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MELANIE A. DAVIS
 
Der Schein trügt
Melanie A. Davis
Es gibt ja mittlerweile Menschen, die sich darüber beklagen, dass es gar zu viel Musik gäbe, weswegen es keinen Sinn mache, sich diesbezüglich zu engagieren. Das sind dann aber eher wohl die, die sich sowieso nicht wirklich für dieses Thema interessieren oder keine Lust haben, sich damit auseinanderzusetzen. Auf der anderen Seite sind da aber Künstlerinnen wie Melanie A. Davis, die sich ungeachtet der unübersehbaren Konkurrenz aus eigener Kraft und Überzeugung dem inneren Bedürfnis hingeben, sich musikalisch ausdrücken zu müssen - und dabei keinerlei Kompromisse eingehen. In dem Fall hat das zur Folge, dass die Songwriterin aus Murray, Kentucky, ihre jazzigen Folk und Folkpop-Songs ganz ohne Unterstützung durch Labels oder Promo-Agenturen und unter Verzicht auf konventionelle Vertriebswege vollständig in Eigenregie schreibt, produziert, veröffentlicht und präsentiert. Zum einen führt das dann dazu, dass Melanie als Künstlerin machen, sagen und lassen kann, was sie will - zum anderen aber natürlich auch dazu, dass sie ihren Wirkungskreis bislang nicht wirklich im großen Stil ausweiten konnte. Als Transportmedium hat sich Melanie dann Bandcamp ausgesucht - weil das die einzige Streaming-Plattform für KünstlerInnen ohne großen Vertriebsapparat ist, die die Musiker fair bezahlt.
Was als Erstes auffällt, ist dass Melanie ihr Material systembedingt bis heute in eher sparsam arrangierten Settings anrichtet - jedoch stilistisch und songwriterisch keinesfalls in Folk-Klischees verharrt. Von Anfang an spielten zum Beispiel jazzige Untertöne, Harmonien und Akkordfolgen eine große Rolle in Melanies Oeuvre. Und da ist dann noch Melanies warmherziger, einschmeichelnder Gesang mit dem charakteristischen Vibrato im Abgang, der aufhorchen lässt und zum Zuhören einlädt. Wie hat sich die ganze Sache für Melanie denn so entwickelt? So, wie sie mit Jazz-, Folk- und klassischen Songwriter-Elementen jongliert, legt das nahe, dass sie eine fundierte Musikausbildung hatte - Berklee vielleicht? "Nein - ich habe an einer kleinen staatlichen Uni in West-Kentucky namens Murray State University studiert", führt sie aus, "meine Vorliebe für Jazz kommt aus meinem Umfeld heraus. Mein Bruder ist zum Beispiel ein Jazz-Gitarrist. Ich bin immer schon ziemlich musikalisch gewesen. Mit einer Gesangsausbildung habe ich schon im Alter von 13 Jahren begonnen - damals noch in meiner Heimatstadt im Süden von Louisiana." Das hört man auch: Heutzutage gehört Melanie zu den Songwriterinnen mit den schönsten Stimmen überhaupt. Das heißt jetzt alles nicht, dass Melanie ihre Songs vollständig in einem Jazz-Setting anrichtet (wie das zum Beispiel ihre immens erfolgreiche Kollegin Laufey gerade zelebriert), aber ein gewisses Sendungsbewusstsein, diese Art von Musik für eine jüngere Generation interessant machen zu wollen, ist da schon zu beobachten, oder? "Ja, denn ich mag es, Cues und Ideen von älteren Jazz-Künstlern aufzugreifen und auch das 1960er Folk-Revival war für mich eine große Einflussquelle und das möchte ich in meinen eigenen Songs auch widerspiegeln." In der Tat zieht sich da durch einige Tracks von Melanie auch ein gewisses Prä-Dylan-Village-Feeling. Und noch etwas kommt dazu: Auf "Honey Locust" baut Melanie mit Overdubs ihren eigenen Harmoniechor im Doo Wop-Stil auf. "Ja, ich würde sagen, dass ich diesen Golden-Age-Andrew-Sisters-Ansatz aus den 40ern und 50ern immer schon gerne gemocht habe, aber natürlich auch Jazz-Sängerinnen wie Billie Holiday und Ella Fitzgerald", meint Melanie. Das bezieht sich ja auf den Gesang - was sind aber Melanies songwriterische Inspirationsquellen? "Ich würde sagen, dass Joni Mitchell einen ziemlich großen Einfluss auf mich hat", führt Melanie aus, "nicht wegen der Jazz-Elemente, die sie auch verwendet, sondern weil sie ihre Melodien und die Gesangssilben sehr frei einsetzt. Sie folgt mit ihrer Musik den Texten und Wortwendungen in der Art, wie sie sie geschrieben hat - und das ist etwas, was ich sehr mag."
