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SIMON JOYNER
 
Die Genialität des Augenblicks
Simon Joyner
Rund zwei Dutzend Platten hat Simon Joyner in den zurückliegenden 25 Jahren veröffentlicht und sich dabei - inspiriert von Bob Dylan, Townes Van Zandt oder Leonard Cohen und angelehnt an einen leicht psychedelischen Country-Folk-Sound - einen ganz eigenen Klangkosmos geschaffen, in dem keine seiner Veröffentlichungen wie die letzte klingt. Von einer kleinen, aber eingeschworenen Fangemeinde geradezu kulthaft verehrt, legt der in Omaha, Nebraska, heimische 46-jährige Troubadour mit der herrlich brüchigen Stimme nun unter dem Titel "Step Into The Earthquake" sein unbestrittenes Meisterwerk vor.

Simon Joyner ist ein Songwriter der ganz alten Schule, der seine Kunst ohne Wenn und Aber in den Mittelpunkt rückt. Geld und Ruhm sind ihm egal, was zählt, ist nur der Song an sich. Seit jeher gelingt ihm dabei mit schier atemberaubender Leichtigkeit, schwierige Wahrheiten und eine unterschwellige politische Botschaft in wunderbar poetische Texte zu verpacken. Auch sein neues Doppelalbum ist ein Abgesang auf amerikanische Mythen, bevölkert von Charakteren, denen das Leben in diesen politisch turbulenten Zeiten übel mitgespielt hat, dennoch sind die Lieder nie hoffungslos. Dazu trägt nicht zuletzt die einfallsreich-detailverliebte Klangfarbe von Joyners exzellenter vielköpfiger Band bei, die bei den wunderbar naturbelassenen Live-im-Studio-Aufnahmen hörbar eine helle Freude am gemeinsamen Musikmachen hatte und mit ausladenden, aber nie ausufernden Arrangements bisweilen so klingt, als hätte es gegolten, Bob Dylans epochale Großtat "Blonde On Blonde" aus der Sicht von The Velvet Underground (zu Doug-Yule-Zeiten) neu zu interpretieren.

Entstanden ist so eine 80-Minuten-Glanztat, die mit einem dichten, ungemein intensiven Sound zwischen Heimeligkeit und Zeitlosigkeit begeistert und vollkommen ungekünstelt eindrucksvoll unterstreicht, warum Hochkaräter wie Conor Oberst, Gillian Welch, Kevin Morby oder auch Gisbert zu Knyphausen Joyner zu den Größten seiner Zunft zählen. Gaesteliste.de traf den sympathisch bodenständigen Amerikaner nach seinem Konzert in Düsseldorf Ende April, um mehr über "Step Into The Earthquake" zu erfahren. Ein Album, das Joyner übrigens selbst als Brückenschlag zwischen seinem 2006er-Album "Skeleton Blues" und der nur auf Vinyl veröffentlichten Doppel-LP "Ghosts" von 2012 beschreibt.

GL.de: Es ist fast ein Klischee, aber es wird gerne gesagt, dass Musiker mit jeder neuen Platte auf die vorangegangene Veröffentlichung reagieren. Ist der wunderbar ungezwungene Sound von „Step Into The Earthquake“ eine Reaktion auf deine letzte LP, "Grass, Branch And Bone", die betont geschliffen klang?

Simon Joyner: Bei mir ist es so, dass es stets die Songs sind, die die Richtung vorgeben. Den letzten Stapel Lieder umgab ein Gefühl der Nostalgie, das viele der Geschichten dominierte. Sie eigneten sich einfach gut für ein Album mit dieser Art von Klang. In Anbetracht dessen, was alles passierte, während ich die Lieder für "Step Into The Earthquake" schrieb, war von Anfang an klar, dass sie ein bisschen mehr Improvisation und einen weniger glatten Sound brauchen würden. Das passierte aber eher ganz natürlich. Vermutlich war es wirklich so, dass ich mir unterbewusst gesagt habe: "Wie wäre es mit einem etwas anderen Ansatz?"

GL.de: Wie genau hast du den Wunsch nach mehr Improvisation denn umgesetzt?

