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SLOW LEAVES
 
Zwischenzeitlich...
Slow Leaves
"Das ist meine Frau auf dem Cover", meint Grant Davidson mit Bezug auf das Foto auf der Vorderseite seines fünften Slow Leaves-Albums "Meantime", "ich habe das Album für meine Frau gemacht, denn es ist mir schon bewusst, dass sie sehr für mich zurückstecken musste, um mir zu ermöglichen, mich als Songwriter und Musiker zu verwirklichen." Mal abgesehen davon, dass das natürlich einer der allerbesten Gründe ist, ein Album zu machen, erstaunt es doch ein wenig, denn das Thema der bisherigen Werke des kanadischen Songwriters war... er selber. Freilich war ihm das auch immer schon bewusst: Bereits sein zweites Slow Leaves-Album nannte er "Enough About Me" und mit seinem letzten Werk "Holiday" wollte er gar eine Auszeit von sich selbst nehmen. Und es ist ja auch wichtig festzuhalten, dass "Meantime" kein Album über, sondern für seine Frau geworden ist. Welche "Zwischenzeit" aber besingt Grant denn auf dem neuen Werk? Geht es vielleicht darum, auf etwas zu warten, und das, was in der Zwischenzeit passiert - vielleicht sogar, während er sich eine Auszeit von sich selbst genommen hat?
"In gewisser Weise sind ja alle meine Alben irgendwie miteinander verbunden - denn ich schreibe ja eine Menge Songs über mein Leben", überlegt Grant, "jedes Album enthält also ein Teil dessen, was mir in dem betreffenden Teil meines Lebens durch den Kopf ging. Ich verbringe viel Zeit damit, über Dinge nachzudenken und ich mag es wenn ich mich langweile - weil ich dann genug Zeit dafür habe. Ich versuche heutzutage eine Bedeutung in allem zu finden, weil ich merke, dass mir die Zeit davon rennt, während ich älter werde. Die 'Zwischenzeit', auf die ich mich in dem Titel des Albums beziehe, handelt von den Momenten, die, während sie passierten, unbedeutend erschienen im Vergleich zu großen Ereignissen wie Parties, Todesfälle, Hochzeiten, Geburtstage - so etwas. Das Leben besteht aber hauptsächlich aus diesen kleinen Momenten, die unbemerkt vorbei gehen, während man auf die großen Dinge wartet. Das ist, was ich mit 'Zwischenzeit' meine, denn ich will diese kleinen Momente bemerken und mir bewusst machen." Geht es dabei um so eine Art Fear Of Missing Out? "Nein, ich habe keine FOMO", meint Grant, "wie ich sagte, will ich meinem Leben so viel Bedeutung zumessen, wie ich nur kann. Die Herausforderung ist dabei, herauszufinden, was 'Bedeutung' eigentlich bedeutet - denn das ist ja für jeden anders. Mein Leben fühlt sich so an, als warte ich auf Dinge. Ich denke, das geht vielen so. Wenn man jung ist, hat man ja diese Visionen von Meilensteinen in seinem Leben - ich gehe zur Schule, ich habe eine Karriere, ich werde heiraten, ich werde Kinder haben und erfolgreich sein. Viele von diesen Sachen passieren aber gar nicht - oder nicht so, wie man sie sich vorstellt. Man stellt sich ja immer vor, dass man irgendwo ankommen werde - aber das ist nie der Fall. Man macht einfach immer weiter. Im Grunde genommen ist das ganze Leben ja so eine Art 'Zwischenzeit', denn es kommt nie zur Erkenntnis, dass man etwas geschafft hat und dort angekommen ist, wo man hinwollte. Es geht immer weiter - bis es irgendwann nicht mehr weiter geht." Na ja - das ist ja der Unterschied zwischen Fiktion und dem richtigen Leben, denn ein Ende wie in Geschichten oder Filmen gibt es im Leben ja nicht. "Ja - und in der Fiktion gibt es ja auch einen Spannungsbogen, den es im Leben mit seinen ganzen Unwägbarkeiten ja nicht gibt."

