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THE DISTILLERS
 
Der Duft der Frauen
The Distillers
Im Renaissance Hotel in Hamburg. Ältere Herrschaften in feinen Anzügen kommunizieren in den verschiedensten Sprachen. Hübsch gekleidete junge Damen stehen an der Rezeption und leise, klassische Musik erfüllt den Raum. In einem Zimmer in einem der oberen Etagen lümmeln sich drei Distillers, Sängerin Brody lässt noch auf sich warten. Drummer Andy weiß irgendwie nicht, was er tun soll. Gitarrist Tony und Bassist Ryan haben sich auf einem plauschigen Sofa gemütlich gemacht, schlürfen Cola und stellen sich den Fragen von Gaesteliste.de. Und die erste lautet natürlich: "Ist das hier alles noch Punkrock?"
Ryan und Tony sind sich einig: "Nein!" Sie hören die Frage vermutlich nicht zum ersten Mal: "Das war eine Entscheidung der Plattenfirma, wir machen hier nur die Interviews und das stört uns auch nicht. Ist ja ganz gemütlich hier. Zwar schlafen wir auch in diesem Hotel. Aber unsere Zimmer sind viel kleiner." - "Meine Güte", lacht Tony. "Der Raum hier ist größer als mein ganzes Haus. Möchtest du wirklich nichts trinken?" Die Atmosphäre ist gelöst, zwei Tage zuvor haben The Distillers einen durchaus gelungenen Gig im Hamburger Grünspan gespielt. Heute sitzen sie übermüdet, aber gut gelaunt im Hotel, geben den ganzen Tag Interviews. Wie auch schon am Tag zuvor. Sie wissen, dass sie vielleicht das große Los gezogen haben. Sie sind jetzt bei Warner unter Vertrag. Beim Medienriesen. "Unsere Musik und unsere CDs sind jetzt überall erhältlich, wir können mehr Leute erreichen, mehr CDs verkaufen und zum Beispiel uns auch im Studio mehr Zeit lassen. Das sind eine Menge Vorteile." Vorteile, die sicher nicht jeder nachvollziehen kann. In keiner Szene gilt die Major-Industrie als böser als im Punkrock, nirgendwo wird der Independent-Gedanke, DIY und der Underground mehr verehrt. Als Offspring damals Epitaph verließen, oder Bad Religion oder jüngst Rancid, wurde schon Verrat gesprochen, bevor nur ein neuer Ton der Bands gehört wurde. Es war und ist eine Sache des Prinzips. Albern? Ganz sicher. Und The Distillers sehen das ganz genauso. Und haben auch keine Angst, Fans zu verlieren. "Das ist doch alles Bullshit", sagt Ryan. "Independent-Labels sind doch genau wie Majors. Sie wollen Platten verkaufen. Und das ist doch auch völlig okay. Weder die einen noch die anderen sind Feinde." - "Es liegt doch ganz alleine an einem selbst", ergänzt Tony. "Wenn man weiterhin ehrliche Musik macht, ist es völlig egal, wo man seine Songs veröffentlicht. Wenn du dir aber vom Label sagen lässt, was du anziehen sollst oder welche Songs du wie spielen musst, dann hast du verloren. Klar, dann kannst du eine Menge Geld verdienen, aber das ist schlecht. Schlechte Musik, schlechte Kunst." Ryan: "Ich denke einfach, wir machen keine schlechte Musik." Tony: "Im Gegenteil. Unsere Mission ist es, schlechte Musik zu bekämpfen!" Weitere Ziele und Wünsche sind viele Touren, viele neue Platten und "Grenzen aufzureißen", so Ryan. "Wir wollen experimentieren, Stile integrieren, die wir mögen und für cool halten und uns einfach weiterentwickeln. Unser Ziel ist es, in keine Schublade mehr zu passen." - "Aber du wirst uns wohl niemals rappen hören", lacht Tony.
