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NADA SURF
 
Weniger ist mehr
Nada Surf
Manchmal können Platten einen völlig unvorbereitet vom Schlitten hauen. Passiert selten, kommt aber vor. Zum Beispiel beim dritten Album von Nada Surf mit dem schlichten, aber sehr treffenden Titel "Let Go". Schon die ersten Takte von "Blizzard Of '77" reichen aus, um die Platte zum (heimlichen) Album des Jahres zu erklären und den Glauben an große Popsongs zurückzugewinnen. Mit einer heute selten gewordenen Leichtigkeit spielen sich Matthew Caws, Daniel Lorca und Ira Elliott durch 12 Bilderbuchsongs, die zwar oberflächlich betrachtet kaum in die gängigen Schubladen wie Pop, Alternative Rock oder Emo-Core passen, aber dennoch spielend ihr Publikum in allen Lagern finden dürften. Schließlich gibt es hier nur Hits! Die hymnische Akustiknummer "Blizzard Of '77" ist nur der Auftakt eines ungemein abwechslungsreichen Albums. Denn schon das nächste Stück, der treibende Pop-Song "The Way You Wear Your Head", führt uns auf ganz anderes Terrain und ist ganz nebenbei noch musikalisch wie textlich eine nette Hommage an Cheap Tricks "I Want You To Want Me".
Das Stück ist zugleich eines der wenigen, die an die Nada Surf erinnern, die 1996 mit ihrem Debütalbum "High/Low" und dem erschreckend perfekten "Popular" einen frühen Millionseller landen konnten, nur um dann mit ihrem nicht schlechteren zweiten Werk "The Proximity Effect" zwischen die Front der Plattenindustrie zu geraten, was dazu führte, dass die Platte ebenso schnell wie unverdient in Vergessenheit geriet. Doch anstatt ihre (verständliche) Frustration auf "Let Go" mit lauten Songs herauszubrüllen, geben sich die drei ungezwungen, relaxt und ungewohnt ruhig. Sie haben offensichtlich begriffen, dass zehn Jahre nach dem Grunge-Boom ein Wall of Sound nicht immer der Weisheit letzter Schluss ist. Paradebeispiel dafür ist der Song "Blonde On Blonde", der hier in der leisen Rohversion erschienen ist und trotzdem alles andere als unfertig klingt. Das "Weniger ist mehr"-Prinzip zieht sich durch alle Songs. Und selbst wenn es bei "No Quick Fix" in Urge-Overkill-Manier etwas lauter wird und das für Nada-Surf-Verhältnisse geradezu überschwänglich fröhliche "Happy Kid" auch auf dem '93er Album der Lemonheads einen Platz mehr als verdient gehabt hätte, zeigen die Amerikaner ihre wahre Größe, wenn sie einen Gang zurückschalten. "Inside Of Love" ist beispielsweise ohne Frage der beste Song, den Nada Surf bisher fabriziert haben, eine Hymne für alle Alleingebliebenen, die ungemein gekonnt auf den Punkt gebracht ist, ohne dabei in Selbstmitleid zu versinken. Und als wäre die Bandbreite, die das Trio auf "Let Go" abdeckt, damit nicht schon groß genug, gibt es zum Schluss mit "Paper Boats" sogar noch echtes Country-Feeling. Unglaublich. Unglaublich gut, versteht sich.
Nada Surf
Szenenwechsel: Matthew Caws sitzt gut gelaunt im Biergarten des Kölner Hopper Hotels und erklärt der deutschen Journaille geduldig das neue Album. Während so manch andere Musiker solche Promotage dazu nutzt, den Rockstar raushängen zu lassen und Personal von Hotel, Management und Plattenfirma durch die Gegend zu scheuchen, übt sich Matthew in sympathischer Zurückhaltung. Sein französischer Manager jedenfalls kann sich beruhigt auf seinem Hotelzimmer seiner Arbeit widmen, in der Gewissheit, dass sein Schützling alles im Griff hat. So sehr im Griff sogar, dass Matthew dem Vernehmen nach der Vertreterin der deutschen Plattenfirma am Morgen sogar nahe gelegt hatte, ihn ruhig alleine zu lassen und shoppen zu gehen, die Termine mit den Medienvertretern würde er auch alleine auf die Reihe bekommen. Und was macht Matthew, wenn sein Drink (und wir reden hier von Mineralwasser!) leer ist? Winkt er mit großen Gesten einen Hotelbediensteten herbei? Nein, er stiefelt los und organisiert eine neue Flasche des kühlen Nass'. Und warum eigentlich auch nicht? Schließlich unterschreibt niemand mit einem Plattenvertrag auch die Verpflichtung, sich wie ein verhätschelter Sechsjähriger aufzuführen, wenngleich das erstaunlich oft Hand in Hand geht.

