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WISDOM OF HARRY
 
"Imagination is more important than knowledge"
Wisdom Of Harry
Vor knapp 15 Jahren war der Engländer Pete Astor ungefähr genauso cool wie der Eisberg, den damals die Titanic gerammt hat. Er hatte bereits mit seiner ersten Band The Loft einige hochgelobte Singles auf dem damals noch in den Kinderschuhen steckenden Creation-Label veröffentlicht, als seine zweite Band, The Weather Prophets, an die Spitze der britischen Indie-Charts schoss und in der Presse eine neue Creation-Blitzkarriere abgefeiert wurde. Wer jedoch nun denkt, im Sommer 2000 tritt ein abgehalfterter alternder Rockstar im Kölner Hotel Hopper der hiesigen Journallie entgegen, irrt gewaltig. Denn wie wohl jeder andere 40jährige Familienvater auch, hält Pete frühmorgens der Promoterin seines Labels keineswegs ein hochprozentiges Mundwasser der Marke Jack Daniel's oder Johnny Walker unter die Nase, sondern zeigt stolz Fotos seines sechs Monate alten Nachwuchses.
Überhaupt ist Pete Astor auf dem Teppich geblieben und man nimmt ihm seine Freude, wieder in Deutschland sein zu können, ohne weiteres ab. Kein Wunder, verbrachte der Sohn einer deutschen Mutter doch in seiner Kindheit viel Zeit bei den Verwandten in Hamburg und spricht nicht nur deshalb, akzentfrei deutsch. "Es war schon ganz schön seltsam, heute morgen nach so vielen Jahren wieder durch eine deutsche Großstadt zu laufen. Natürlich gibt's das inzwischen überall, aber mir sind trotzdem die Unterschiede zu den 70ern sehr stark ins Auge gefallen: Die amerikanisch-geprägten Graffitis, McDonalds überall, die Skater... Es ist alles soviel globaler geworden. In den 70ern war alles viel deutscher, egal, ob man das nun als Vor- oder Rückschritt sieht. Auf jeden Fall war es für einen Engländer, der nach Deutschland zu Besuch kam, ein viel seltsamerer Ort."

Seltsam ist es für den ein oder anderen bestimmt auch, dass Pete Astor überhaupt noch im Musikbiz aktiv ist. Immerhin haben die meisten von ihm zum letzten Mal vor zehn Jahren gehört, als er nach einigen nur sehr mäßig erfolgreichen Solo-Platten Creation den Rücken kehrte und seine Liebe zum elektronischen Homerecording entdeckte. Neben einigen weiteren Projekten wie Ellis Island Sound entstand so die Idee zu The Wisdom Of Harry, und nach einigen limitierten Singles auf Kultlabels wie Wurlitzer Jukebox und Lissy's sowie einem ersten Album "Stars Of Super-8" auf seinem eigenen Faux-Lux-Label erscheint nun "House Of Binary", sein Debut für Matador.

"Ich wollte eine echte Verbindung zum Publikum aufbauen. Bei manchen Plattenfirmen läuft es so, dass es so aussieht, als seist du wichtig, und es gibt jede Menge Presse, aber in Wirklichkeit gibt es niemanden, dem du oder deine Musik etwas bedeuten", erklärt Astor seine Motivation hinter dem vorsichtigen Start auf kleinen Labels. "Ich war ganz einfach ein Fan der Labels. Keith von Wurlitzer Jukebox habe ich eigentlich nur ein Tape geschickt, weil mir die Plone-Single auf dem Label so gut gefallen hatte. Bei Lissy's [dem Label der zweiten Wisdom-Single] war es ähnlich. Und bei Matador ist man auch auf mich aufmerksam geworden, weil sie sich die Singles gekauft hatten, was wirklich selten ist für Leute, die ein Label führen. Das Gleiche gilt für Musiker [und Journalisten] - es ist erstaunlich, wie viele Leute im Musikbusiness herumlaufen, die keine Platten kaufen. Es ist geradezu angsteinflößend."

