: Bei mir wär's natürlich ein bißchen schwierig, immer zum Haareschneiden nach Offenburg zu fahren.

G - GEWÖHNUNG

J: Im Sinne von: Die Platte ist gewöhnungsbedürftig?!

GÄSTELISTE: Ja, seht ihr die Platte auch selbst als etwas eckig und schwierig an?

J: Ja, das war aber ganz bewußt, denn Sachen, die gewöhnungsbedürftig sind, sind interessanter als die, die sich sofort erschließen. Wenn man sich daran gewöhnt hat, sind sie dann aber um so schöner. So war das schon gedacht...

D: ...erhofft!

H - HALBWERTZEIT

J: Die wollten wir verlängern!

I - INTERNET

A: Ich bin der einzige in der Band, der einen Internet-Anschluß hat, über ein Modem verfügt. Das ist eine tolle Technologie. Das beste daran sind die eMails, weil man sich damit diese lästigen Telefonate erspart. Ich telefoniere sehr ungern und werde auch nicht gerne angerufen. Mit eMails kann man das wahnsinnig gut kontrolliert beantworten. Mitten in der Nacht jemanden eine Notiz schreiben, gerade, wenn man in der Laune ist. Man wird auch nicht aus dem Schlaf geholt.

J: Vor 15.00 Uhr darf man ja bei Arne nicht anrufen...

GÄSTELISTE: Ihr habt auch eure eigene Homepage [www.tocotronic.de], inwieweit seid ihr dort selbst eingebunden?

A: Wir haben sie jetzt zur neuen Platte gerade neu gestaltet, weil wir sie mißlicherweise sehr lange nicht aktualisiert haben. Das soll jetzt ein bißchen anders werden.

J: Die Seite wird von Freunden, Zechkumpanen von uns gestaltet.

J - JUGEND

J: Hab ich nur eine ganz, ganz dunkle Erinnerung dran... Nee, im Ernst: Jugend ist mein Ding! Heute kann man ja bis Ende 40 jugendlich sein.

GÄSTELISTE: Auch wirklich, oder nur als Berufsjugendlicher?

A: Manchmal freut man sich schon auf den Feierabend, wenn man dann vor'm Kamin sitzen kann, mit 'nem Rotwein. (grinst)

K - KOMMERZ

J: Das ist etwas, was uns sehr fern ist, was uns nicht interessiert.

GÄSTELISTE: Würdet ihr die neue Platte trotzdem als unkommerzieller als ihre Vorgänger bezeichnen?

D: Naja, die früheren Platten waren ja nicht gerade sehr kommerziell produziert. Nach diesen Maßstäben ist die neue Platte fast...ich finde das sowieso ein sehr schwieriges Wort.

A: Das ist so wertend. Es gibt halt gute Sachen und schlechte.

L - LEBENSEINSTELLUNG

A: Ich forsche noch, was das bei mir eigentlich ist.

J: Das erzeugt bei mir auch eher Ratlosigkeit. Ich stehe halt auf und falle irgendwann wieder ins Bett.

M - MID-TEMPO

A: Das haben wir uns für diese Platte als "klassisches Format" ausgesucht. Das hat sich einfach durchgesetzt, weil wir extreme Tempi vermeiden wollten, da wir's halt in der Vergangenheit so viel gemacht haben.

N - NACHAHMER

J: Man verschätzt sich dabei oft. Man denkt, daß sind Nachahmer, aber in Wirklichkeit haben die ganz andere Vorbilder.

D: Insofern ist das aber auch sehr ambivalent, weil wir ja als Band auch Nachahmer sind.

O - OLDIES

D: Wir können ja alle unsere Lieblingsoldies nennen!!!

A: Simon & Garfunkel, "Old Friends".

J: Zur Zeit: Alphaville: "Forever Young".

D: CCR, "Have You Ever Seen The Rain".

P - PERSPEKTIVE

Tocotronic
D: Es war sicherlich auch intendiert, beim Songschreiben die Perpektive etwas zu wechseln. Bis zur letzten Platte war uns das schon sehr wichtig, von einer ganz extremen Ich-Perspektive aus zu singen. Ich fand es schon fast notwendig, sehr, sehr persönlich zu sein, bis hin zu einem Stück wie "Meine Schwester", das ganz autobigraphisch ist. Aber das war jetzt ein bißchen ausgereizt.