Nach dem zweiten Album "The Proximity Effect" von 1998 war Matthew ziemlich abgetaucht, spielte in einer Louvin-Brothers-Coverband Bluegrass-Songs und machte sich Gedanken, wie es für ihn musikalisch wohl weitergehen könnte. Die ruhigeren Töne auf "Let Go" haben zum Beispiel ganz pragmatische Gründe. "Ich mag es einfach nicht, beim Singen zu schreien. Ich denke, dass ich darin einfach nicht besonders gut bin, abgesehen davon, dass es völlig unnatürlich ist. Wie ich zu Hause singe, das ist natürlich, und dem tragen die neuen Stücke jetzt Rechnung. Wenn wir immer noch die gleiche Musik wie 1998 spielen würden, wäre die Band wahrscheinlich zerbrochen, weil es nichts mehr gäbe, um die Dinge für uns interessant zu halten, und außerdem wollten wir eigentlich schon immer etwas ruhigere Sachen spielen. Ich will nicht behaupten, dass wir darin jetzt wirklich gut sind, aber früher konnten wir es überhaupt nicht. Trotzdem waren auf 'The Proximity Effect' vor allem die ruhigeren Stücke meine Favoriten, ganz besonders '80 Windows'. Zum Beispiel ist auf dem neuen Album 'Blonde On Blonde' eines meiner Lieblingsstücke, weil wir da das Gefühl hatten, dass wir uns wirklich entwickelt haben. Bei dem Song passierte etwas ganz Ähnliches wie damals bei '80 Windows' - irgendwie hatten wir dabei alle unterbewusst das Gefühl, dass der Song noch lauter und knalliger werden müsste, doch dann sagte ich: 'Nee, am besten, wir lassen ihn so wie er ist. " Als wir dann jetzt 'Blonde On Blonde' aufnahmen, hatte das first take diese Velvet-Underground-Drums und die Hand Claps, und zuerst dachte ich, es sei riskant, den Song so zu veröffentlichen, aber dann war mir klar: Der Song ist fertig! Deshalb ist er einer meiner Favoriten, und außerdem eines der wenigen Stücke, das nicht von mir und meinen Problemen handelt. Das war eine echte Befreiung, mal über etwas anderes zu singen, hahaha! Der Song handelt zwar auch von mir, aber es ist eine Situation, in die jeder kommen könnte." Was uns zu einem der wenigen unveränderten Faktoren bringt: den Texten. Die sind auf "Let Go" - trotz einiger Ausnahmen - weiterhin sehr persönlich gefärbt sind. Ohne Frage eine der Stärken von Nada Surf, wenngleich sich Matthew durchaus sehr bewusst ist, dass zu viel Selbstmitleid gerade in den Medien nicht gut ankommt. "Natürlich darfst du es nicht übertreiben. In Amerika ist uns das oft vorgehalten worden, das Bild vom selbstsüchtigen Jammerlappen, und natürlich versuchen wir alles, nicht in diese Kategorie zu fallen. Das Letzte, was ich wollte, wäre, für manche Leute wie ein wehleidiger Idiot zu klingen. Das wäre dann ja Emo, oder?", lacht Matthew. "Sorry, das hab ich jetzt einfach so gesagt. Das Wort begegnet mir derzeit überall, und ich finde das total witzig. Ich denke, all diese Bands sollten 'Emo-tional Rescue' von den Stones covern, hahaha!"

