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JUANITA STEIN
 
Seelenvolle Traurigkeit
Juanita Stein
Der Name Juanita Stein dürfte gegebenenfalls nur wahren Fans und jenen, die das Kleingedruckte lesen, geläufig sein. Denn Juanita sorgte seit 2006 als Frontfrau der 2004 gegründeten australischen Art-Rock-Band Howling Bells von der Wahlheimat London aus für Furore in Indie-Rock Kreisen - bis 2014 mit dem vierten Howling Bells-Album "Heartstrings" das bislang letzte Lebenszeichen der Band erschien. Das Konzept der Howling Bells lag in der Verquickung von auf den ersten Blick gar nicht mal so besonders kompatibler Musikstilen: New Wave, Roots-Rock, Prog-Elemente, eine Prise Weird-Folk, Kaputnik-Blues, Krautrock-Motorik, Goth-Gloom, etwas Elektronik und eine Art exaltierter Pop-Ästhetik bildeten die Grundlage für stets überraschende stilistische Schlenker und unkonventionelle Songstrukturen - in deren Zentrum stets Juanitas empathischer Gesang stand und die die Band selbst stets in assoziativer Verbindung cinematischen Themen sehen wollte. Einen spezifischen Stil suchte man im Sound-Universum der Howling Bells indes vergeblich: US-amerikanisch inspirierte Country-Musik. Deswegen kommt es zumindest mal überraschend, dass Juanitas Solo-Debüt sich ausgerechnet dieser musikalischen Gattung widmet und sich das Album - nicht nur dem Titel nach - sogar als Hommage an die USA versteht. Kurz gesagt: Das ist ja wie ein Liebesbrief an das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
"Ja, es ist ein Liebesbrief", räumt Juanita ein, "aber ist kein geradliniger, sondern irgendwie auch ein gequälter Liebesbrief mit vielen Facetten." Wie kam es denn zu dieser Sache? "Ich würde sagen, dass das Projekt über eine lange Zeit gewachsen ist", berichtet Juanita (übrigens witzigerweise mit einem deutlichen australischen Akzent), "musikalisch geht es um etwas, dem ich mich immer schon nahe fühlte. Und thematisch fühlte ich mich seit jeher unglaublich von der amerikanischen Kultur inspiriert. Weil diese so viele verschiedenen Facetten hat. Da ist zum einen diese ziemlich offene und ein wenig glamouröse Seite Amerikas und dann gibt es aber auch eine ziemlich düstere Unterseite, von der ich mich gleichermaßen angezogen fühle." Wenn sich dieses Projekt schon längere Zeit verdichtet hat, warum ist jetzt der richtige Zeitpunkt, es öffentlich zu machen? "Oh - ich habe das Ganze schon vor einem Jahr aufgenommen, bin dann aber schwanger geworden und habe eine Babypause eingelegt. Was das Timing betrifft, so muss man sich halt dem Lebenslauf anpassen und ich bin dem gefolgt, was eben passiert ist. Ich habe ein Kind bekommen und das bringt alle möglichen Emotionen und Situationen mit sich. Das hat also - was das Timing betrifft - sicher eine große Rolle gespielt." Nur um das genau festzuhalten: Das Album hat nichts mit der politischen Situation in den USA zu tun? "Nein, das ist nur ein riesengroßer Zufall", meint Juanita. Nun gut: Was verbindet dieses Album mit den Sachen, die Juanita mit den Howling Bells gemacht hat? "Bei den Howling Bells habe ich die meisten Songs geschrieben", erinnert sich Juanita, "die von der ersten Scheibe entstanden zum Beispiel alle in meinem Schlafzimmer. Und diese neuen Songs entstanden ebenfalls in meinem Schlafzimmer - nur eine lange Zeit später. Einfach der Umstand, dass diese Songs von Herzen kommen und aus meinem Geist entsprungen sind, verbindet diese also mit den alten Sachen. Und musikalisch würde ich sagen, dass meine Songs - die alten wie die neuen - immer auch eine gewisse Art der Verträumtheit ausstrahlen. Das zieht sich durch alle meine Arbeiten."
