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LYDIA LUCE
 
Ein guter Beruf
Lydia Luce
Besser spät als gar nicht: Obwohl die inzwischen in Nashville lebende Songwriterin Lydia Luce insbesondere in ihrer Eigenschaft als Geigerin schon länger im Geschäft ist und als Songwriterin im eigenen Namen bereits zwei EPs und zwei LPs veröffentlicht hat, findet sie erst auf ihrem nun vorliegenden, dritten Album "Florida Girl" Zeit und Muße, um auf ihre persönlichen Roots einzugehen und mit "Florida Girl" eine Art musikalisches Selbstporträt zu präsentieren. Während Lydia sich in den USA durch ihre Arbeit als Session-Geigerin für etwa Rod Stewart, Dolly Parton, Willie Nelson, Eminem oder Ron Pope (mit dem sie gerade auch bei uns auf Tour war) einen Namen machte, gilt es, die Songwriterin Lydia Luce bei uns erst noch zu entdecken, denn "Florida Girl" ist das erste Album, das bei uns - wenn auch nur digital - mit offizieller Label-Unterstützung erscheint. Das erklärt denn vielleicht auch, dass sich Lydia da auf "Florida Girl" bereits mit einem individuellen Sound-Design und experimentellen Arrangements als Musikerin mit einer eigenen, ausformulierten Vision präsentiert. Denn als Meisterin vom Himmel gefallen ist sie wohl ja nicht.
"Nein", bestätigt Lydia im Gespräch, "ich habe mit sechs angefangen Geige zu spielen, denn meine Mutter war eine Chor- und Orchesterleiterin. Ich bin dann später zur Viola gewechselt und habe in der Highschool klassische Musik gespielt. Das war aber nichts für mich, denn da habe ich acht Stunden am Tag üben müssen. Mit dem Song-Schreiben habe ich erst in meinen Mittzwanzigern angefangen und bin dann auch an die Berklee-Schule gegangen. Ich habe dann schon 2015 meine EP 'The Tides' veröffentlicht - und damals ging die Sache noch in eine ganz konventionelle, folkige Richtung." In der Tat präsentierte sich Lydia mit diesem Projekt noch als klassisches Country-Girl mit dem Geigerinnen-Faktor als Bonus-Merkmal. Dabei blieb es dann aber nicht allzu lange. Etwa zu der Zeit, als sie sich mit Todd Lombardo - heutzutage dem Gatten von Kollegin Lera Lynn - zusammen tat, kamen immer neue musikalische Elemente ins Spielt. "Ja, ich habe auch schon mal Viola für Lera gespielt", erzählt Lydia, "Todd hat aber auf einigen meiner Projekt mitgemacht - und wir haben auch zusammen Songs geschrieben." Es scheint, als sei "Florida Girl" etwas persönlicher ausgefallen, als Lydias bisherige Songsammlungen. Ist das Album - so gesehen - denn auch autobiographischer geworden? "Die Songs sind alle irgendwie autobiographisch geprägt", zögert Lydia eher, "aber ich denke schon, dass das neue Album tatsächlich persönlicher - und vielleicht auch verletzlicher - angelegt ist, denn es geht da um einige Themen - wie meine Essstörungen oder die Vergänglichkeit -, die ich bislang eher vermieden hatte. Ich denke, dass ich so mit jeder Scheibe ein wenig mehr von mir offenbare." Das erklärt dann auch den etwas weniger lieblichen, vielleicht sogar düsteren Ton des ganzen Albums. Wie hat sich dieser Tenor denn auf die Musik übersetzt? Denn weit entfernt von einem standardisierten Folk-Album bewegen sich Lydia und ihre Helfer auf einem Terrain, auf dem Klang und Inhalt mindestens gleichwertig zu sehen sind. "Wir haben einfach viel mehr experimentiert", berichtet Lydia, "ich habe das Album mit zwei engen Freunden - Aaron Steele und Anthony DaCosta - gemacht und wir haben während der Pandemie daran gearbeitet, wann immer das möglich war. Wir haben einige Songs aufgenommen, sechs Monate gewartet und dann wieder welche aufgenommen, wann immer uns in Aarons Studio oder Anthonys Haus treffen konnte. Das meiste haben wir zu dritt gemacht - mit der Hilfe von ein paar Gästen. Wir haben dann ohne Zeitdruck Dinge ausprobiert. Nach dem Motto: 'Was wollen wir denn heute machen? Lass uns mal dies und jenes probieren.' Es gab also absolut keine Vorbereitung und wir haben uns einfach von unseren Inspirationen leiten lassen. Das war ganz anders als bei den Sachen, die ich zuvor gemacht habe."

