Gestartet hatte Carter seine Karriere einst als Tätowierer, zur Musik ist er gekommen, um für seine in Gewalt ausartende Frustration, die sich in seinem Leben aufgestaut hatte und die ihm alles kaputt zu machen drohte, ein Ventil zu finden. Auch deshalb zeichnet seinen Sound, egal, wie er auch genau ausgeprägt ist, vor allem stets eines aus: große Leidenschaft. Diese Konstante gibt es auch auf "Modern Ruin", doch sonst macht Carter derzeit eine Menge anders. "Ich habe das Jahr mit einer ganz neuen Einstellung begonnen", erklärt der Sänger und Songwriter gleich zu Beginn unseres Gesprächs. Fokussierter ist er jetzt, weniger grüblerisch, und das macht ihn derzeit sehr glücklich: "Der Grund dafür ist ein Jahr mit richtig viel Stress, das hinter mir liegt. Ich hatte einfach sehr viel um die Ohren, nicht nur mit der Band, sondern auch mit meiner Familie." Ihm wurde klar, dass er auf sich aufpassen muss, damit ihm nicht alles aus den Händen gleitet: seine Musik, seine Gesundheit, seine Familie.
Carters veränderte Einstellung wird auch auf "Modern Ruin" deutlich. Der erste Song des aktuellen Albums handelt von seinem Hund, der letzte von seiner kleinen Tochter. Alle dazwischen thematisieren das chaotische Jahr, das hinter Carter und seiner Familie liegt. "Die meisten Songs handeln von den Turbulenzen, die meine Frau und ich durchzustehen hatten", erklärt er. "Glücklicherweise sind wir daraus gestärkt hervorgegangen." Auch wenn Zeilen wie "This house is no longer a home / The spectrum we had known / Disappeared and now we are alone" in "Real Life" klingen, als hätte er sie direkt nach einem schlimmen Streit niedergeschrieben, sind die Texte keine ungefilterten Tagebucheinträge. "Mir ist es wichtig, auch eine spätere Bewertung der Situation mit einzubringen", unterstreicht er. "Man muss alle Blickwinkel beleuchten, sonst… ist am Ende Donald Trump Präsident! Ich fange die Gefühle gerne spontan ein, aber was ich später dann veröffentliche, ist wohlüberlegt. Eine Platte ist ja für die Ewigkeit und ich möchte später nichts bereuen müssen - ganz abgesehen davon, dass ich sie noch jahrelang live spielen muss."
Doch auch wenn Carter ein ganzheitlicher Blick beim Songwriting wichtig ist - sein Erfolgsgeheimnis bei der Arbeit kennt er nicht, und er möchte es auch gar nicht ergründen. "Wenn ich mir zu viele Gedanken dazu machen würde, wie meine Songs entstehen, würde ich vermutlich nie wieder einen einzigen schreiben können", ist er überzeugt. "Dean (Richardson, Gitarrist und Co-Autor bei den Rattlesnakes) kommt in der Regel mit einer sehr groben Idee eines Riffs zu mir und ich stelle ihm erste Skizzen für einen Text vor, und dann lassen wir die Songs selbst ihren Weg ins Freie finden. An dem Punkt, wo es sich gut anfühlt und wir unseren Groove finden, proben wir ihn mit den anderen, und so wird ein neues Lied geboren."
Auch nach all den Jahren spielt für Carter also das Element der Überraschung eine entscheidende Rolle im Entstehungsprozess seiner Lieder. "Ja, vollkommen! Genau danach suche ich zumeist, nach der Überraschung!", bestätigt er. "Wenn ich schon von vornherein weiß, wie der Anfang klingt und das Ende, dann bin ich ehrlich gesagt etwas enttäuscht." Deshalb ist er stets auf der Suche nach den magischen Momenten, nach Songs, die er und seine Mitstreiter so nie für möglich gehalten hätten.