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ERIC ANDERSEN
 
Lieder aus Wein
Eric Andersen
Über die Frage, welchen Themen man sich als Songwriter zuwendet, gibt es ja so einige Auffassungen - die abhängig von der Persönlichkeit, gewiss alle ihre Berechtigungen haben. Die einen - oft junge, aufstrebende Künstler, die gerade ihre Laufbahn beginnen - schwören darauf, einzig über die eigenen Erfahrungen zu singen. Jene, die schon länger dabei sind und erkannt haben, dass sich die eigenen Erfahrungen irgendwann wiederholen, bevorzugen es, alternative Erlebniswelten und Charaktere zu kreieren. Wieder andere verzichten ganz darauf und lassen sich von anderen Kunstformen inspirieren - Literatur zum Beispiel, Filme oder gar Malerei. Und dann sind da noch jene, die mit Botschaften an das Publikum herantreten - etwa solche mit politischer oder spiritueller Natur. Es gibt aber auch Songwriter wie Eric Andersen, die all das (und noch viel mehr) schon ausprobiert haben. Zumal Eric ja zum Urgestein seiner Gattung zählt und im Laufe seiner Laufbahn, die er dereinst zusammen - mit Bob Dylan und anderen Zeitgenossen - 1965 mit dem Album "Today Is The Highway" im Village begann, so einiges erlebt hat. Wenn es also darum geht, ein neues Projekt in Angriff zu nehmen, dann kann in einem solchen Fall auch schon mal der Zufall eine gewisse Rolle spielen. So widmete sich Eric Andersen auf seinem neustem Album "Mingle With The Universe: The Worlds Of Lord Byron" ganz dem Leben des romantischen Poeten Lord Byron. Jedoch keineswegs, weil ihm ansonsten nichts mehr eingefallen wäre oder weil er ein Verehrer des Poeten gewesen wäre.
"Ich habe eine Tour in England gemacht und der Veranstalter, Robert Stevenson, lebte zufällig um die Ecke von Byrons Haus in Ravenshead nahe Nottinghamshire im Sherwood Forest, wo auch Robin Hood gelebt haben soll", berichtet Eric, "Byrons Familie hatte das Anwesen von jenem Großonkel geerbt, von dem Byron auch den Adelstitel bekam. Wir haben uns dann also das Anwesen, Newstead Abbey, angesehen. Heutzutage ist es eigentlich in einem schönen Zustand - in Zeiten Byrons war es aber sehr heruntergekommen. Als wir in die Empfangshalle kamen, machte uns der Führer darauf aufmerksam, dass gerade ein Leck im Dach war, wo Wasser hereinlief und erzählte, dass zu Byrons Zeiten an der selben Stelle ein Leck gewesen sei. Ich habe dann spontan vorgeschlagen, ein Benefiz-Konzert zu veranstalten, um etwas Geld zu sammeln - weil das Anwesen nicht besonders viel Geld vom Staat zum Unterhalt bekommt. Als ich mir die Sache dann durch den Kopf gehen ließ, hatte ich die verrückte Idee, neue Songs für dieses Konzert zu schreiben und dazu die Gedichte Byrons zu verwenden." Diese Idee ist ja nicht ganz neu, wird aber - wenn man sich das recht überlegt - gar nicht mal so oft in die Tat umgesetzt und noch viel seltener am Werk spezifischer Poeten festgemacht (wie z. B. Zuletzt durch Mike Scott mit dem Waterboys-Album "An Evening With Mr. Yeats"). Was hat Eric Andersen gereizt, sich mit dem Werk des Dichters auseinanderzusetzen? "Nun, ich habe mich zwei Jahre damit beschäftigt", erklärt er, "ich bin die ganzen Gedichte durchgegangen und habe versucht, darin Songs zu finden. Zuweilen habe ich Passagen entfernt oder neue hinzugefügt, um die Songs herauszuschälen. Heutzutage weiß ich fast schon gar nicht mehr, was von wem stammt."
