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CHRIS BROKAW
 
Die Suche nach Überraschungen
Chris Brokaw
Mit seinem just veröffentlichten neuen Album "The Periscope Twins" zeigt Chris Brokaw eine andere Facette seines Schaffens erstmals einem größeren Publikum. Hatte der inzwischen 50-jährige
Tausendsassa, der in den 90ern mit Codeine und Come Genre-sprengende Klassiker des amerikanischen Indierock veröffentlichte und seitdem als Solist und als Sideman für Gott und die Welt unterwegs ist, bislang seine Werke mit abstraktem Noise nur in Kleinstauflagen auf CD-R oder Cassette veröffentlicht, erscheinen zwei seiner ellenlangen Solo-Improvisationen nun erstmals als formschöne Doppel-LP auf dem renommierten 12XU-Label - und für die weniger traditionell Denkenden via iTunes. Wenige Tage vor dem Start einer zweiwöchigen Spanien-Tournee Mitte Januar sprach er mit uns über seinen Weg zu abstrakten Klängen und vieles mehr.
"Zwischen 2006 und 2009 lebte ich in Brooklyn, New York, und verbrachte viel Zeit in dem winzigen Plattenladen des Labels Hospital Productions in Manhattan", erinnert sich Chris. "Das Label wurde von einem einzigen Typen geführt, Dominick Fernow, der unter den Namen Prurient, Vatican Shadow, Exploring Jezebel etc., etc. veröffentlicht. Ich war wirklich begeistert von seiner Musik und er hat mir eine Menge Zeugs nähergebracht. Seine Musik und seine Arbeitsweise (Nimm etwas auf, stecke es in eine coole Verpackung und veröffentliche es SOFORT in kleinen Auflagen) hat mich sehr inspiriert. Ich wusste damals nicht viel über die Noise-Szene (und daran hat sich nicht viel geändert), aber ich habe mich für eine Menge Musik aus dieser Ecke begeistert, speziell für die von Dominick und die Werke von Wolf Eyes, Vertonen, Kevin Drumm und Rene Hell. Schon 1996 habe ich in Boston eine Show von Merzbow und Masonna gesehen, die mein Leben verändert hat, vor allem der Auftritt Masonnas, der ganze sieben Minuten gedauert hat. Dadurch bin ich auf ganz neue Ideen in puncto Musik und Performance gekommen, die mich seitdem begleiten. Darüber hinaus wurde mir in den vielen, vielen Stunden, die ich in den Bostoner Plattenläden Twisted Village und Weirdo Records verbracht habe, viel experimentelle und abstrakte Musik nähergebracht."

Auf seiner eigenen Website bezeichnet Chris die Veröffentlichung von "The Periscope Twins" als kontroversen Schritt, wissend, dass ihn die meisten Menschen wegen seiner Song-basierten Musik kennen und schätzen. Für ihn selbst dagegen ist der Unterschied nicht so gravierend. "Für mich fühlt sich alles gleich an", erklärt er. "Vor einigen Jahren habe ich innerhalb einer Woche drei Shows in Belgien mit Stephen O'Malley (Sunn O)))) bestritten, bei denen wir High Energy Free Jazz Metal Noise gemacht haben, und drei Tage später habe ich an einem Nachmittag Vorkriegs-Blues-Songs für sehr alte Menschen in einer öffentlichen Bücherei im Staate Washington gespielt - und das hat sich einfach richtig angefühlt. Für mich ergibt alles, was ich tue, einen Sinn."

Eines ist dieses Mal dennoch anders. Immerhin hat die neue Platte einen wesentlich größeren Adressatenkreis als seine sonstigen Experimental-Veröffentlichungen, die oft nur in Auflagen von wenigen Dutzend Exemplaren erscheinen. Was macht "The Periscope Twins" also zu etwas Besonderem? "Zunächst ist das Album nur als Cassette in einer Auflage von 20 Stück erschienen, aber dann dachte ich mir: Mensch, daraus könnte ein unglaubliches Doppelalbum werden. Wie cool wäre es, das zu haben?", erinnert sich Chris. "Der Gedanke wollte mich nicht loslassen, also schickte ich die Tracks an Gerard Cosloy von 12XU und sagte ihm: ''Du kannst mich für verrückt erklären, aber ich würde das gerne als Doppel-LP rausbringen.'" Der Labelmacher war von der Idee begeistert und erklärte sich umgehend bereit, die Platte zu veröffentlichen. Für Chris ein absoluter Glücksfall, denn: "Ich war es einfach leid, Musik zu machen, die meiner Meinung nach zwar abstrakt, aber auch sehr kraftvoll war und am Ende nur von einer Handvoll Menschen gehört wurde. Ich wollte einfach, dass mehr Leute die Chance haben, diese Seite an mir kennenzulernen." Dennoch macht Chris die "sehr, sehr simple Low-End-Musik" nicht zuletzt für sich selbst, wie er gesteht: "In der Tat mache ich nun - vielleicht zum ersten Mal überhaupt - Platten, die ich selbst gerne kaufen würde, aber nirgendwo finden kann. Ich möchte etwas hören, und weil das nirgendwo zu hören ist, mache ich die Musik selbst."