Wer nun allerdings denkt, mit dem Sound der "neuen Nada Surf" habe sich auch Matthews eigener Musikgeschmack völlig gewandelt, der irrt. So erzählt er uns freudestrahlend, dass er die ganze letzte Woche "Rocket To Russia" von den Ramones gehört habe und dabei zu dem Schluss gekommen sei, dass es sich dabei um die beste Platte aller Zeiten handelt… Die neue Lockerheit rührt laut Matthew nicht zuletzt auch daher, dass sie im Gegensatz zum Vorgänger-Album nichts mehr zu beweisen hatten und mit der gewissen "Egal"-Haltung an "Let Go" herangehen konnten. "Wir sagten uns einfach: 'Wenn wir schon noch zusammen sind, können wir eigentlich auch versuchen, das Beste daraus zu machen.' Wir wollten einfach eine weitere Platte aufnehmen." Wartete das Publikum vor vier Jahren bei der Veröffentlichung von 'The Proximity Effect' begierig auf weitere Hits wie "Popular", zeigen sich nun die meisten überrascht, dass es Nada Surf überhaupt noch gibt. "In der Zeit seit dem letzten Album habe ich manchmal selbst vergessen, dass ich noch in der Band bin", gesteht Matthew. "Ich habe in einem Plattenladen bei mir in der Gegend gearbeitet, und ab und zu kam jemand in den Laden und meinte: 'Hey, bist du nicht der Sänger von Nada Surf?' Und ich dachte überhaupt nicht an die Band, sondern nur, was ich wohl zu Mittag esse oder ob ich die Miete zusammenkriege. Vielleicht bin ich einfach dumm, aber ich bin nicht sehr karriereorientiert." Was sich spätestens in dem Moment zeigte, als Matthew in der Tat seine Miete nicht mehr bezahlen konnte. Dass niemand auf die Platte wartete (und kein Label sie bezahlte), wurde dennoch zum Glücksfall für das Trio. Zur neuen Bescheidenheit der Band gehört nämlich auch, alles finanziell im Rahmen zu halten und nicht mehr auf einen (zu) großen Vorschuss einer Plattenfirma zurückzugreifen. "Für 'The Proximity Effect' sind wir mit all unserem Equipment von New York nach Los Angeles geflogen, und das hat ein Vermögen gekostet. Deshalb haben wir uns dieses Mal überlegt, von New York nach L.A. zu touren, dort die Platte zu machen und auch auf dem Rückweg wieder Konzerte zu spielen. Genau das haben wir gemacht. Den Leuten vom Studio haben wir unser T-Shirt-Geld gegeben und den ganzen Juli [2001] dort verbracht. Das war einfach großartig!"

Nada Surf
Und "Let Go" ist in der Tat der eindrucksvolle Beweis, dass man eine hervorragende Platte auch ohne große finanzielle Hilfe der Industrie machen kann. "Es gibt keinen plausiblen Grund, warum man viel Geld für eine Platte verschwenden sollte. Heute kann man Platten für ziemlich wenig Geld aufnehmen. Ganz wichtig war es uns aufgrund unserer Erfahrungen auch, dieses Mal die Platte nicht weltweit auf dem gleichen Label zu veröffentlichen. Denn wenn nur ein einziger Typ einen schlechten Tag hat oder der für dich Zuständige gefeuert wird, geht alles den Bach runter, und das ist es einfach nicht wert." Dass ein Major größere finanzielle Ressourcen hat, bestreiten zwar auch Nada Surf nicht, wohl aber, dass Geld das Einzige ist, was zählt. "Was kann eine große Plattenfirma dir schon bieten?", fragt Matthew abschließend. "Selbst wenn sie so viel Geld in uns investieren würde, dass wir mit den Bubblegum-Rockern mithalten könnten - wer will das schon? Wir wollen einfach ein paar gute Platten machen, auf Tour gehen, ruhig bleiben." So einfach kann das manchmal sein!
Weitere Infos:
www.nadasurf.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Samuel Kirzenbaum-
Nada Surf
Aktueller Tonträger:
Let Go
(Labels/Virgin)
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