Überhaupt stellt Grant auf seiner neuen Scheibe einige grundsätzliche philosophische Überlegungen an. In dem Song "Happy All The Time" kommt er etwa zu dem Schluss, dass man ja gar nicht immer glücklich sein könnte und in dem Song "Say Goodnight" stellt er fest, dass der Tod sein müsste, wie Schlafen ohne zu träumen. Grundsätzlich nimmt Grant mit solchen Betrachtungen eine weniger persönliche Position aus der Vogelperspektive ein. "Ich versuche eigentlich immer, mir einen Überblick aus der Vogelperspektive zu verschaffen", erklärt Grant, "das ist nicht immer ganz einfach, aber ich versuche es. Die Schriftsteller, zu denen ich mich hingezogen fühle, und die Filme, die ich mag, sind in der Lage genau das zu tun. Manchmal gelingt mir das auch. Bei 'Say Goodnight' ist mir das in gewisser Weise auch gelungen, denn die Vogelperspektive bedeutet ja nicht, dass man sich nur einen Überblick verschafft. Man muss auch die Details sehen und sich den Augenblicken und spezifischen Dingen widmen. Ich denke ja eh viel über den Tod nach. Denn wenn man über das Leben und die Bedeutung nachdenkt, muss man auch über den Tod nachdenken." Was ist denn dabei die Herausforderung? "Immer daran zu denken, dass man die Vogelperspektive einnehmen will", schmunzelt Grant, "wenn ich so in meinen Gedanken herumstöbere, dann bleibe ich schnell bei einer kleinen Perspektive hängen. Davon muss man sich erst mal lösen. Deswegen hilft mir das Song-Schreiben dabei, denn wenn man Songs schreibt, dann muss man seine flüchtigen Gedanken sortieren und etwas Dauerhaftes daraus machen." Und inwiefern hilft es dabei, gelangweilt zu sein? "Na ja - ich bin eine nachdenkliche Person", zögert Grant, "ich habe gerne Zeit zum Denken. Und diese Zeit nehme ich mir, wenn ich mich langweile."
Geht es Grant auch darum, Dinge auszuprobieren, die es vorher bei Slow Leaves noch nicht gegeben hat? Beispielsweise gibt es dieses Mal eine Piano-Ballade namens "Goodbye Florida", die Grant für seinen verstorbenen Vater geschrieben hat oder das mit einem beatlesquen Streicher-Arrangement unterlegte, Noir-Schlaflied "Say Goodnight", das Grant unter dem Eindruck eins Traumes verfasste. "Einige meiner Songs haben sogar auf einem Klavier angefangen", verrät Grant, "ich bin kein guter Klavierspieler, aber ich finde Akkorde und Melodien auf dem Klavier, auf die ich mit einer Gitarre nicht gekommen wäre. Das eröffnet mir neue Möglichkeiten. Im Falle von 'Goodbye Florida' habe ich den Song geschrieben, nachdem ich vom Begräbnis meines Vaters aus Florida nach Kanada zurückkehrte. Das hat sich schon auf dem Klavier wie ein richtiger Song angefühlt. Und ich brauchte einen Song dieser Art auf dem Album, um diesen Moment in meinem Leben zu markieren. Ich wollte in diesem Song die Geschichte erzählen, ohne eine Geschichte zu erzählen - also mit so wenig Worten wie möglich. 'Say Goodnight' hingegen begann als Gitarren-Melodie. Ich weiß nicht, woher dieser Song genau kam, aber er kam sehr schnell. Lieder wie diese mit einer Idee entstehen meistens innerhalb eines Tages. Für gewöhnlich beginnt das mit einer Stimmung oder einem nachdenklichen Gefühl. Ich wünschte, das würde öfter passieren. Die Idee zu dem Song entstand aus einem Traum heraus, an den ich mich vage erinnern konnte und der mich mit dem Gefühl erfüllte, dass es okay ist, loszulassen - was offensichtlich eine Metapher für das Sterben ist." Geht es bei dieser Arbeitsweise mehr um eine Technik oder die Intuition? "Ich arbeite sehr instinktiv", räumt Grant ein, "ich spiele aber viel mit meinen Songs herum. Ich probiere verschiedene Gitarren-Parts oder Bass-Parts aus, die sich dann langsam entwickeln. Es ist ein spielerischer Prozess. Manche Sachen haben dann viele Ebenen, manchmal nehme ich auch wieder was weg. Es kommt drauf an. Manchmal habe ich eine Idee, und manchmal daddele ich so lange rum, bis etwas interessant klingt. Ich denke aber nicht in Kategorien wie 'Genres'. Ich mag keine Genres, denn meine Lieblingskünstler passen in keine Schublade. Ich weiß, dass ich irgendwie in der Folk-Musik verwurzelt bin, aber ich will einfach Songs schreiben - so einfach ist das."
