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CHUMBAWAMBA
 
Vox Populi
Chumbawamba
Chumbawamba sind eines jener wenigen lebenden Beispiele dafür, daß sich Kommerz und politische Agitation nicht notwendigerweise ausschließen müssen. Im Schafspelz kommen die Wölfe der Chumbawamba'schen Hitsingles daher; so der 93er Durchbruchs-Megahit "Timebomb" oder aber "Tubthumper", namensgebender Opener und Singelauskoppelung aus dem aktuellen Album. Chumbawamba haben es mittlerweile geschafft, schaffen es mittlerweile auch musikalisch, mühelos scheinbar unvereinbare Gegensätze unter dem Mäntelchen der Musik zu verquickeneinbaren. Zugängliche, poppige Melodien treffen hier auf intelligent gemachte Arrangements, in denen sich bei allem kommerziellen Appeal immer noch rauhe, schmirgelnde Elemente verbergen, die die Ursprünge der Band erahnen lassen. Und dann sind da die knallharten politischen Texte. Doch es sind mehr als Texte, die die Ideologie der Band reflektieren. "Bei Chumbawamba ist alles politisch", erklärt Sängerin Alice Nutter. Vom basisdemokratischen ausdiskutieren musikalischer Ideen über das Festlegen der visuellen Präsentation bis zur paritätischen Abstimmung inhaltlicher Themen findet bei Chumbawamba alles im bewußten, kommunalen Prozeß bandinterner Meetings statt. Das Ergebnis ist etwas ungewöhnliches: Funktionale Pop-Platten mit agressivem, thematischem Tiefgang. "Tubthumper" macht hier keine Ausnahme. Über dies und mehr unterhielt ich mich mit Alice, Gitarrist Buf und Drummer Harry.
Zunächst mal interssiert sicherlich, was ist eigentlich ein "Tubthumper" ist...

Buf: Es ist jemand, der auf einer Kiste an der Straßenecke steht und den Leuten seine Meinung zuruft. Das war mal eine große Tradition. Es gab hunderte von Leuten, die sowas machten - nicht nur im Hydepark. Mit dieser Platte wollen wir etwas hinausrufen.

Die Erklärung des soziologischen Umfeldes gibt's bei Chumbawamba immer gleich dazu. Auf der Platte ist eine Karikatur eines feuerspeienden "Tubthumpers" abgebildet. Ist das das Thema der Platte? Wie kam es zu dem Thema? Die letzte Platte war ja eher persönlicherer Natur.

Buf: Das Thema ist, daß wir etwas hinausrufen wollten.

Alice: Als wir uns über das Album unterhalten haben, haben wir uns gesagt: Laß uns doch marktschreierische Politik machen. Beim letzten Album beklagten sich die Leute darüber, daß wir Liebeslieder gemacht haben. Aber die Tatsache, daß wir Songs über etwas machen, was man normalerweise nicht mit Politik assoziiert heißt nicht, daß wir keine politische Meinung haben. Wir singen über alles, was wir für relevant halten. Ein Teil unseres Dings ist ja, daß wir über Sachen sprechen wollen, über die wir sprechen wollen. Man hat uns vorgeworfen, daß wir zu einer Popband geworden sind.

Ist es nicht seltsam. Daß einem immer das vorgeworfen wird, was man gerade nicht macht? Wieso sind Chumbawamba denn ausgerechnet zur EMI gewechselt?

Alice: Warum denn nicht? Man hat uns doch schon angemacht, als wir von einem Indie-Label zum nächsten gewechselt sind. So haben wir doch vielmehr Gewicht.

Ist "Tubthumper" ein Konzeptalbum?

Harry: Irgendwie ist alles, was wir machen ein Konzeptalbum. Was passiert bevor wir ein Album aufnehmen ist, daß wir uns zusammensetzen und über alles reden. Wir diskutieren stundenlang was wir sagen wollen, was wichtig ist, wie wir das zusammenbringen.

Chumbawamba
Es ist keine Rock-Oper oder sowas. Obwohl - ich mag solche Sachen. Sie müssen aber kurz sein, so wie "A Quick One" von The Who. Wie kommt es, daß gerade dieses Album so ungezwungen, leichtfüßig daherkommt?

Buf: Tut es das? Es ist das erste Album, an dem wir - mit Hilfe von Samplern und Computern - viel zu Hause gearbeitet haben. Als wir dann ins Studio gingen, hatten wir alle Probleme bereits gehabt und gelöst. Wir haben sogar versucht, mit einem Produzenten zu arbeiten. Das hat aber nicht so richtig geklappt. Wir hatten diese Liste von beeindruckenden Namen - ich will jetzt nicht sagen, welche. Dann haben wir es probiert und es ist fürchterlich in die Hose gegangen. Da saß dieser Typ und brütete über unseren Sachen und trommelte auf dem Tisch und erfand Wörter, um unsere Musik zu beschreiben - da haben wir uns gesagt: Verdammt noch mal, das braucht's nicht.