Eric Andersen
Wie ist denn der Status der Poesie - insbesondere der klassischen Poesie - heutzutage zu sehen - immerhin hat die Rap-Musik dem Genre ja ein wenig den Zauber genommen. "Ich denke, dass es Poesie und Dichter immer geben wird", überlegt Eric, "wenn Gedichte gut sind, dann überleben sie auch eine lange Zeit. Es kommt natürlich darauf an, was man selbst bevorzugt. Ich lese zum Beispiel viel japanische und chinesische Poesie und ich entdecke auch immer wieder neue Poeten. Ich habe mich auch mit Ginsberg und den Beats beschäftigt. Ich mag T.S. Eliot und Emily Dickinson oder Sylvia Plath. Es gibt zig Poeten und ich meine, dass sie eine wichtige Funktion erfüllen, denn sie können Geschichten in einer kurzen Zeit erzählen." Hat Eric das Byron-Projekt vielleicht mit dem Hintergedanken gemacht, Poesie solchen Leuten nahezubringen, die sich ansonsten nicht für die Dichtkunst interessieren? "Das ist eine gute Frage - die ich mir aber niemals selbst gestellt habe", führt Eric aus, "es ist aber lustig, dass dieses Album in Deutschland gute Kritiken bekommen hat, obwohl ich davon ausgegangen bin, dass Byron hier nicht so bekannt ist. Oder ich selbst auch nicht. Aber irgendwie hat die Kraft der Songs dann doch eine gewisse Resonanz gefunden." Aber in Großbritannien gibt es doch eine gewisse Tradition, Poesie und Musik miteinander zu verquicken? "Ja, aber du musst dabei bedenken, dass die britischen und die amerikanischen Folkies Lord Byron komplett ignoriert haben. Vielleicht wegen seiner skandalösen Reputation. Die sind dann lieber bei Robert Burns geblieben." Nun waren die Poeten aber doch die Pop-Stars ihrer Zeit. Läge es denn da nicht auf der Hand, sich schillernden Persönlichkeiten wie Byron zuzuwenden? "Ich würde sogar sagen, dass Byron der erste Bad Boy des Rock war", scherzt Eric, "denn ihm kommt in Bezug auf seine Eskapaden niemand so schnell nahe. Er hat da quasi das Buch zum schlechten Benehmen geschrieben: Sex, Drugs, Rock'n'Roll, Frauen- und Männergeschichten und sogar eine Affäre mit seiner Schwester. Er hat da nun wirklich kein Abenteuer ausgelassen. Er war da schon ein rechtes Monster." Beziehen sich denn die Songs auf dem Album auf diese Eskapaden Byrons? "Oh sicher", bestätigt Eric, "es ist bei Byron zum Beispiel so, dass er sagte, dass er über Frauen schriebe - es können aber genausogut Männer gewesen sein. Er hat das immer verschleiert. Aber da die Gefühle immer da waren, hat das nicht wirklich eine Rolle gespielt."
Eric Andersen
Wie ist Eric das Ganze denn musikalisch angegangen? Der Song, den Eric über Lord Byron schrieb - "Hail To The Curled Darling" -, kommt als typischer Andersen-Blues daher, andere Tracks beziehen sich auf orientalische oder mediterrane Einflüsse, die Byrons Reisen im späteren Leben reflektieren (auf denen er am Ende sogar zu einem Freiheitskämpfer für die griechische Sache wurde) und wieder andere sind klassische Folkballaden. "Es ging mir um Sounds, die Lord Byron zu seinen Lebzeiten auch gehört haben konnte - wie zum Beispiel die Geige, die Oud, die Bouzouki oder die malinesische Djembé-Trommel, die ich eingesetzt habe. Ich habe mich musikalisch auf meine Intuition verlassen und auch ein paar Vermutungen angestellt. Ich hatte aber musikalisch eigentlich gar keinen Plan. Wohl aber habe ich zwei Songs über Byron geschrieben, um dem Zuhörer einen Eindruck davon zu ermitteln, wer dieser Typ eigentlich gewesen ist. Einer davon heißt 'Albion', was der antike Name Englands ist, um das Bild etwas größer zu gestalten. Byron war so etwas wie der uneheliche Sohn Englands - ein regelrechter Bad Boy. Er ist mit einer Menge durchgekommen - aber schließlich musste er abhauen, denn Homosexualität war zu jener Zeit ein kapitales Verbrechen." Dabei hat Byron aber doch eine interessante Karriere durchlaufen. "Ja, denn er ist für die richtigen Dinge eingestanden", führt Eric aus, "für Freiheit und Grundrechte. Er hat die Rechte der Arbeiter eingeklagt, was ihm viel Ärger eingebracht hat. Er war eine sehr mutige Persönlichkeit. Das gilt auch für Heinrich Böll und Albert Camus." Damit kommen wir zum größeren Bild - denn das Byron-Album ist nur ein Teil einer Trilogie, die Eric Andersen zusammen mit Label-Chef Werner Meyer inszenierte - und in Zusammenarbeit mit dem Maler Oliver Jordan, der mit seinen expressiven Porträts aller Beteiligten den Grundstein für das ganze Projekt legte. Vor dem Byron-Album hatte Eric Andersen nämlich bereits die EP "Shadows And Light Of Albert Camus" eingespielt und zur Zeit arbeitet er an einer weiteren EP, die sich Heinrich Böll zum Thema macht und - ähnlich wie die anderem beiden Tonträger - Songs enthält, die entweder über Böll geschrieben wurden (bzw. aus dessen Perspektive) oder aber auf dessen Werk - wie z.B. "Ansichten eines Clowns" oder "Der Engel schwieg" beruhen. "Ja, aus dem Camus-Projekt wollen wir auch noch ein ganzes Album machen", berichtet Eric, "das Material wird noch um zwei neue Songs basierend auf Camus-Werk ergänzt und für das Böll-Projekt nehme ich gerade vier Songs hier in Köln, der Heimatstadt Bölls, auf. Es ist eine schnelle Welt heutzutage und wenn jemand sagt, 'sollen wir nicht ein Album über Camus oder Böll machen', dann bin ich gleich dabei. Ich habe schließlich Jahre damit verbracht, deren Werke zu studieren. Mir sind fast die Augen aus dem Kopf gefallen, denn diese Bücher waren wie endlose Weinreben, aus denen es galt, ein oder zwei Flaschen guten Weines in Form von Songs zu destillieren." Nicht ein Mal dabei soll es bleiben: Im Sommer kehrt Eric Andersen in die USA zurück, und wird dort eine Tour absolvieren, die zusammen mit einem Best-Of-Album stattfinden soll, das über Sony vertrieben werden soll und schließlich steht noch das Angebot im Raum, ebenfalls für Sony ein neues Album in den USA einzuspielen. Langweilig wird es Eric Andersen also so schnell nicht werden.

Eine Frage sei aber doch im Zusammenhang mit der Literatur-Trilogie erlaubt: Eric Andersen ist ja selbst durchaus als brillanter Lyriker bekannt: Ist es da nicht ungewöhnlich, mit existierendem Material anderer zu arbeiten? "Nun ja, es ist ein wenig komisch - aber es ist für mich ja auch eine neue Sache", überlegt er, "ich habe alle Bücher in einem Rutsch durchgelesen. Und habe ich alles verwendet? Nein - aber die Herausforderung hat mich gereizt. Es geht ja immer darum, Grenzen zu erforschen." Ist das die Herausforderung, die Eric Andersen als Songwriter sieht? "Ich betrachte Kreativität als einen langen Fluss, den es zu erforschen gilt", erklärt er und führt dann weiter aus: "Man weiß nie genau, wo man dabei ankommt - auch nicht, wenn man eine Ahnung davon hat, in welche Richtung man gehen muss. Es geht nicht um das Ziel, sondern um die Erfahrungen, die man auf der Reise macht." In diesem Sinne darf man dann ja wohl hoffen, dass die Reise des Eric Andersen auf dem kreativen Fluss (den er ja im Grund genommen bereits 1972 auf seinem Album "Blue River" besang) noch recht lange andauern möge.

Weitere Infos:
www.ericandersen.com
www.facebook.com/ericandersenofficial
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-
Eric Andersen
Aktueller Tonträger:
Mingle With The Universe: The Worlds Of Lord Byron
(Meyer/Rough Trade)
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