Kommen wir mal zu den vielfältigen Themen, die Melanie in ihren Songs abhandelt. In der Pandemie erschuf sie eine EP, die sie - sicherlich mit einem Augenzwinkern - "Dear Diary - Do You Hate Me?" nannte. Bedeutet das, dass sie sich mit ihrem Tagebuch als Basis für ihre Song-Ideen auseinandersetzt? "Naja, den Titel dieser EP habe ich schon als Scherz gemeint", räumt sie ein, "ich betrachte dieses Projekt als meine emotionalste Songsammlung. Das sind alles ganz traurige Songs, die wir während der Pandemie eingespielt haben - und das erschien uns angesichts der Situation auch durchaus angemessen. Und in der Tat würde ich mein Tagebuch noch mehr als Grundlage für mein Songwriting verwenden, wenn ich besser darin wäre, es zu führen. Auf jeden Fall sind aber meine persönlichen Erfahrungen die Basis meiner Songs. Es ist so, dass ich Freiform-Gedichte schreibe, die sich dann in Tagebucheinträge verwandeln." Aber nicht nur persönliche Erfahrungen spielen eine Rolle in Melanies Ideenpool. Da gibt es auch soziale und politische Kommentare - bis hin zu Anti-Trump-Songs in verschiedenen Inkarnationen. "Naja, es gibt ja keinen Mangel an wahnsinnigen Nachrichten in diesem unseren Land", schmunzelt Melanie, "ich nehme gerne aktuelle Ereignisse auf. Meine letzte Songsammlung 'Allegoria' hat sich stark mit den Wahlen von 2016 beschäftigt. Insbesondere der Song 'November Eight'." Dazu muss man wissen, dass dieser Song ursprünglich mal "Fuck Trump" hieß. "Ja, den Song haben wir umbenannt, weil mein Bassist den wirklich guten Einwand brachte, dass ich doch wohl nicht Trumps Namen auf meiner Scheibe haben wollte. Also haben wir den Song umbenannt, denn der achte November 2016 war der Tag der Wahlen." Das Problem ist jetzt ja wieder aktuell. Wie sieht Melanie denn die politische Zukunft? "Ich habe keine Ahnung", zögert sie, "man würde ja annehmen, dass so etwas wohl kaum ein zweites Mal passieren könnte - aber wer weiß? Das ist eine sehr traurige Angelegenheit."

Der Titel des Albums - "Honey Locust" - bezieht sich nicht etwa auf eine süße Heuschreckenart, sondern eine in den USA endemische Baumart gleichen Namens, deren stachelige Dornenknubbel erst zu erkennen sind, wenn man genau hinsieht und sich dem Gewächs nähert. Das verwendete Melanie als Metapher für Dinge, die auf den ersten Blick das eine, bei näherer Betrachtung aber etwas ganz anderes darstellen. Gibt es dafür ein etwas konkreteres Beispiel? "Naja, zum Beispiel diese romantisierte Idee amerikanischen Patriotismus mit der 50er-Jahre-Apfelkuchen-Nostalgie, die da gerade heraufbeschworen werden soll. Die Idee, die uns davon vermittelt werden soll, was das Land darstellt - im Gegensatz zu dem, was wirklich Realität ist. Speziell für Frauen. Darum geht es im Titeltrack. In dem Song 'Robin' hingegen geht es darum, in der Quarantäne zu sein und wie düster und beängstigend das auf der einen Seite war, aber mir auf der anderen Seite die Möglichkeit eröffnete, mehr Zeit in der Natur zu verbringen, als in den Jahren zuvor. Ironischerweise war ich in der Zeit dann weniger gestresst als sonst, denn die Entschleunigung brachte mit sich, dass ich Zeit hatte innezuhalten, die ich vorher nicht hatte. In der Pandemie auf sich selbst zurückgeworfen zu sein, hatte einen positiven Effekt für mich - auch wenn es sich schrecklich anhört." Den Empowerment-Gedanken greift Melanie dann noch mal in dem Song "Mrs. America" auf. "Ja, ich habe diesen Song geschrieben, nachdem ich auf eine sehr kalte Weise aus meinem Job entlassen wurde", führt Melanie aus, "das nahm ich zum Anlass, darüber nachzudenken, wie unterschiedlich die Wahrnehmung von Frauen zu jenen der Männer sind, wenn man zum Beispiel die Straße entlanggeht und wie man behandelt wird. Ich will mit so etwas auf jeden Fall positive Ermutigungen ausdrücken." Der Song "Magnolia" scheint hingegen persönlicher Natur zu sein. Geht es vielleicht um Melanies Südstaaten-Erbe? Magnolien sind ja ein Sinnbild des Südens der USA und der Bundesstaat Mississippi wird ja sogar als "Magnolia State" bezeichnet. "Nicht direkt", schränkt Melanie ein, "es geht weniger um den Süden als solches, sondern um Kleinstädte. Ich komme ursprünglich aus Ohio, wo ich geboren wurde. Der Ort, in dem ich lebte, war irgendwann nur noch eine Hülle seiner selbst, nachdem die Industrie zugemacht hatte und die ganzen Leute abgewandert waren. Es gab da diese romantischen Ideen, die ich mit diesem Ort verband und an die ich zurück dachte. Ich überlegte, ob es vielleicht besser gewesen wäre, wenn wir nie von dort weggezogen wären, als ich neun war und komme zu dem Schluss, dass dem nicht so sei und es nur um einen nostalgischen Hauch ginge."