Für die Aufnahmen der beiden Solotracks auf "The Periscope Twins" folgte Chris der gleichen Maxime: "Spiele 45 Minuten lang und schau einfach, was passiert". Kein Wunder also, dass das Ergebnis willkommen ungeschliffen klingt. "Es gibt keine Overdubs, keine zweiten Versuche", verrät er. "Zuvor hatte ich diese Auftritte in einem Kino in Portland, Oregon, bestritten, bei denen ich ohne gesangliche Begleitung vier Stunden lang Gitarre spielte, von acht Uhr abends bis Mitternacht. Immer im Laufe der vierten Stunde wurde mein Spiel ziemlich abgefahren und interessant. Diese Marathon-Auftritte waren die Grundlage für dieses Album." Obwohl die Herangehensweise bei den beiden jeweils 45-minütigen Tracks identisch war, klingen sie doch grundverschieden. Auf Seite 1 und 2 bedient sich Chris der Elektronik für seine wüsten Krach-Soundscapes, auf Seite 3 und 4 sorgt er mit der Gitarre für ein bisweilen geradezu hypnotisches Ambiente.

Doch nicht nur die Musik auf "The Periscope Twins" ist 100% Chris. Auch die großartigen Coverfotos stammen von ihm. Geschossen hat er die Bilder in Mali, bei den Aufnahmen des zweiten Dirtmusic-Albums "BKO" vor einigen Jahren. "Für das Front- und Rückcover sowie die Innenhüllen wollte ich unbedingt randlose 12"x12"-Fotos von mir benutzen, und als mir das Bild in die Hände fiel, dachte ich nur: Heilige Scheiße, das Bild wäre fabelhaft für das Cover", sagt Chris über das Foto des jungen Mädchens, das mit trotzigem Blick genau in die Kamera schaut. "Das Foto auf der Rückseite zeigt ein anderes Kind, vielleicht ihren Bruder: Er kommt ein bisschen härter rüber, mit Sonnenbrille und Motorrad, ist aber trotzdem immer noch ziemlich jung. Die Dualität der beiden passt zum Titel und zum Konzept des Doppelalbums und ich kann es gar nicht erwarten, die fertigen Cover zu sehen, sie in Händen zu halten. (Sie haben mich noch nicht erreicht.) Ich bin davon überzeugt, dass sie unglaublich aussehen werden, und ich hoffe, dass das die Leute anziehen wird. Ich möchte wirklich, dass die Menschen diese Platte als Kunstwerk zum Anschauen und Anhören wahrnehmen. Das will ich mehr als alles andere."

Während sich Chris' Terminkalender für das neue Jahr langsam füllt, Solokonzerte und Auftritte mit Wrekmeister Harmonies und den Lemonheads, deren Leadgitarrist er seit einigen Jahren ist, geplant werden, sucht er auch nach Möglichkeiten, seine experimentellen Stücke auf die Bühne zu bringen. "Vielleicht könnte ich bei Avantgarde-Festivals auftreten, wo es Sinn ergeben würde, diese Art von Musik zu spielen?", überlegt er laut. Doch egal, wie und wo er auftritt, ein klares Ziel hat er dabei immer vor Augen: "Ich möchte Shows spielen, die die Leute wirklich umhauen. Meine Konzerte sollen nicht zwanglos sein, ich arbeite daran, dass sie heavy und magisch werden. Und Überraschungen! Verdammte Überraschungen will ich unbedingt!"

Weitere Infos:
www.chrisbrokaw.com
www.facebook.com/chris.brokaw.5
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Pressefreigabe-
Chris Brokaw
Aktueller Tonträger:
The Periscope Twins
(12XU/Import)
jpc-Logo, hier bestellen

 
 

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