Simon Joyner: Das habe ich dadurch erreicht, indem die Musiker die Songs vor den Aufnahmen nicht groß geprobt haben. Ich habe ihnen die Lieder erst ganz kurz vor dem Studiotermin gezeigt. Das ist eine Herangehensweise, mit der ich gerne arbeite, wenn ich weiß, dass ich bei den Aufnahmen eines Albums eine komplette Band zur Verfügung habe und ich bin immer sehr glücklich mit den Ergebnissen gewesen. Letztlich suchst du dir einfach richtig gute Musiker und wirfst sie ins kalte Wasser. Wir haben live im Studio mit einer ziemlich großen Besetzung aufgenommen und alle haben zusammen gespielt. Wir hatten zum Beispiel zwei Schlagzeuger. Einer hat das Drumkit gespielt und der andere Percussion, aber sie haben sich ständig an den Instrumenten abgewechselt. Jeder von ihnen spielt bei ungefähr der Hälfte der Lieder auf der Platte Schlagzeug.

GL.de: War die Idee dahinter, erst einmal alle gleichzeitig spielen zu lassen, aber anschließend bestimmte Spuren auszuwählen und andere Instrumente zu eliminieren?

Simon Joyner: Nein, das war nicht möglich, weil wir fast alle zusammen in einem Raum gespielt haben. Nur das Vibrafon und die Akustikgitarre wurden isoliert aufgenommen, weil sie sich sonst bei der Aufnahme nicht gegen die anderen Instrumente hätten durchsetzen können. Aber auch diese Musiker waren mit uns zusammen im Raum, nur ihre Verstärker standen woanders. Spuren auszuwählen war aber auch gar nicht notwendig, denn in der Regel war es so, dass die Leute zwar beim Durchlauf vor der Aufnahme etwas zu viel gespielt haben, aber wenn es dann galt, haben alle wunderbar auf die anderen Musiker gehört und bei ihren Parts entsprechend reagiert. Es hilft auch, wenn sich die Musiker gegenseitig respektieren, dann will niemand dem anderen in die Parade fahren. Das ist eine Art Selbstzensur: Sie spielen nur, wenn es wirklich notwendig ist. Das ist das Beste, was passieren kann!

GL.de: Das erinnert ein bisschen an die Geschichte von Bob Dylans "Time Out Of Mind", als er angeblich immer mit Produzent Daniel Lanois raus auf den Parkplatz vor dem Studio gegangen ist, um die Songs zu besprechen, damit die Musiker nicht mitbekommen, was er will, sondern das beitragen, was sie für richtig halten!

Simon Joyner: Ja, das ist genau das, was ich auch wollte. Manchmal sage ich einem Musiker im Vorfeld auch, dass ich ihn für ein bestimmtes Instrument bei den Aufnahmen dabeihaben möchte, nur, um ihm dann im Studio spontan ein anderes zuzuweisen. Wenn ich zum Beispiel einen Gitarristen habe, der für meine Zwecke eigentlich schon fast zu gut an seinem Instrument ist, dann drücke ich ihm die Lap Steel in die Hand, damit er ein klein wenig außerhalb seiner Wohlfühlzone agiert. Weil er aber ein so begnadeter Musiker ist, hat er keine Probleme, die Ideen, die er für die Gitarre hatte, auch auf ein anderes Instrument zu übertragen. Der Grund, dass ich das gerne mache, ist folgender: Das Gitarrespielen beinhaltet so viel "body memory", dass du fast gar nichts falsch machen kann. Wenn die Musiker an einem Instrument sitzen, an dem sie sich nicht so wohlfühlen, besteht viel eher die Chance, dass sich ihre spontane Genialität durchsetzt.

GL.de: Ist das dein Weg, glattgebügelte Perfektion zu vermeiden? Schließlich sind es ja oft die kleinen Fehler, die ein Musikstück erst richtig menschlich und spannend machen!

Simon Joyner: Ja! Wenn ich zum Beispiel daheim Konzerte spiele, suche ich mir die Band erst kurz vorher zusammen, damit alle nur wenig Zeit haben, das Programm zu verinnerlichen, und sich niemand zu sehr in seine Parts reinfuchsen kann. Natürlich muss der Grundstein gelegt sein, aber ansonsten geht es darum, dass das Publikum jedes Mal etwas Neues erleben kann.

GL.de: Gilt etwas Ähnliches auch für deine Soloshows, dass du nur eine grobe Liste mit Liedern zusammenstellst, die so lang ist, dass du unmöglich alle Songs perfekt draufhaben kannst?

Simon Joyner: Ja! Weil ich so viele Lieder habe, gehe ich sie vorab alle höchstens ein, zweimal durch. Dabei spiele ich sie oft gar nicht wirklich an, ich gehe sie eher in Gedanken durch [als Beispiel murmelt er ein paar Zeilen von "Roll On" im Schnelldurchgang], um sicherzustellen, dass ich mich an den Text erinnern kann. Abgesehen davon ist das Ganze dann für mich eine genauso neue Erfahrung beim Spielen wie für das Publikum beim Zuhören und ich kann neue Herangehensweisen finden, während ich mich daran erinnere, warum ich die Zeilen damals niederschreiben wollte.

