Das bedeutet natürlich nicht, dass Gelb Convertinos und Burns' Verdienste nicht anerkennt. "John und Joe sind in jeder Beziehung großartig. Das Verständnis, das uns verbindet, ist wirklich telepathisch. Es ist unglaublich cool, zusammen mit ihnen zu improvisieren und die ganzen alten Countrysongs zu spielen und die Jazz-Sachen, die wir draufhaben. Aber soweit es eine gute, altmodische Rock N Roll-Show angeht, da stecken diese Jungs (von Grandaddy) einfach viel mehr drin." Eine These, die das schwer rockende, streckenweise fast ein bisschen bluesgefärbte Konzert im Odeon einwandfrei unterstrich. Denn Burtch und Fairchild sind schließlich ähnlich begnadete Musiker wie ihre Vorgänger, und Howe musste eine seiner besonderen Vorlieben deshalb nicht aufgeben, das "Abenteuer des Nicht-Probens", das er uns schon letztes Jahr erläutert hatte: "Es gibt so viele Bands da draußen. Also habe ich mir schon sehr früh überlegt, was ich einbringen kann, das anders und trotzdem unterhaltsam ist? Wenn du unvorbereitet loslegst, musst du in diesem Moment etwas erschaffen, das dann einzigartig ist. Das funktioniert nicht immer, aber je länger du es machst, desto besser wirst du." Das beweisen nicht nur die Livekonzerte, sondern auch sein neues Soloalbum "Confluence". Das besteht zum Teil aus Aufnahmen, die eigentlich für das letzte Giant-Sand-Album gedacht waren, ohne dass es sich dabei um minderwertige Outtakes handeln würde. "Confluence" ist eine phantastische Platte, intensiv, tiefsinnig und vollgepackt mit herausragenden Songs. Die Piano-Ballade "Saint Conformity" war bereits im letzten Jahr bei den Giant-Sand-Konzerten ein Highlight und "Blue Marble Girl" zählt ohne Frage zu den schönsten drei Popsongs, die Gelb je fabriziert hat. Grandaddy helfen auch auf der Platte bei einigen Songs als Backingband aus und zusammen mit Gelb spielen sie eine ebenso mutige wie gefühlvolle Version des Elvis-Hits "Can't Help Falling In Love". Und auch sonst beweist Howe eindrucksvoll, dass er sich auf einem neuen Schaffens-Höhepunkt zu befinden scheint.
Trotz der bereits geschilderten Hektik in Münster konnten wir Howe beim "Tonträgerbasteln" im Bus zu einem gekürzten Blinddate überreden. Was das Giant-Sand-Mastermind über Cat Powers Version von "Wonderwall" denkt oder wie sehr wir ihn mit Linda Ronstadts "It's So Easy" hätten erschrecken können, wird leider ein Geheimnis bleiben, aber für die folgenden Songs reichte die Zeit noch:
* Mary Lou Lord "1952 Vincent Black Lightning"
("Change Of Pace" EP, Work/Sony, 1998)
Die Queen der Straßenmusikerinnen aus Boston, Massachussetts, wird oft mit der von Howe sehr geschätzten Juliana Hatfield verglichen. Und der Autor des Songs, Richard Thompson, dürfte für Mister Gelb auch kein Unbekannter sein...
Howe (nach wenigen Sekunden): "Ich kenne die Stimme! Ich kenne den Song!... Richard Thompson? Ja, richtig! Ich hab ihn kürzlich erst live gesehen. Er ist zum ersten Mal überhaupt nach Tucson gekommen. Rainer [Howes leider 1997 an einem Gehirntumor gestorbener langjähriger musikalischer Weggefährte] war ein großer Richard-Thompson-Fan. Als wir die Band 1979/80 als Giant Sandworms gründeten, brachte jeder Songmaterial mit. Rainer schlug einen Thompson-Song vor, den wir auch heute noch spielen. "
GL: Diese Version stammt von einem weiteren großen Thompson-Fan, Mary Lou Lord.
Howe: "Oh, ja! Ich habe sie letztes Jahr in Austin auf der Straße spielen sehen. Sie ist ziemlich cool. Sie hat alles, was man braucht... [Gespielt vorwurfsvoll] Hey sag mal, sind das alle CDs, die du bis jetzt zusammengebaut hast? Du bist ziemlich langsam, man!"
* Led Zeppelin "Tangerine"
("Led Zeppelin III", Atlantic, 1970)
Die wohl größte Rockband der 70er mit einer seltenen, aber wunderschönen Akustiknummer. Seit ihrer gemeinsamen Arbeit an dem Rainer-Tribute-Album "The Inner Flame" sind Howe und Robert Plant überdies befreundet.