Wisdom Of Harry
Auf seine neue Platte ist Pete mächtig stolz, aber nicht nur aus dem offensichtlichen Grund, dass "House Of Binary" eine wirklich hervorragende Platte ist, sondern vor allem, weil er es ohne Hype und ohne die ständigen Querverweise auf Creation Records geschafft hat. "Es war schön, einen Neustart fernab von dem ganzen Creation-Ding zu schaffen. Der Erfolg ist für mich sehr viel realer, weil meine Platten nicht nur aus nostalgischen Gründen von denjenigen gekauft werden, die meine Sachen zu Creation-Zeiten gemocht haben. Viele Leute, die The Wisdom Of Harry mögen, wissen nichts von meiner Vergangenheit, und für diejenigen, die es wissen, spielt es zumeist keine Rolle." Deshalb ist Astor auch mit seinem Verhältnis zu seinem neuen Label mehr als zufrieden. "Bei Matador haben die Künstler das Sagen, niemand macht dir Vorschriften, es ist genauso wie früher bei Creation in den 80ern. Es wäre niemandem auch nur Traum eingefallen, einem Künstler zu sagen, wie eine Platte zu klingen hätte. Heute ist es fast an der Tagesordnung, dass ein Label hergeht und sagt: 'Könnt ihr es ein bisschen wie ... klingen lassen?' Das ist auch okay, aber definitiv nix für mich. Matador dagegen ist Punkrock. Dort hat man ein sehr gesundes Geschäftsverständnis." Das geht sogar so weit, dass das Label seinen Künstlern noch nicht einmal bestimmte Entscheidungen abnimmt, selbst wenn diese darum bitten. So erntete Pete, der bei der Wahl der Singleauskopplungen aus einem Album gerne auf die Meinung anderer zurückgreift, nur verständnislose Blicke, als er bei Matador die Frage fallen ließ: "Glaubt ihr, auf dem Album sind irgendwelche potentiellen Singles?"

Ausgekoppelt wurde als erste Single letztendlich "Coney Island Of Your Mind", das stellvertretend für den Rest des Albums eine Brücke zwischen Petes gitarrenorientierter Vergangenheit und seiner eher auf atmosphärische Dichte zielenden "Disco"-Gegenwart schlägt. Privat hört Pete sowohl Lambchop als auch Autechre, Missy Elliott oder East River Pipe und auch vor Moby hat er großen Respekt. Nicht weiter verwunderlich also, dass "House Of Binary" wie die Quersumme aus all diesen Einflüssen klingt und mit jedem Song auf's Neue überraschen kann.

Und zum Schluss noch Petes Kommentare zu drei musikalischen Weggefährten:

- Alan McGee (Creation Label)

"Ich bin froh, etwas von dem Creation-Rummel losgekommen zu sein, obwohl ich McGee noch regelmäßig sehe. Ich rufe ihn wirklich nicht oft an, aber wenn ich mit ihm spreche, macht er meistens gerade irgendwelche total verrückten Sachen. Beim letzten Mal war er gerade per Fähre auf dem Weg zu Joe Fosters [ein weiteres Creation-Urgestein] Hochzeit."

- Dan Treacy (Television Personalities)

"Es ist ein Wunder, dass er nicht schon tot ist. Das Letzte, was ich von ihm gehört habe, ist, dass er vor einem Jahr an King's Cross rumgelungert hat und Bier gesoffen hat. Ich glaube fast, er will eines Tages an einer Überdosis sterben, weil sich das cooler in der Biographie macht."

- Keith Jenkins (Wurlitzer Jukebox Label)

"Keith hatte die erste Wisdom-Of-Harry-Single bereits veröffentlicht, bevor er spitzgekriegt hat, wer ich bin. Er kannte mich nur als 'Pete'. Als wir dann den geschäftlichen Kram regeln wollten, sagte er: 'Pete Astor? Warst du nicht in den Weather Prophets?'"

Weitere Infos:
www.kleber.co.uk/faux-lux
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Eve Gonzalez-
Wisdom Of Harry
Aktueller Tonträger:
House Of Binary
(Matador/Zomba)

 
 

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