Tatsächlich geht es bei Juanita zwar nicht um Mörderballaden - aber es geht auch nicht um fröhliche Pop-Musik. "In der Tat", pflichtet sie bei, "ich würde sagen, es ist irgendwo dazwischen. Es gibt durchaus auch ein paar Stellen mit meiner Version von Optimismus in den Songs, aber es gibt auch Traurigkeit. In meiner Bio nenne ich das 'seelenvolle Traurigkeit' - und das ist etwas, dem ich mich sehr verbunden fühle. Meine liebsten Songwriter - wie Roy Orbison und auf gewisse Weise auch John Lennon - besitzen im Kern diese Art seelenvolle Traurigkeit, zu der sie immer wieder zurückkehren. Sie kommen vielleicht melancholisch rüber - zur gleichen Zeit aber auch optimistisch und das turnt mich an!" Gibt es denn einen Unterschied zu der Arbeitsweise zu den Howling Bells-Songs? "Ich würde sagen, dass ich diese auf dieselbe Art geschrieben habe", überlegt Juanita, "das Konzept ist zwar ein anderes und auch die Emotionen mögen auch unterschiedlich sein - aber ich bin immer eine sehr ruhige Songwriterin gewesen. Das heißt: Ich brülle meine Songs nicht hervor, sondern ich summe und singe meine Sachen sehr leise vor mich hin und dann nehme ich sie auf meinem Handy auf und arbeite dann von dort aus weiter." Das ist ein gutes Stichwort: Im Gegensatz zu manchen Howling Bells-Songs, kommen die neuen Stücke eher unterschwellig rüber und Juanitas Stimme ist geradezu einlullend leise. "Das stimmt", gesteht sie, "es hat aber viel damit zu tun, wie Gus Seyffert die Scheibe produziert hat. Er hat sehr bestimmt darauf hingearbeitet, mich sozusagen zum Schweigen zu bringen, weil ich nach meiner langen Zeit in den Howling Bells dazu tendierte, eher kraftvoll zu singen - während es bei dieser Scheibe eher darum ging, fast zu flüstern, um die ganzen Nuancen einfangen zu können. Das war etwas, was ich gerne mal ausprobiert habe, weil es etwas anderes war. Es ist ja auch so, dass es weniger herausfordernd ist, wenn man immer das Selbe macht - und ich wollte etwas neues ausprobieren." In dem Zusammenhang: Was macht Juanita denn mit der Energie und der Kraft, die sie in manche Howling Bells-Stücke investierte, denn im Vergleich zu den Howling Bells-Scheiben ist "America" geradezu friedfertig und beruhigend? "Das ist eine sehr gute Beobachtung", meint Juanita, "und ich denke, da hast du recht. Viele der Howling Bells-Songs waren voller innerem Zwist, Zorn, Pein und all diese Dinge, die du fühlst, wenn du älter wirst. Und ich denke, dass ich heutzutage diese durchaus nützliche Angst nicht mehr fühle, die ich früher verspürte, sondern dass ich mit mir und meinen Erfahrungen im Reinen bin und das kommt auf der Scheibe auch zum Ausdruck. Es ist schön, dass dir das aufgefallen ist."
Juanita Stein
Wo fand Juanita die Charaktere, die ihre neuen Songs bevölkern? "Leute", meint Juanita, "Leute und Erfahrungen, die man mit Leuten gemacht hatte. Eine wichtige Rolle bei den Howling Bells spielte immer der Umstand, dass wir eine Menge getourt sind. Wir haben zum Beispiel mal eine Scheibe in Las Vegas aufgenommen - in dieser für mich schon fast surrealen Stadt - und dort haben wir sehr viele interessante Leute getroffen und deren Geschichten über das Glücksspiel und den Herzschmerz kennen gelernt. Und das sind Geschichten, die man sich abspeichert, um sie dann später verwenden zu können." Geht es dabei um konkrete Charaktere und Geschichten, oder wird da auch mal was dramaturgisch zusammengesetzt? "Beides", meint Juanita, "es ist nicht immer sehr spezifisch - wie zum Beispiel in dem Song 'Someone Else's Dime' - sondern kann auch mal aus verschiedenen Geschichten zusammengesetzt sein. Es gibt auch immer eine ganze Portion 'ich' in den Songs. Man ist ja entweder diese Art von Mensch, der sehr gut darin ist, Herausforderungen im Moment anzunehmen - oder aber man gehört zu jener Sorte von Menschen, die diese Momente wegschließen und den Schlüssel wegwerfen. Ich denke, dass ich zur letzteren Sorte gehöre. Ich denke über solche Momente dann jahrelang nicht weiter nach - bis ich dann zu meiner Gitarre greife und alles aus mir hervorquillt." Das heißt also, dass Juanita auch zu jenen Menschen gehört, die ihr Leben mit Hilfe der Musik verarbeiten, nicht wahr? "Ja", meint sie sehr bestimmt, "mir ist nämlich mit der Zeit immer deutlicher geworden, dass Leute, die keine Möglichkeit haben, sich kreativ auszudrücken, es deutlich schwieriger haben, mit bestimmten Sachen umzugehen. Ich würde sogar sagen, dass es wirklich für jedermann wichtig wäre, sich irgendetwas Kreatives zu suchen - egal was, sei es Töpferei, Malerei oder was immer - um sich irgendwie ausdrücken zu können. Wenn man sich nämlich nicht irgendwie ausdrückt, führt das zu einer Menge innerer Aufruhr." Das mal eingedenk: Woraus ergibt sich dann ein guter Song für Juanita? "Für mich kommt es darauf an, dass ich etwas fühle, wenn ich an einem Song arbeite - sei es wegen einer bestimmten Akkordfolge oder Phrase irgendetwas fühlen kann - sei es, dass ich traurig werde, gut gelaunt oder gar wütend - dann ist das für mich okay", führt Juanita aus, "das gilt auch, wenn ich die Musik anderer Leute höre. Ich möchte auf einen Song reagieren können - und das kann ich, wenn jemand offenherzig und ursprünglich ist, dann ist das auch möglich." Heißt das, dass die Musik Juanita geholfen hat, sich als Persönlichkeit zu entwickeln? "Ja, das sehe ich so", führt sie aus, "ich denke, das hat viel mit dem Heilungsprozess zu tun, den man als Mensch kontinuierlich durchläuft. Als Songwriter und Performer tätig zu sein, hat einen großen Anteil an diesem Prozess. Jedenfalls gilt das sicherlich für mich."