GL.de: Was macht dich derzeit als Musiker am glücklichsten?

Simon Joyner: Sehr glücklich hat mich gemacht, dass ich für die Aufnahmen zu „Step Into The Earthquake“ einige alte Freunde zusammenbringen konnte. So spielt zum Beispiel Alex McManus auf der Platte, mit dem ich früher viel zusammengearbeitet habe und den ich heute nur noch selten sehe, weil er inzwischen in Kanada lebt. Ich habe auch Michael Krassner einfliegen lassen, der nun in Phoenix heimisch ist. Dass sie nach Omaha kommen und gemeinsam mit meiner lokalen Band Ghosts die Platte einspielen konnten, war toll. Die Chemie zwischen den einzelnen Musikern war wirklich großartig. Sie wussten, worum es mir geht, und haben es spürbar genossen, miteinander zu spielen. Die Lieder auf der neuen Platte mögen düster sein, aber sie aufzunehmen war ein Riesenspaß! Am Ende ist "Step Into The Earthquake" ein Doppelalbum geworden, dabei dachte ich anfangs, dass ich noch nicht einmal genug Lieder für nur eine LP zusammenkriegen würde. Ich lebe in ständiger Sorge, dass meine aktuelle Platte auch meine letzte sein könnte.

GL.de: Aus Erfahrung solltest du doch eigentlich inzwischen wissen, dass diese Sorge unbegründet ist!

Simon Joyner (lacht): Ich weiß! Nach "Grass, Branch And Bone" verging allerdings ungefähr ein Jahr, ohne dass ich auch nur ein neues Lied schrieb. Ich saß da und wurde ziemlich kribbelig. Das erste Lied, was ich dann für die neue Platte schrieb, war "Annie's Blues ". Conor [Oberst] und ich, wir haben diese Tradition, dass wir neue Songs, sobald wir sie geschrieben haben, schnell mit dem Mobiltelefon aufnehmen und uns gegenseitig zusenden. Manchmal wird ein echter Wettbewerb daraus. Als ich Conor "Annie's Blues" schickte, schrieb er sofort zurück: "Sende mir mehr!", und ich musste gestehen: "Das war’s, mehr gibt’s nicht!" Weil er mir gleichzeitig aber fünf seiner für die "Ruminations"-LP bestimmten Songs zum Kommentieren geschickt hatte, war es nun an mir, mehr zu schreiben, damit ich die Konversation am Laufen halten konnte. Irgendwann begannen die Songs dann zu fließen. Letztlich ist es so, dass ich immer wieder Phasen habe, in denen ich einfach mein Leben lebe und all die Erfahrungen ansammele, die ich später dann in meinen Liedern verarbeite. Das ist mir aber nie klar. Ich spüre dann eher ein Gefühl des Versagens und glaube, dass nichts mehr übrig ist, über das ich schreiben könnte.

GL.de: Könntest du denn damit leben, wenn diese kreative Quelle eines Tages tatsächlich versiegen würde? Schließlich war und ist die Musik kein Vollzeitjob für dich. Anders als viele andere Musiker heute musst du also neue Lieder nicht aus finanziellen Zwängen heraus schreiben.

Simon Joyner (überlegt länger): Hmm, ich denke, ja! Voraussetzung wäre wohl, dass ich ein anderes künstlerisches Betätigungsfeld finde, so wie Bob Dylan neuerdings Skulpturen aus Eisen und Stahl anfertigt. Ich hoffe, dass ich nie Platten veröffentliche, die meinen eigenen Ansprüchen nicht genügen, aber viele andere haben genau das getan, es ist also immer im Bereich des Möglichen, auch wenn ich hoffe, dass es nicht passiert. Ich würde wohl mit dem Songschreiben nur dann aufhören, wenn es irgendwann keinen Spaß mehr machen würde, keine therapeutische Wirkung mehr für mich hätte oder ich das Gefühl bekäme, dass ich mich zu sehr wiederhole. Noch wichtiger wäre aber eben, dass ich etwas anderes Kreatives finde, das ich spannender finde als das Songwriting - aber bislang habe ich das noch nicht gefunden!

Weitere Infos:
www.simonjoyner.net
facebook.com/simonjoynermusic
bbislandmusic.com/simon-joyner/
en.wikipedia.org/wiki/Simon_Joyner
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Pressefreigabe-
Simon Joyner
Aktueller Tonträger:
Step Into The Earthquake
(BB*Island/Cargo)
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