Q - QUALITÄTSKONTROLLE

J: Es ist zwar wichtig, daß man andere Leute, wie zum Beispiel Carol von Rautenkranz oder Peter Deimel als Produzenten hinzuzieht, aber die Visionen sollten schon bei einem selbst liegen. Es ist auch ein Problem, wenn einem zu viele Leute reinreden. Das war bei uns durchaus mal eine Zeitlang gegeben.

R - ROCK

A: Wir stehen zum Rock.

J: Mein liebstes Four-Letter-Word.

S - STREICHELZOO

D: Wir haben ein Video in einem Streichelzoo gedreht, allerdings nicht in einem klassischen, sondern in einem Wildpark.

J: Im Gegensatz zum Zoo, den man ja auch als Tier-KZ bezeichnen kann, ist der Wildpark eine ganz hervorragende Einrichtung. Ein richtiger Streichelzoo ist wahrscheinlich auch schon wieder Quälerei, mit den ganzen Kindern, die die Tiere eher kneifen als streicheln.

T - TOUR

J: Auf der Kurztour im Mai haben wir an besonderen Orten gespielt, in Sendesälen oder Theatern. Im Oktober geht's dann wieder richtig los.

D: Natürlich haben wir auch dann einen Einfluß auf die Auswahl der Läden, aber die Auswahl in Deutschland ist leider nicht sehr groß, besonders, wenn man eine bestimmte Kapazität benötigt.

U - USA

GÄSTELISTE: Ihr habt letztes Jahr dort getourt. Eine Supporttour für Fuck, richtig?

J: Das war sehr interessant, auch einer sehr niedrigen Ebene, will meinen: Nur Clubs und Bars. Aber es war sehr interessant zu sehen, daß dort Rock-Konzerte etwas viel alltäglicheres sind als hier.

V - VIDEO

J : Das ist schon ein sehr komplexer Themenbereich und sie sind auch sehr teuer, das ist ja schon fast gleichzusetzen mit der Produktion einer Platte. Zum Glück haben wir mit Till und Mika, die ab dem Streichelzoo die Videos gemacht haben, jemanden gefunden, zu dem man Vertrauen hat und auch bereit ist, Verantwortung abzugeben. Es ist wichtig, nicht in einen Kontrollwahn zu verfallen, und alles selber machen will.

W - WITZBOLD

D: War ein altes Comicheft aus Frankreich. Davon gab es in Deutschland nur fünf Ausgaben. Das war ein Underground-Comic, der eher eine Persiflage auf Kinder-Comics war. Das ist echt wahnsinnig komisch.

X - AKTE X

J: Die Fernsehserie hab ich noch nie gesegen, aber ich habe mir mit Dirk zusammen den Film angeschaut und nix verstanden.

D: Stimmt. Alle fünf Minuten taten sich Rätselfragen über Rätselfragen auf. Ich habe überhaupt nix kapiert.

Y - YACHT

D: Das sollte vielleicht Taucher beantworten, ein Mitglied unseres Labels, der großer Segel-Fan ist und auch das Yacht-Magazin abonniert hat. Pavement haben sich ja ein Rennpferd gekauft.

J: Ich hätte lieber 'ne Yacht als 'nen Pferd.

Z - ZEITUNG

J: Wir treffen ja auch eine gewisse Auswahl, mit wem wir Interviews machen. Die Interviewtouren sind ja auch ein sich wiederholender Prozeß und da bekommt man schon mit, wo es sich lohnt und wo die Leute überhaupt keine Checkung haben. Es schmuggeln sich trotzdem immer wieder Blender ein.

A: Es macht auch viel mehr Spaß, wenn man schon länger dabei ist. Früher wurden wir immer nur gefragt: Wie habt ihr euch kennengelernt, woher kommt der Name...

J: Das ist dann Folter! Gehirnwäsche!

Weitere Infos:
www.tocotronic.de
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Pressefreigaben-
Tocotronic
Aktueller Tonträger:
K.O.O.K.
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