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RACHEL SERMANNI
 
Unterwegs daheim
Rachel Sermanni
Junge Singer/Songwriterinnen gibt es derzeit viele, aber nur die wenigsten sind so beeindruckend wie Rachel Sermanni. Zwischen herbstlicher Melancholie und tiefgründigen Texten findet die Musikerin aus den schottischen Highlands zwischen Tradition und Moderne, ungeschminkter Ehrlichkeit und sensibler Poesie ihren eigenen Weg. Das raffinierte Songwriting, die ausgeklügelten Arrangements und der erdige Sound rechts und links der ausgetrampelten Folk-Pfade lassen vermuten, dass sich hinter ihrem neuen Werk "Tied To The Moon" eine Künstlerin verbirgt, die schon so manche Runde um den sprichwörtlichen Block gedreht hat. Tatsächlich ist Rachel allerdings erst 23 Jahre alt und veröffentlicht dieser Tage ihr zweites Studioalbum.
Drei Jahre nach ihrem allenthalben viel beachteten Erstling "Under Mountains" präsentiert sich Rachel auf dem Nachfolger als gereifte Musikerin, die mit ihrer so ungemein ausdrucksstarken Stimme zugleich inspiriert und berührt. Doch so leichtfüßig selbst ihre nachdenklichsten Songs auch klingen - der sympathischen Schottin ist es richtig schwergefallen, ihr zweites Album fertigzustellen. Die Wartezeit füllte sie mit einigen EP-Veröffentlichungen und dem letztjährigen Konzertmitschnitt "Live In Dawson City". "Dass es tröpfchenweise immer wieder neues Material gab, hat es mir erlaubt, weiter Konzerte zu spielen", erzählt Rachel, als wir sie am Rande eines Auftritts in Düsseldorf treffen. Doch die ständigen Konzertreisen auf beiden Seiten des Atlantiks verhinderten auch, dass sie den Kopf frei bekam und sich ganz aufs Schreiben neuer Songs konzentrieren konnte. "Inzwischen weiß ich, dass Abgeschiedenheit und echter Freiraum zum Reflektieren ohne die Ablenkung des Internets der Boden sind, auf dem meine Songs am besten gedeihen", verrät sie. "Das heißt allerdings nicht, dass ich mich auf die Suche nach Songs begebe. Ich suche nach der Abgeschiedenheit und dem Freiraum, und wenn dann die Songs kommen, dann ist das halt so."

In der Einsamkeit von Nova Scotia in Kanada, zu Gast im Apartment des preisgekrönten Liedermachers Old Man Luedecke, gelang ihr letztes Jahr der Durchbruch. In wenigen Tagen entstanden vier Lieder, die nun das Herzstück der neuen LP bilden. "Die Songs sind in einer Art Gestöber entstanden", erinnert sie sich. "Als ich mutterseelenallein in der Mitte von Nirgendwo war, gab es diesen explosiven Moment. Das war wirklich das Beste, was mir passieren konnte. Dort habe ich dann einen Plan geschmiedet und ihn in die Tat umgesetzt. So läuft das meistens - irgendwann gibt es diese kreative Explosion."

Während Rachel ihr Publikum bei ihren Auftritten schon länger am liebsten mit augenzwinkernden Anekdoten fesselt, scheint ihr Humor nun auch in den Liedern des neuen Albums deutlicher durch. Gleichzeitig wagt sie in puncto Rhythmik und Dynamik mehr und geht so mit deutlich komplexeren Songs wie "Tractor" neue Wege, ohne dabei den Pfad des funkelnden Folk noir je vollends zu verlassen. "Du wirst mutiger, du hörst mehr Musik, du liest mehr Bücher, all das beeinflusst dich", versucht Rachel die unüberhörbaren Veränderungen zu erklären. So offenbart gleich der bluesgetränkte Grunge des Openers "Run" eine ungeahnt robuste Seite ihrer Musik, und diese wunderbar schwermütige Stimmung greift sie auch in Songs wie "Tractor" und "I've Got A Girl" wieder auf. "'Tractor' im Speziellen war das Produkt einer Menge Bücher, die ich gelesen habe", erzählt die selbst erklärte Leseratte, "Bücher, die schwer zu lesen waren!" Die beiden wichtigsten Werke dabei waren "Mein Name ist Rot" von Orhan Pamuk und Jean Genets "Notre-Dame-des-Fleurs", die Rachel mit einem Grundstock an Ideen versorgten, auf dem sie den Song aufbauen konnte. Doch auch andere Stücke begeistern mit gewieftem Storytelling jenseits des Erfahrungshorizonts einer 23-Jährigen, wenn sich Rachel bei "Old Lady's Lament" in die Rolle einer Mutter versetzt, die sich darauf vorbereitet, dass ihre Kinder das Elternhaus verlassen, oder sich bei "Ferryman" von Hermann Hesses "Siddhartha" inspirieren lässt.