Wer sind die Charaktere, die Slow Leaves-Songs bevölkern, wenn es mal nicht um Grant selbst geht. Sind das immer "echte Personen"? "Manche Songs sind tatsächlich fiktiv", verrät Grant, "'Jenny' zum Beispiel ist ein zusammengesetzter Charakter. Ich mag einfach den Klang des Namens und baute den Song um diese Idee auf. Die Idee von 'Jenny' ist somit eher fiktiv, aber ich nutzte dafür meine nostalgische Erinnerung an die Vergangenheit und greife auf Momente zurück, an die zurückdenke, wenn ich über einen Charakter wie 'Jenny' schreibe. Die anderen Songs sind aber eher über Familienmitglieder und meine Frau. Das ist meine Frau auf dem Cover. Die meisten Songs sind für meine Frau, denn sie unterstützt mich sehr darin, meine Musik machen zu können." Wie schafft es Grant die Balance zwischen Fiktion und der Realität finden zu können? "Ich möchte, dass sich all meine Songs zumindest real anfühlen", überlegt Grant, "für mich fühlen sie sich auch real an. Wenn mir ein Song gelingt und ich ihn singe, fühlt er sich auch real an. Wenn sich etwas nicht real anfühlt, dann nehme ich solche Songs auch nicht auf meine Scheiben." Geht es darum, auf diese Weise eine zeitlose Qualität einzufangen? "Ja, denn das ist die Art von Musik, die ich mir auch gerne anhöre", pflichtet Grant bei, "die Art von Musik, die ich gerne höre und von der ich hoffe, das ich sie mache, ist davon geprägt, nicht spezifisch wie etwas Bestimmtes, Anderes klingen zu wollen. Wenn man seine Musik mit einem Zeitstempel versteht, dann klappt das nicht. Nehmen wir die Beatles. Die Leute versuchen heute immer noch Songs wie die Beatles zu schreiben. Ein guter Song wird die Zeiten überstehen." Und von solchen Songs hat Grant "Slow Leaves" Davidson eine ganze Menge. Dummerweise ist er mehrere Wochen vor der Veröffentlichung des aktuellen Album "Meantime" bei uns getourt (eigentlich, um die mehrfach Pandemie-bedingt mehrfach verschobene Tour für das "Holiday"-Album nachzuholen), so dass wir auf einen erneuten Besuch noch ein wenig warten werden müssen.
Weitere Infos:
slowleaves.com
www.facebook.com/slowleaves
www.instagram.com/slowleaves
twitter.com/SlowLeaves
slowleaves.bandcamp.com/album/meantime
www.youtube.com/@SlowLeaves/videos
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-
Slow Leaves
Aktueller Tonträger:
Meantime
(Make My Day/Indigo)
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