In den letzten Monaten brachten viele Punkrock-Bands neue Scheiben auf den Markt und auch im neuen Jahr erwarten uns viele neue Veröffentlichungen. Da muss natürlich gut durchdacht werden, für welchen Silberling man seine Euronen ausgibt. Ryan hat ein schlagendes Argument, warum "Coral Fang" mit auf den Einkaufszettel muss: "Wir haben eine nackte Frau am Kreuz auf dem Cover!" Was als Scherz gemeint ist, sieht Tony ganz ernsthaft: "Ich kaufe mir häufig Platten oder höre wenigstens in sie hinein, weil mir das Artwork gefällt. So habe ich schon einige Schätze gefunden, ohne von der Band je gehört zu haben. Nur, weil mir ihr Cover gefiel." Das nackte Mädchen entstand folgendermaßen: Tim Presley spielte mit Distillers-Drummer Andy zusammen bei den Nerve Agents und macht auch deren Cover. Brody zeigte ihm ihre Lyrics und bat ihm, was zu entwerfen. Er kam mit einigen Entwürfen zurück und gemeinsam entschied man sich für die Lady am Kreuz. "Wir wollen mit dem Cover aber nicht provozieren oder unbedingt auffallen. Es ist einfach ein cooles Bild, das Emotionen weckt. Es gefällt uns. Und es sieht auf der Bühne in der großen Fassung noch besser aus", lacht Ryan.
The Distillers
Was ist der Vorteil einer Sängerin? Ryan: "Alles riecht gut!" Lachen. Mal wieder. "Ich war schon immer ein Fan von weiblichen Vocals. Sie haben eine andere Art, Songs zu schreiben, bringen Emotionen in die Musik, die ein Kerl nicht erzeugen kann. Ich denke jetzt aber nicht ständig 'Wow, wir haben eine Sängerin', aber es ist schon cool." Weniger enthusiastisch geben sich die beiden, wenn es um Politik geht. Viele Punkrockbands engagieren sich, unterstützen Fat Mike und seine Punkvoter-com-Aktion, möchten Kids aufklären, zum Wählen entmuntern. "Ich habe von Politik keine große Ahnung", sagt Ryan. "Und bevor ich Mist erzähle, halte ich lieber den Mund. Aber was Fat Mike da macht, ist schon klasse. Wir finden das alle gut, schließlich zeigt er den Kids, worum es im Punk früher ging, wie alles entstand. Aber um mitzumischen fehlt uns der Background." Tony ergänzt: "Inzwischen muss Punk ja auch nicht zwangsläufig politisch sein. Es geht um die Einstellung zum eigenen Leben, nicht zur ganzen Welt." Und das hat nichts mit Mode zu tun. "Manche Kids haben mich gefragt, warum ich jetzt anders aussehe", erzählt Tony. "Aber wen interessiert das? Ich meine, ich trage, was mir gefällt und du solltest tragen, was dir gefällt. Guck dir doch die Jungs von Black Flag damals an. Sahen die aus wie typische Punkrocker? Sicher nicht, aber sie waren es." - "Neulich kam meine Schwester zu einer unserer Shows und die Kids machten sie an, sagten ihr, das wäre eine Punkrockshow und da müsse man anders aussehen. Das ist so lächerlich!", hat Ryan recht. "Als wir zu Warner kamen, haben auch gleich alle wieder von einem Sell-Out gesprochen und gelästert, was wohl demnächst für Leute auf unseren Konzerten sein werden. Ja und? Dann kommen vielleicht mehr Leute in Jeans und T-Shirt und nicht jeder wird einen Iro tragen, aber das heißt nicht, dass es weniger Punks sind. Es ist die Einstellung, die einem zum Punk macht, nicht die Klamotten oder der Musikgeschmack. Man kann auch Air mögen oder Radiohead und trotzdem mehr Punk sein als der Iro mit der Lederjacke."
Weitere Infos:
www.thedistillers.com
www.thedistillers.de
Interview: -Mathias Frank-
Fotos: -Pressefreigabe / Mathias Frank-
The Distillers
Aktueller Tonträger:
Coral Fang
(Reprise/WEA)

 
 

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