Rachel Sermanni
Wie sich ihre Herangehensweise ans Songwriting genau verändert hat, mag sie gar nicht bis ins kleinste Detail analysieren, allerdings glaubt sie, dass sich ihr Verständnis von Songs verändert hat und auch ihre Wertschätzung für Struktur. Trotzdem ist sie immer noch ein echter Freigeist. "Es gibt so viele verschiedene Genres, die ich mag", gesteht sie. "Ich würde liebend gerne Jazz singen, all die alten Standards. Irgendwann wird die Zeit dafür kommen, aber im Moment nähere ich mich meinen Songs auf sehr freie Weise und tue einfach das, was sich natürlich anfühlt." Gleichzeitig sagt sie, dass sie ihre Songs gerne genauer unter die Lupe nehmen würde. Heißt das, dass sie ihr Augenmerk stärker auf die technische Seite ihres Tuns richten würde? "Eigentlich bin ich dagegen, mich zu sehr mit den technischen Aspekten des Songwritings auseinanderzusetzen, aber durch meine Tournee mit Tom Terrell hat sich das etwas gewandelt", erzählt sie. "Er ist sehr frei ins seiner Herangehensweise, aber er hat mich ermuntert, mich mehr mit der technischen Seite auseinanderzusetzen. Ich kann mir schon vorstellen, dass es hilfreich sein kann, ein bisschen mehr zu wissen. Wenn mich allerdings je davon eingeengt fühlen würde, dann wende ich mich hoffentlich wieder davon ab.

Noch wichtiger als die Songs ist ihr eh die Performance. "Letztlich kommt es vor allem darauf an, aus vollem Herzen zu singen", ist sie überzeugt. "Entweder nimmt dir das eine Last von den Schultern oder es schmerzt - und oft ist es beides gleichzeitig." Wohl auch deshalb bewegt sie sich inzwischen viel selbstsicherer auf der Bühne und setzt dabei viel stärker als zu Anfang ihrer Karriere auf Spontaneität. Letzteres hat sie sich bei gemeinsamen Konzerten von Ken Stringfellow abgeschaut. "Ken hat mir eine Menge Dinge beigebracht, zum Beispiel den Augenkontakt mit dem Publikum", verrät sie. "Natürlich habe ich das auch schon vorher gemacht, aber nicht so intensiv wie er. Außerdem kenne ich sonst niemanden, der so brutal spontan ist wie Ken. Davor habe ich großen Respekt."

Bei den vielen Auftritten der letzten Jahre, die Rachel allein oder im Duo mit ihrer Pianistin Jen Austin bestritt, ist ihr zudem klar geworden, wie wichtig ihr Minimalismus ist. Für "Tied To The Moon" arbeitete sie deshalb nur mit einer kleinen Gruppe Musiker zusammen, nachdem es bei ihrem Debüt noch ein neunköpfiges Ensemble war. "Ich habe festgestellt, dass bei Aufnahmen mit neun Musikern im Studio ein ziemliches geistiges Durcheinander entsteht. Das kann schon sehr anstrengend sein", erinnert sie sich. "Mit nur vier Musikern und viel klareren Vorgaben war dieses Mal alles sehr viel leichter." Beteiligt waren an der Einspielung neben Ken Austin auch Gordon Skene (Bass und Cello), Louis Linklater (Drums) und Colin Macleod, der "Tied To The Moon" nicht nur produzierte, sondern für die Aufnahmen auch sein Wohnzimmer auf der schottischen Isle Of Lewis zur Verfügung stellte.

