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VERA SOLA
 
Aus der Zeit gefallen
Vera Sola
Als Vera Sola im November 2018 in Köln ihr erstes Headliner-Konzert außerhalb der USA spielte, um ihr Debüt-Album "Shades" vorzustellen, war die Tochter des Schauspieler-Ehepaares Dan Aykroyd und Donna Dixon zwar einerseits noch neu im Geschäft und auf der Suche nach einer eigenen musikalischen Identität, verfügte jedoch bereits über einige musikalische Erfahrungen als Musikerin in der Band ihres Freundes Elvis Perkins, der sie schließlich auch ermutigt hatte, sich selber ein Mal als Songwriterin zu versuchen. Im Jahre 2019 war Vera dann damit beschäftigt, ihre ungewöhnliche Bühnenperformance zu perfektionieren. Als es dann daran gegangen wäre, ein neues Album in Angriff zu nehmen, kam dann logischerweise erst mal die Pandemie dazwischen. Das kann aber doch nicht der einzige Grund gewesen sein, warum zwischen dem ersten und dem zweiten Album dann letztlich sechs Jahre ins Land gegangen sind, oder?
"Nein", bestätigt Vera, "ich habe mit den Aufnahmen schon Ende 2019 angefangen. Wie das aber bei mir immer so ist, dachte ich, dass das schneller gehen würde, aber als ich das Projekt ein Mal angefangen hatte, ist das schnell an Umfang und Größe gewachsen. Eigentlich hatten wir vorgehabt, zu der Zeit vollständig fertig zu sein, als die ersten Lockdowns kamen. Das nutzte ich dann dazu, einige Musiker zu kontaktieren, die zuvor zu beschäftigt gewesen waren und dann den Aufnahmen weitere Beiträge anderer Leute hinzuzufügen. Deswegen haben wir die Aufnahmen erst 2020 beenden können. Dann ging es allerdings ans Mischen. Das war dann ein sehr aufwändiger Prozess. Wir haben verschiedene Leute gebeten, zu versuchen das Album zu mischen - aber alle sind daran gescheitert." Woran lag das denn? "Weil mir das so nahe geht", begründet Vera, "und weil das so spezifisch ist. Schließlich haben mein Co-Produzent Kenneth Pattengale und ich beschlossen, das selber zu machen - das hat dann eine sehr lange Zeit gebraucht." Vera produzierte und mischte das Album ja zusammen mit Kenneth Pattengale - seines Zeichens einer der beiden Milk-Carton-Kids. Dabei entstand ein fast schon körperlich zu greifendes Klangbild in dem Veras Stimme höchst präsent im Raume steht. Wie wurde das denn erreicht? "Mit viel Diskutiererei", verrät Vera, "das ist dann eine Kombination aus dem Raumklang und dem Mix. Ich habe da sehr für meine Ideen gekämpft. Die Stimme haben wir dann auf einem sehr guten, teuren Mikrofon aufgenommen. Aber ich mag eigentlich keine guten, teuren Mikrofone. In vielerlei Hinsicht werden die Aufnahmen für meinen Geschmack dann zu klar, zu hell und zu knackig. Ich mag es eigentlich gröber und rauer. Es ging also im Mischprozess darum, das, was in jener Hinsicht bei den Aufnahmen mit dem guten Mikro fehlte, herauszuarbeiten. Das erklärt dann auch diesen sehr speziellen Klang." Kein Wunder, dass daran dann Außenstehende scheitern mussten. Ein weiterer Grund für das körperliche Klang-Gefühl ist der Einsatz eines akustischen Basses. "Das war eine ganz bewusste Entscheidung, denn ich mag den Klang eines akustischen Basses", bestätigt Vera, "das ist nämlich, was ich nicht kann, obwohl ich glaube, dass ich eine ganz gute Bassistin bin. Deswegen mag ich es, dieses Element in meine Musik einzubinden."