Natürlich ist auch das Herausarbeiten des fertigen Songs ein kollektiver Prozeß. Das Motto ist hierbei: Übereinstimmung und Diskussion. Ein Prozeß, der sich, wie Alice erklärt, im Laufe der Jahre verfeinert hat. Gibt es irgendwas, wovor Chumbawamba zurückschrecken würden?

Harry: Nein, wenn es im Kontext gesehen wird, sicherlich nicht. Wenn etwas einen Sinn macht, etwas bewegt, aufrührt, dann machen wir es auch.

Alice: Wir haben auch mal ein Kelly-Family Cover gemacht. Diese Musik ist so voller Exkremente. Und wir dachten, daß es lustig ist, daß die Leute in diesen Songs nach - sagen wir mal - christlichen Botschaften suchen, wo es doch all diese zynischen Untertöne gibt. Alle diese Songs sind überladen mit dem Zweifel an der Existenz Gottes.

Chumbawamba
Welche Bedeutung haben die Samples auf der Platte?

Alice: Das sind klassische Schnipsel von Filmen, die wir mit unserer Arbeit verbunden sehen. Z.B. "Raining Stones" von Ken Loach, was absoluten Sinn macht. Er reflektiert, wie Leute sind - und das ist es, was wir auch machen.

Die Texte von Chumbawamba sind natürlich "Slices of Life", wie sie anschaulicher und illustrativer keine Margarinenwerbung präsentieren könnte - nur halt mit Schmackes. Da gibt's z.B. diesen Song "The Big Issue" über Obdachlose und deren Kampf ums Überleben ("The Issue" ist eine Obdachlosenzeitung). Oder da ist "Tubthumping" mit seinen naiv-gloriosen Melodiebögen, in die die Zeile "Pissing The Night Away" eingebettet ist . Oder dieser Song über Gewerkschaftsbosse, die die Mitglieder verarschen während sie auf Posten im Oberhaus spekulieren.

Alice: Das tun sie doch alle. Den Leuten wird erzählt: Leider ist kein Geld da, aber wir unterstützen euch moralisch. Und auf der anderen Seite bringen diese Bonzen ihr Schäfchen ins Trockene und kaufen sich in Positionen ein.

Wulff Matthies, ick hör dir trapsen. Das Schöne - und eigentlich Anarchische an der Geschichte ist, daß dies alles konsumentenfreundlich in poppiger, zugänglicher und Mainstream-Radio-tauglicher Verpackung daherkommt. Und das, ohne dabei abstoßend zu sein. Die Leute tanzen zu Musik und singen die Texte zu Songs, deren politische Relevanz ihnen überhaupt nicht bewußt sind. Sowas ist wahrlich subversiv. Dann gibt es auf der Single einen Track namens "Farewell To The Crown" - ein Thema, welches ich gerne ein paar Wochen später diskutiert hätte (das Gespräch fand im Juli statt). Wie steht man dazu?

Harry: Jeder in England denkt dasselbe. Daß es vollkommen überflüssig und viel zu teuer ist, diese Leute in mächtigen Positionen und riesigen Häusern leben zu haben. Aber die Regenbogen-Presse präsentiert dieses vollkommen verzerrte Bild der Dinge. Sie sind dafür verantwortlich, daß die Royals in einem vollkommen falschen Licht erscheinen.

Alice: Zuletzt versuchten sie ja gar sowas wie Persönlichkeiten zu werden. Früher hatte die Queen ihren angestammten Platz, unpersönlich, las nur vorgegebene Reden vor. Nun hast du Leute wie Diana, die sagen: Schau, ich bin eine Persönlichkeit und eine wundervoller Mensch dazu. Nein, das ist wirklich nicht mehr lustig.

Lustig hingegen die Live-Shows. Da gibt's auch immer etwas für's Auge.

Alice: Das ist der theatralische Aspekt. Wir versuchen immer, so etwas einzubauen. Es ist nicht dasselbe wie im Studio. Die MTV-Generation braucht irgendeinen visuellen Stimulus. Da macht es auch nichts, wenn wir einen Narren aus uns machen. Deswegen ist Dan auch beim Smashing Pumpkins Konzert im Rockpalast nackt auf die Bühne gelaufen mit dem Wort "Punk" auf seiner Brust.

Cogito ergo sum. Insofern darf man sich jede Chumbawamba-Live-Show getrost reinpfeifen. Auch unter dem Aspekt: Da ist für jeden was dabei. Chumbawamba sind des denkenden Volkes musikalische Stimme.

[Erstveröffentlichung im Baby Talk-Fanzine #12, Dezember 1997]

Weitere Infos:
www.chumba.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-



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