Melanie A. Davis
Des Öfteren kommen Melanies Songs dabei mit einem gewissen Augenzwinkern daher. Ist das etwas, was sie bewusst anstrebt - oder ist das einfach ihr Naturell? "Na, ich denke beides", lacht sie, "ich lehne mich gerne in diese Richtung auf eine Art, die ich selber witzig finde wie zum Beispiel in dem 'Honey'." Dieser Song enthält dann Zeilen wie "So, you can blame the country, maybe you blame the news, for why you're always hunting for commercialized blues. Maybe you could blame me or even blame the times - anything to pass off ownership of your mind" - das ist dann wohl die hohe Kunst der poetischen Wortgestaltung jenseits gängiger Stand-Up-Comedy One-Liner. Standardfrage: Was zeichnet denn einen guten Song für Melanie aus? "Ich weiß gar nicht, ob ich das selber auch anstrebe - na ja vermutlich unbewusst schon", räumt sie ein, "aber wenn ich anderer Leute Songs höre, dann mag ich es, wenn sie in der Lage sind, eine Metapher auf ein ganz allgemeines Konzept auf eine Weise anzuwenden, an die ich selbst noch nicht gedacht habe. Nicht ganz geradlinig aber dennoch klar erkennbar. Ich mag Wortwendungen, denn diese verwende ich auch in meinen eigenen Texten - und das mag ich natürlich auch bei anderen." Und was mag Melanie musikalisch so? "Ich mag große Septakkorde", schmunzelt sie, "jedenfalls verwende ich viele davon in meiner Musik. Das klingt nämlich verträumt. Und ich habe auch herausgefunden, dass ich Walzer mag, als ich 'Honey Locust' gemacht habe. Das ist nicht neu, denn ich habe Walzer immer schon mal verwendet. Schon als ich 2011 angefangen habe, Doo Wop-inspirierte Musik zu machen, habe ich mich zu solchen Taktarten hingezogen gefühlt. Ich weiß gar nicht, woher das kommt - ich swinge da einfach mit." Was ist denn für Melanie die größte Herausforderung als Songwriterin - eingedenk der Tatsache, dass sie ja mit etablierten Genres hantiert, in denen so ziemlich alles, was machbar ist, bereits offengelegt ist? Wie findet man denn in einem solchen Setting seine eigene, spezifische Identität als Musikerin? "Nun, das ist eine große Hürde, der man sich wohl in jeder Kunstform gegenüber sieht", zögert Melanie, "ich scheue jedenfalls nicht davor zurück, mich von musikalischen Künstlern inspirieren zu lassen, die vor mir gekommen sind. Und ich versuche nicht allzu sehr an diese Problematik zu denken. Natürlich kommt es immer mal wieder vor, dass ich mir denke, dass ich da etwas kopiere oder stehle, wenn ich einen Song schreibe. Aber ich glaube, so lange ich aufrichtig bin und etwas wirklich liebe und genieße, dann kommt das ganz natürlich auf eine Art zutage, die mich repräsentiert."

Was ist für eine unabhängige, hart arbeitende Indie-Künstlerin wie Melanie A. Davis denn das, was am meisten Spaß macht und die Sache lohnenswert erscheinen lässt? Der finanzielle Erfolg kann es ja nicht sein. "Ich würde sagen, speziell jetzt, wo ich auf Tour bin und Menschen treffe, dass es die künstlerische Katharsis des Song-Schreibens und des Singens ist", überlegt Melanie, "denn auf diese Weise meine Gefühle und Ideen zum Ausdruck bringen zu können, ist einfach großartig. Auch die Arbeit an diesem Prozess genieße ich. Wir haben jetzt so viele wirklich gute Freunde getroffen. Als wir jetzt im Süden in der Nähe von Atlanta getourt sind haben wir Menschen getroffen, die wir seit der Pandemie nicht mehr gesehen hatten. Und ich hätte diese Begegnungen nicht gehabt, wenn wir nicht herumgereist wären. Und das ist wirklich auch sehr schön, denn diese Menschen inspirieren mich und das ist dann eine sehr lohnende Beziehung."

Noch ein Hinweis: Das "A." in Melanies Namen steht für ihren zweiten Vornamen Antoinette und ist essentiell, wenn es darum geht, Melanie zu googeln - denn es gibt so einige Melanie Davis' ohne "A."
Weitere Infos:
www.melanieadavismusic.com
melanieadavis.bandcamp.com
www.facebook.com/melanieadavismusic
www.instagram.com/melanieadavis
www.youtube.com/watch?v=ZpgZpTR4P-4
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-
Melanie A. Davis
Aktueller Tonträger:
Honey Locust
(Eigenveröffentlichung)
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