Auf Vera Solas Wikipedia-Seite gibt es ein amüsantes Zitat von ihr, mittels dessen sie erklärt, wie sie auf ihren Künstlernamen gekommen ist, weil sie nicht ihren Familiennamen verwenden wollte. Dieser sei nämlich ein "prätentiöser, irgendwie vernichtender Insider-Witz mit mir selbst, wenn auch mit einem Hauch von Aufrichtigkeit". Gilt das nicht auch für ihre Musik? "Ja, auf gewisse Weise schon", stimmt Vera zu,"man müsste aber das Zitat auf den Kopf stellen. Es geht mir dann eher um den Hauch von Aufrichtigkeit des vernichtenden Insider-Witzes. Das ist mir alles schon sehr ernst - aber es gibt definitiv den Humor als roten Faden. Das ist mir sehr wichtig. Es ist zugleich ernsthaft wie auch amüsant." Wie verarbeitet Vera dann die musikalischen Aspekte in dieser Hinsicht? "Das hängt von der Idee ab. Manchmal kommt mir die Musik zu eher als die Texte und manchmal habe ich zwar Texte, die dann aber lange Zeit ruhen. Manchmal für Jahre, bis ich dann die Musik dazu finde. Manchmal passiert beides zusammen - der Song 'Waiting' entstand komplett in einer halben Stunde und ist sozusagen vom Himmel gefallen." Nun gut - das sind die technischen Aspekte - wie sieht es aber mit der Stimmung und der Atmosphäre aus; denn die Musik selbst ist ja niemals witzig oder komisch. "Ja, das stimmt", meint Vera, "das ist eine Art Instinkt. Ich bin jemand, der gerne etwas ausprobiert, um zu sehen, ob etwas funktioniert. Ich spiele meine Songs gerne ein paar mal live, bevor sie aufnehme. Das hilft mir zu erkennen, welche Passagen atmen müssen und welche weiter instrumentiert werden müssen. Aber ich arbeite hier tatsächlich sehr instinktiv und nehme mir Zeit den Raum zu erfassen." Dabei ging es Vera vermutlich auch um eine Abgrenzung zu den eher eingeengten Szenerien, innerhalb derer die erste Scheibe entstanden ist, richtig? "Exakt", bestätigt Vera, "ich habe ein lebhaftes Traum-Leben und ich schreibe jeden Morgen meine Träume auf, sofern ich mich daran erinnern kann. Ich habe ein sehr langes Traum-Logbuch - und habe dabei erkannt, dass diese Träume zusammengehören. Ich besuche da oft dieselben Orte und ich kann auch klarträumen - obwohl ich darin nicht sehr gut bin. Ich kann also Orte besuchen und mir bestimmte Dinge wünschen. Ein Teil dieses Lebens, dass ich dann im Traum lebe, schlägt sich auch in der Musik nieder - besonders dann, wenn die Perspektive meiner Träume sehr spezifisch und cinematisch ist. Ich fliege da viel herum und zoome näher dran - und das kommt dann auch in den Texten zum tragen."
Nicht nur dort: In ihren aktuellen Videos spielt sie auch mit diesen Aspekten und zitiert Film-Szenen wie z.B. aus Alejandro Jodorowskys "The Holy Mountain" oder John Fords "The Searchers" - in denen das Ausweiten oder Verengen des Blickwinkels jeweils auch für eine andere Perspektive steht. "Das ist witzig, dass du diese Szene erwähnst, denn ursprünglich hatte ich vor, genau diese im Video zu 'Holy Mountain' nachzustellen. Das hat dann aus verschiedenen Gründen nicht funktioniert - aber in der Tat sind Spielfilme schon eine große Inspirationsquelle für mich. Tatsächlich hat sich die neue Scheibe für mich von vorneherein angefühlt, als solle sie eine Art von Soundtrack für einen Film sein. Ich wollte dieses Breitwand-Kino-Gefühl auch in meiner Musik zum Ausdruck bringen. Und dann kann man im Kino ja auch noch mit perspektivischen Verschiebungen arbeiten - wie sie zum Beispiel ja auch in Träumen vorkommen. Davon abgesehen fühle ich mich aber auch von allen möglichen anderen Dingen inspiriert. Ich bin eine guter Zuhörerin und Beobachterin."