Woher kommen denn die Laurel Canyon-Vibes, die da immer mal wieder herauszuhören sind? "Naja ich höre natürlich schon gerne Joni Mitchell", räumt Lydia ein, "Stevie Nicks war mein Idol, als Kind und auch Fleetwood Mac. Ich mag auch die Poetin Mary Oliver - die jetzt keine typische Laurel Canyon-Figur ist. Aber ich betrachte mich als Musikerin ja auch als Dichterin, denn alle Musiker sind Dichter. Ich schreibe auch manchmal Gedichte, aber ich publiziere sie normalerweise nicht - außer dem 'Florida Poem' auf dem neuen Album." Lernt man sich als Songwriterin eigentlich selber besser kennen? "Ja - ich denke aber nicht, dass das eine bewusste Sache ist", beschreibt Lydia diese Situation, "das passiert einfach und zwar indem ich mich besser kennenlerne, während ich mich weiter entwickle. Das fließt dann später auch in den Songs ein. Immer wenn ich an einem kritischen Punkt in meiner Entwicklung angekommen bin, brauche ich zunächst ein wenig Zeit, die Sachen zu verarbeiten - und dann kann ich darüber schreiben. Das habe ich immer wieder bemerkt, dass ich diese Zeit brauche. Nimm zum Beispiel meine letzte Scheibe, 'Dark River' - da behandele ich eine Trennung von meinem Partner (mit dem ich heutzutage übrigens verheiratet bin, weil wir uns wieder zusammengerauft haben). Diese Trennung musste ich aber erst mal sacken lassen - und konnte dann ein ganzes Album darüber schreiben."
Lydia Luce
Mal so gesehen: Könnte diese Anpassung an kritische Punkte in Lydias Lebenslauf auch der Grund sein, warum praktisch all ihre Projekte vollkommen unterschiedlich klingen? "Sicherlich", schmunzelt sie, "ich verändere mich ja auch jedes Jahr. Ich verändere mich sogar jeden Tag. Und ich mag es sowieso schon gar nicht, den selben Song immer wieder in Variationen zu schreiben. Ich langweile mich nämlich sehr schnell. Es ist sogar weniger die Langeweile, sondern die Neugier auf etwas Neues, die mich veranlasst, neue Dinge auszuprobieren. Ich mag es, verschiedene Genres oder Sounds zu erforschen oder mit verschiedenen Musikern zusammenzuarbeiten. Es macht ja auch unheimlich Spaß. Ich finde so etwa aufregend und das ist der Grund, warum ich immer neue Musik machen will. Ich schreibe gerade schon an meiner neuen Scheibe und die wird sich ganz anders anhören, als diese - und so etwas liebe ich." Was inspiriert Lydia denn so auf der musikalischen Seite? Einen typischen "Genre-Sound" hat die Scheibe ja nun wirklich nicht. "Ach, wir wollten einfach etwas machen, das anders ist", berichtet Lydia, "ich fühlte mich sehr von Leslie Feists Scheibe 'Pleasure' inspiriert. Aber nicht nur die Scheibe finde ich inspirierend, sondern ihre ganze Karriere, denn jede einzelne ihrer Scheiben klingt anders. Und sogar jeder Song auf jeder Scheibe klingt anders als die jeweils anderen. Sie arbeitet viel mit unterschiedlichen Klängen. Und dann habe ich auch noch ein Hobby-Projekt: Ich habe eine ganze EP mit Ambient-Musik gemacht. Dabei war es unglaublich befreiend für mich, ohne Stimme arbeiten zu können. Es gab einfach keine Regeln. Das fühlte sich alles sehr 'Zen' an. Es ist manchmal sehr schön, so einen Augenblick zum Durchatmen finden zu können." Natürlich klingt "Florida Girl" weder wie eine Zen-Scheibe noch wie eine Feist-Emulation. Eher schon arbeiten Lydia und ihre Mitstreiter in einer Richtung, in der zuletzt beispielsweise Tamara Lindeman oder Julia Jacklin agierten, indem sie sich vom klassischen Folksong-Setting lösten und verstärkt mit Rhythmen, Strukturen und ungewöhnlichen Klang-Kombinationen experimentierten. Dabei kommt es offensichtlich weniger darauf an, dass das alles in konventioneller Hinsicht Sinn macht, sondern darum, neue und aufregende Möglichkeiten zu finden, sich musikalisch auszudrücken. "Ja, das ist eine schöne Art, das auszudrücken", pflichtet Lydia bei, "dafür braucht es eine Portion Mut - und man darf sich nicht darauf konzentrieren, dass das Experiment auch gelingt."