Doch nicht nur musikalisch hat Rachel die Zügel fest in der Hand. Inzwischen kümmert sie sich auch selbst um ihr Management. "Das ist ein Riesenprojekt, und wenn ich ganz ehrlich bin, war mir das nicht so bewusst, bevor ich mich dazu entschieden habe. Dennoch bin ich froh, diesen Schritt gemacht zu haben, auch wenn das bedeutet, dass ich jetzt viel mehr Verantwortung trage, viel zu organisieren habe und viel falsch machen kann", freut sie sich. "Ich merke schon, dass es viel Stress bedeutet, sich um das Geschäftliche zu kümmern, aber zumindest bis jetzt habe ich nicht das Gefühl, dass meine Auftritte darunter leiden oder ich nicht genug Zeit habe, Songs zu schreiben - allerdings mache ich es auch erst seit einigen Monaten. Ich mag es allerdings sehr, alle Fäden in der Hand zu haben, und ganz besonders, in direktem Kontakt mit den Menschen zu stehen, die meine Konzerte buchen. Dadurch fühle ich mich viel stärker in der Pflicht - und das macht einen großen Unterschied."

Auch in den nächsten Monaten wird Rachel wieder viel unterwegs sein. Dutzende Konzerte in Nordamerika und in ganz Europa - darunter im September auch vier in Deutschland - sind bereits bestätigt. Hatte Rachel nicht mal davon gesprochen, sich eine lange Auszeit zu gönnen? "Ja. Eigentlich hatte ich geplant, dass ich mir das letzte Jahr freinehme, und dann dieses Jahr", antwortet sie. "Letztlich bin ich aber so viel gereist, dass es sich nicht wirklich angefühlt hat wie eine Pause. Inzwischen weiß ich, dass das einfach mein Leben ist und dass ich das akzeptieren sollte, anstatt mich dagegen zu wehren."

Um sich das Leben on the road etwas leichter zu machen, versucht Rachel, wann immer es geht, eine feste Basis abseits der Heimat zu finden, an der sie eine Weile bleiben kann. "Ich habe meine komplette Tournee im Südosten von England an einem Ort verbracht und bin von dort aus losgefahren, dann war ich zwei Wochen in Paris und dann eine Woche in Rotterdam, um durch Holland zu reisen", erzählt sie. "Das hat genau so funktioniert, wie ich mir das vorgestellt hatte, aber auch wenn ich all diese kleinen Standorte habe, ist das Ziel doch weiterhin, ein echtes Zuhause zu finden, zum Beispiel in der Nähe meiner Familie in den schottischen Highlands. Gerne auch in Kanada, aber dort muss man ja erst mal hinkommen."

Wurzeln zu schlagen würde ihr sicherlich auch helfen, sich intensiver um ihre Interessen abseits der Musik zu kümmern, dem Zeichnen und den Musik-Workshops, die sie derzeit eher in unregelmäßigen Abständen gibt. "Ich hätte wirklich gerne mehr Zeit, diese Aspekte stärker auszudehnen, vor allem die künstlerischen, und ich bin sicher, dass die Zeit kommen wird, auch wenn es noch dauert", sagt sie bestimmt. "Damit es dazu kommt, bräuchte ich aber zuallererst ein Nest, einen Ort, der ganz mir gehört. Das ist schon lange eines meiner Ziele. Ich arbeite heute weniger darauf hin, aber ich weiß, dass es jetzt realistischer ist als je zuvor."

Weitere Infos:
www.rachelsermanni.net
www.facebook.com/RachelSermanni
twitter.com/rachelsermanni
en.wikipedia.org/wiki/Rachel_Sermanni
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Pressefreigabe-
Rachel Sermanni
Aktueller Tonträger:
Tied To The Moon
(Middle Of Nowhere Recordings/Membran/Sony Music)
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