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VIKTORIAPARK
 
sie waren jung und brauchten das geld
Viktoriapark
In Teufels Küche kommt, wer sich in den Viktoriapark begibt! Warnen schon immer die Omas die Enkelkindlein. Oder so ähnlich. Jedenfalls heißt das Debut-Album der Band aus Berlin (nicht: der Berliner Band, denn das sind größtenteils Zugereiste), die sich nach dem Park benannte, bei dem sie lebt und musiziert, "In Teufel's Küche". Das ist eine recht gute Beschreibung, denn da wird so einiges an kulinarischen Leckerbissen geboten und vieles davon ist ganz schön scharf. Auch ohne die Flasche Tabasco, die der Promo-CD beilag.
Viktoriapark
VP das sind zunächst und vor allem der dünne Mann (blöder Name, aber der Mann ist dünn) und Susie Pinkawa. "Klingt live wie Garbage" erklärt mir ein kundiger Pressebetreuer (allerdings nicht der für VP) und stößt damit ein allgemeines Rätselraten an, wie er bloß darauf gekommen sein könne. "Vermutlich, weil wir eine Band mit Sängerin sind", vermutet Susie nicht ganz zu unrecht. Denn weder produzieren VP auf 700 Spuren (auf 8, um genau zu sein) noch schleppen sie tonnenweise Electronics mit sich rum (eine popelige Beatbox, um genau zu sein). Alles andere ist Handarbeit - in mehr oder minder amerikanischer Manier, wie der dünne Mann einräumt. Vermutlich weil er ein Fan von sowas ist. Singt wie Howie Gelb, mag Steve Wynn, Joey Burns, John Convertino, Lucinda Williams und nicht zuletzt Buffalo Tom. Klingen tut VP aber "ganz anders". Das soll dann auch als Beschreibung reichen, denn Schubladen, wo man diesen musikalischen Gerbauchtwarenladen reinquetschen könnte, gibt's nicht. "Bei uns kommt's zunächst und vor allem auf die Stimmung an", beschreibt Susie die Herangehensweise an die Songs. Diese schreibt der dünne Mann und Susie paßt sie dann auf ihre Bedürfnisse an. Sangestechnisch und was den Wortlaut betrifft. Das Ergebnis ist dann etwas, was mangels Masse gerne mit der "Hamburger Schule" verglichen wird. "Vermutlich, weil wir deutsch singen", vermutet Susie nicht ganz zu unrecht. Denn das mit der Hamburger Schule ist quatsch. Hier wird nicht geblumfeldelt und tocotroniert, sondern - sagen wir mal - unbefangen drauflos getextet. Heraus kommt dabei so eine Art Gebrauchssprache, leicht assoziativ und eher beschreibend als belehrend, eher dichternd als denkend. Manchmal klingt's auch vergleichsweise infantil. "Vermutlich, weil ich eine mädchenhafte Stimme habe", vermutet Susie nicht ganz zu unrecht. Der dünne Mann sagt nix dazu. Immerhin hat das Ganze so seinen gewissen natürlichen, naiven Charme. Und dämlich klingen tut's auch nicht, weil: Da ist ja noch die Musik. "Manche unserer Songs sind eher traurig", erklärt Susie, "richtige Geschichten sind es auch nicht. Es geht eher darum, Stimmungen zu umschreiben und in Worte zu kleiden." Das ist ja auch schön, da kann der Hörer dann selber noch was dazutun. Das war aber gar nicht so geplant. Bei Viktoriapark scheint vieles nämlich auch aus dem Bauch heraus zu passieren. Nicht unbedingt der Sound, allerdings. Da hatte man ganz eigene Vorstellungen (die nun wirklich nix mit Garbage oder Hamburger Schule am Hut haben).

Der dünne Mann würde ganz gerne mal traditionelle, amerikanische Musik mit deutschen Texten verquicken. Etwa so wie Tillman Rossmy (behaupten wir mal). Deswegen suchte man sich - der Plattenfirma sei dank - zunächst mal einen amerikanischen Produzenten. Jonathan Burnside in dem Fall, dem man zunächst mal alles erklärte und Platten vorspielte und so. Leider funktionierte das dann gar nicht so gut, weil Burnside alle Ecken und Kanten wegproduzieren wollte. "Vermutlich, weil wir unsere eigenen Vorstellungen hatten und er die seinen", vermutet Susie nicht ganz zu unrecht. (Davon abgesehen ist Burnside zwar ein netter Kerl aber ein ganz schöner Diktator, was seine Ideen angeht. Das liegt wohl daran, daß er eigentlich lieber eine Nummer größer wäre). Deswegen war man froh, daß man dann an Moses Schneider geriet, der z.B. auch Susie van der Meer produzierte. Und der kannte sich auch aus mit Stimmen und Gesang und so. Dann gab's da noch die Streicher. Und die Gitarren, nicht zu vergessen. Denn bei aller sperrigen Experimentierlust, ist Viktoriapark vor allem und zunächst eine Gitarrenband. Was sich auch live sehr schön zeigt. "Eigentlich sind wir ja eine Proberaum-Band", erklärt Susie das, "wir hatten immer A&R's im Probenraum und kamen gar nicht dazu, live zu spielen." Dazu haben sie ja jetzt Gelegenheit und es scheint recht gut zu funktionieren.

Viktoriapark
Susie hat eine - sagen wir mal - sehr einschmeichelnde Bühnenpräsenz, die manche Ungelenkigkeit der 4 Jungens verzeihen läßt. Aber das wird schon noch. Da gibt's noch wesentlich ungelenkere Bands. Und peinlichere. Was uns nochmal zu den Texten bringt. "Wir machen jetzt auch manchmal englische Texte", sagt Susie und da fällt mir auf, daß ich noch gar nicht gefragt habe, warum die Band in Deutsch singt. Braucht man aber auch nicht, weil das so selbstverständlich ‘rüberkommt, daß man da gar nicht drüber nachdenkt. Es gelingt sogar, die Texte - wie bei "ausländischen" Acts - zu überhören. Wofür wohl eine gewisse Selbstverständlichkeit sorgt, die das angestrengte Zuhören überflüssig macht. Und dann ist da ja noch der herbe, knödelnde Howie-Gelb-Gesang des dünnen Mannes und Susie's vergleichsweise unbekümmertes, an den entscheidenden Stellen aber reflektierend tiefgründiges Geträller - dankenswerterweise öfters auch mal im Duett - was zum Charme des Unterfangens beiträgt. Auf die Frage, ob es denn was gäbe, was man hätte besser machen können, antwortet der dünne Mann, daß etwas mehr Dynamik nicht geschadet hätte, und da sind wir uns schnell einig, daß das stimmt. Und die gibt's dann live, wo sich die Tracks eh anders anhören. Verspielt und aufwendig arrangiert weicht hier einer straighteren Attitude. "Wir haben versucht, sowas dann auch mal für die Platte einzuspielen, aber fanden das alle Scheiße," erklärt Susie, "Live und Platte sind halt zwei unterschiedliche Dinge." Viktoriapark tingeln jetzt erstmal als Support-Act (ohne übrigens unterzugehen, wie das ja vielen hoffnungsvollen Nachwuchstalenten wider anderen Behauptens des öfteren passiert). Dann folgt eine Tournee als Headliner und dann: Mal weitersehen. Es ist noch viel Leben im Viktoriapark.

[Erstveröffentlichung in Gästeliste #2, Oktober 1998]

Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-

Aktueller Tonträger:
In Teufel's Küche
(Eastwest)
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