Zum Glück geht Juanita die neuen Songs musikalisch nicht mit der Attitüde an, eine Genre-Kuratorin darstellen zu wollen. Obwohl es sich hierbei nominell um Country-Balladen, Torch-Songs oder Folk-Tracks handelt, finden sich doch immer wieder Eigenarten, die eher für Juanita Stein, als für das Genre typisch sind. "Natürlich", meinte sie nachdrücklich, "ich kann ja nicht den Umstand verleugnen, dass ich in Australien geboren und aufgewachsen bin. Und dann habe ich ja auch zehn Jahre in London gelebt. Das hat natürlich einen riesigen Einfluss darauf, wie man klingt. Hinzu kommt dass die Musik, die ich absorbiert habe und die Bands die ich gehört habe, definitiv nichts mit Country-Musik zu tun haben. Es geht da um eine Menge verschiedener Sachen von Trip Hop über Punk bis hin zu Jazz, Blues und Soul." Das ist ja auch eine gute Sache, da somit auf musikalischer Ebene allzu offensichtliche Schemata und Klischees vermieden werden können. Country-Musik ist ja das Genre der Geschichtenerzähler. Hat sich Juanitas Attitüde diesbezüglich beim Songwriting geändert? "Ja, in der Tat", räumt sie ein, "bei den Howling Bells ging es in den Songs immer mehr um Symbolismus. Deswegen war es für mich als Solo-Künstlerin wichtig, aus dem gewohnten Umfeld der Band herauszutreten und als Songwriterin ehrlicher und offensichtlicher zu sein und die Dinge nicht mehr so zu verschleiern und zu maskieren. In der Band gab es immer viele Geheimnisse, weil ich mich damals nicht sehr wohl dabei gefühlt habe, mit meinen Gefühlen umzugehen. Heute fühle ich, dass ich auf der neuen Scheibe ziemlich offen bin." Das heißt, dass die neue Scheibe persönlicher ist? "Sicher", pflichtet Juanita bei, "das Album ist zu 100% 'ich'."

Gibt es schon Pläne für Juanitas musikalische Zukunft? "Ich denke, dass ich erst mal in dieser Art weitermachen könnte", überlegt sie, "ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass ich das allzu drastisch ändern würde. Ich schreibe nämlich kontinuierlich und habe jetzt auch schon Songs für eine mögliche nächste Scheibe. Ich könnte mir vorstellen, dass einige davon etwas schneller sein könnten, als die jetzigen. Aber das ändert sich ständig - abhängig von der Reaktion auf eine Aktion. Für mich ist es am wichtigsten, mit meiner Musik eine Verbindung zu den Leuten herzustellen. Deswegen ist es auch wichtig für mich, live aufzutreten, weil ich so Leute treffen kann und ihnen meine Geschichten erzählen kann. Ich bin lieber auf der Bühne als im Studio, denn der Aufnahmeprozess ist für mich nur ein Mittel meine Musik zu dokumentieren. Das Beste ist, wenn ich jemanden im Publikum sehe, der seine Augen schließt. Das macht mich glücklich." Okay - dabei gibt es eigentlich nur ein Problem: In absehbarer Zeit wird Juanita erst mal nicht auf unseren Bühnen stehen. Bis dahin bleibt dann "America" als Dokumentation der "neuen" Juanita Stein.

Weitere Infos:
www.juanitastein.com
www.facebook.com/msjuanitastein
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Juanita Stein
Aktueller Tonträger:
America
(Nude Records/Alive)
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