Howe: [Schweigen].
GL: Das solltest du kennen! Du hast mit ihnen auf "The Inner Flame" zusammengearbeitet!
Howe: [schweigt weiter].
GL: Das sind Led Zeppelin!!!
Howe: "Oh! Ja! Robert! Ich wusste, dass er es war. Zuerst hatte ich an alte Stones gedacht, es klang so vertraut! Aber ich bin nicht drauf gekommen, als du mir den Tip gegeben hast... Ich dachte: "'The Inner Flame'? Bill Janovitz [von Buffalo Tom] vielleicht?"
* The Jayhawks "Somewhere In Ohio"
("Smile", Columbia, 2000)
Früher stilistisch durchaus mit Giant Sand verwandt, jetzt mehr in Richtung Pop orientiert, Drumcomputer inklusive.
Howe: "Da hab ich nun wirklich überhaupt keinen Schimmer! Hat aber sehr nette Harmonien!"
GL: Die waren euch früher mal recht ähnlich....
Howe: "Da würde ich mal raten: Wilco!"
GL: Nah dran, aber noch nicht ganz!
Howe: "Son Volt?"
GL: Nee, Jayhawks!
Howe [wenig begeistert]: "Ah! Gary!"
GL: Du magst also diese "modernisierte" Fassung nicht so sehr? Gerade in Bezug auf deine eigene Musik?
Howe: "Ich habe einfach nicht die Fähigkeit, so etwas zu machen. Ich hatte auch nie den Drang, mich in diese Regionen vorzuwagen. Die Jayhawks bringe ich vor allem mit dieser seltsamen Situation mit Mark Olsen in Verbindung. Das war alles sehr obskur. [Olson hat die Band vor einigen Jahren unter nie ganz geklärten Umständen verlassen (müssen).]"
Jim: "'Blue' von den Jayhawks ist einer der besten Songs überhaupt, finde ich!"
* The Rolling Stones "Hand Of Fate"
("Black And Blue", Rolling Stones Records, 1976)
Eine Nummer, die man als großen Einfluss auf die frühen Giant Sand werten könnte, sehr straighter, bluesgefärbter Rock N Roll.
Howe [nach wenigen Sekunden]: Mick Jagger! Die Stones haben uns früher sehr beeinflusst, allerdings nicht so sehr 'Black And Blue', sondern vor allem 'Sticky Fingers', 'Let It Bleed' und 'Exile On Mainstreet'. Das waren die drei wichtigsten. Ich dachte damals, dass 'Sticky Fingers' die beste Platte aller Zeiten sei, besonders was die Produktion angeht. Es gibt keine Platte, die besser produziert ist, dazu stehe ich auch heute noch. (*)
* Duane Allman "Please Be With Me"
("Duane Allman Anthology Volume 1", Capricorn, 1972)
Eine herzergreifende Ballade, die später u.a. von Eric Clapton sehr erfolgreich gecovert wurde.
Howe: "Ein Grateful-Dead-Stück, oder?"
GL: Nah dran!
Jim [lachend]: "Ein Jerry-Garcia-Solostück?"
Howe: "Duane Allman? Irgendwo her kenne ich den Song...ach ja! Der Typ, der mir das Gitarrespielen beigebracht hat, irgendwann in den 70ern, er und noch ein anderer Typ haben diesen Song endlos gespielt."
* John Cale "Hallelujah"
(V.A. "I'm Your Fan - A Tribute To Leonard Cohen", Atlantic, 1991)
Eine sehr schöne Solo-Klavierversion des berühmten Cohen-Stücks, nicht nur auf diesem Album zu finden, sondern vom ex-Velvet Undergrounder auch oft als Schluss-Song seiner Konzerte gespielt.
Howe [ob seiner schlechten Erkennungsquote an sich selbst zweifelnd]: Nick Cave?
GL: Als Tip, der Song ist von Leonard Cohen.
Howe [lachend]: Ja, richtig. Er benutzt in allen Songs die gleichen Wechsel! Muss ich den Sänger kennen?
GL: Ja, ist allerdings einige Generationen vor Nick Cave...John Cale
Howe: Aha. Weißt du, ich höre eigentlich kaum etwas von ihm...
GL: Aber du kennst ihn...
Howe: Ja, na klar! Aber es wundert mich nicht, dass ich so schlecht abgeschnitten habe (lacht). Ich erkenne ja selbst meine eigenen Songs nicht. Letztens haben mir Jim und Aaron ein Stück vorgespielt und ich rief: 'Hey, das kenne ich!' Und sie sagten: 'Kein Wunder, den Song hast du ja geschrieben!'"