Ein interessanter ist der, dass Lydia ihre Songs zwar oft aus einer Art Dialog-Perspektive anzugehen scheint - dann aber doch eher zu sich selbst zu sprechen oder singen scheint. "Jaaaa", bestätigt Lydia diese Vermutung, "das sind wie kleine Erinnerungen an mich selbst: Lerne das, kämpfe um das - hier ist die Botschaft. Oder es geht um Erinnerungen. 'Florida Girl' ist zum Beispiel ein Song an eine ältere Freundin, an die ich mich erinnerte. Es ist aber eigentlich bei jedem Song unterschiedlich." Und dann gibt es noch den Track "Saline", den Lydia für ihren nunmehrigen Ehegatten schrieb. "Ja - ursprünglich habe ich den Song für ihn geschrieben - aber dessen Bedeutung hat sich für mich inzwischen geändert", erläutert Lydia, "'Saline' richtet sich heutzutage eher an meine Freundinnen. Es geht um die Wichtigkeit von Freundschaft unter Frauen und ist jetzt eine Art Empowerment-Song geworden. Naja - im Grunde habe ich mit 'Dark River' ja sowieso schon eine ganze Scheibe über meinen Ehemann geschrieben." Das pikante Detail ist dabei dann allerdings, dass sich Lydia und der besagte Ehemann - der damals noch gar keiner war - zu der Zeit, in der Lydia das Album schrieb, getrennt hatten und sie dann diese Trennung in den Songs von "Dark River" verarbeitete. Ist "Florida Girl" dann quasi die Empowerment-Antwort auf das "Dark River"-Album? "Ja, aber in dem Sinne, dass es den Zuhörer ermächtigen soll, sich seiner Schwächen und Verletzlichkeit zu stellen und so zu einem Weg der Heilung zu finden." Gibt es denn - abgesehen von dem Projekt, eine "String-Version" von "Florida Girl" herauszubringen - auch schon einen Plan für das nächste Album mir neuem Material? "Ich finde es gut, dass du diesen Laurel Canyon-Aspekt erwähnt hast, denn ich denke, dass ich noch mehr in dieser Richtung arbeiten möchte", prognostiziert Lydia, "es soll alles noch organischer, reduzierter klingen - immer noch mit Streichern, aber vielleicht etwas romantischer. Vielleicht eröffnen sich ja auch neue Möglichkeiten, wenn ich mehr mit dem Klavier arbeite. Das macht nämlich Spaß, obwohl es für mich als Anfängerin noch sehr frustrierend sein kann, weil ich auf den Tasten noch nicht immer gleich finden kann, was ich in meinem Kopf höre. So in etwa würde ich das nächste Projekt beschreiben."
Weitere Infos:
www.lydialuce.com
www.instagram.com/lydialuce
www.youtube.com/@LydiaLuce
www.facebook.com/lydialuce
lydialuce.bandcamp.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-
Lydia Luce
Aktueller Tonträger:
Florida Girl
(Nettwerk)
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