Die Sache mit Erinnerungen und Träumen hat ja noch einen anderen Aspekt - nämlich dass man weder dem Einen noch dem Anderen vertrauen kann. "Wenn es um Musik geht, geht es doch um die magische Mixtur aus Beidem", überlegt Vera, "dann muss man doch gar nicht den Unterschied erkennen. Selbst wenn ich zum Beispiel einen sehr geradlinigen Song über Dinge schreibe, die ich gerade erst erlebt habe und mich demzufolge gut daran erinnern kann, dann wird er ja dennoch durch meine Wahrnehmung und die Zeit verzerrt werden. So sehe ich meine Songs - als Auflösung der Erinnerungen im Laufe der Zeiten." Andererseits stellen Songs (und andere Kunst) doch eigentlich die einzige Möglichkeit dar, Erinnerungen zu "katalogisieren", oder? "Ja, genau", bestätigt Vera, "und sie werden dadurch zeitlos. Ich habe immer schon über meine Musik gesagt, dass ich anstrebe, diese aus der Zeit herauszulösen. Kurt Vonnegut formulierte das so, dass er sagte, das seine Charaktere - wie zum Beispiel Billy Pilgrim in 'Slaughterhouse Five' aus der Zeit gefallen seien. So gehe ich meine Musik an - seien es die Texte, die Musik oder das Genre. Ich möchte nicht in einer bestimmten Zeit feststecken, sondern möchte frei herumschweben. Diese Zeitlosigkeit ist ein wichtiger Faktor für mich."
Vera Sola
Als wir Vera Sola zum ersten Mal sprachen und nach dem fragten, was für sie einen guten Song auszeichnet, antwortete sie, dass sie damals noch gar nicht in der Lage sei, zu bestimmen, was ein guter Song sei. Hat sich das inzwischen geändert? "Das war damals eine gute Antwort - dass ich nicht in der Lage sei zu bestimmen, was ein guter Song ist", überlegt Vera, "aber ich habe so viele verschiedene Geschmäcker, wenn es um Songs geht. Für mich ist die Melodie am wichtigsten. Ich würde ja auch sagen, dass Texte wichtig sind - aber es gibt so viele Songs, die ich wirklich liebe, die einfach keine guten Texte haben. Und die Wahrheit ist natürlich wichtig - die Wahrheit zu vermitteln." Wonach sucht Vera Sola denn dann auf der musikalischen Seite? Nimmt man etwa Songs wie "Desire Path" oder "Blood Bond", dann scheinen die ja - nach einem eher konventionellen Anfang - jeweils zum Ende hin in einem kakophonischen Malstrom direkt in den Wahnsinn zu führen. "Nun, diese beiden Songs haben die ja rauesten und schmerzhaftesten Emotionen. Mir ging es dabei darum, Zorn und Verwirrung einzufangen - und diese beiden Stücke kommen da wirklich auf den Punkt. Das fängt alles klein und konventionell an, aber wird zu einem Monster, wenn ich versuche, diese Gefühle einzudämmen. Wonach habe ich denn da gesucht? Ehrlicherweise nach dem schieren Ausdruck. Und das konnte ich musikalisch erwirken, indem ich bei 'Desire Path' die Tonlage änderte, wo man das nicht erwartet hätte oder sich schnell ändernde, eskalierende Modulationen. Das fühlt sich an, als würde mein Nervenkostüm durchdrehen. Schließlich ging es da um jemanden, dass jemand in den Wahnsinn getrieben wird. Auch 'Blood Bond' sollte darstellen, wie sich Emotionen bis zum Zusammenbruch steigern. Am Ende des Songs schreie ich dann ja nur noch." Kann man so etwas denn eigentlich noch kontrollieren? Oder lässt man sich da eher von der Musik leiten? "Ich denke, es ist dann eher die Musik, die dir sagt, wohin sie will", erklärt Vera, "besonders beim Komponieren. Bei 'Desire Path' war das sehr klar, dass der Song sich in die Höhe schrauben wollte - denn anders hätte er gar nicht funktioniert."

Was man vielleicht noch diskutieren sollte, ist der Titel des neuen Albums, "Peacemaker". Ein "Peacemaker" kann ja sowohl ein Friedensbringer im wörtlichen Sinne sein - oder aber die Colt-Waffe; die dann alles andere als Frieden bringt. "Ja - es ist natürlich beides gemeint", führt Vera aus, "für mich spiegelt das die Komplexität der Musik wider. Ursprünglich wollte ich die Scheibe nach dem Titel 'Instrument Of War' benennen - wozu mir auch jeder geraten hatte. Aber das fühlte sich nun wirklich nicht mehr richtig an, nachdem ich so viele Zeit mit dieser Scheibe verbracht habe. Ich habe ja körperlich, emotionell, physisch und spirituell so einige Veränderungen durchgemacht und wollte jetzt nicht mehr mit einem Aufruf zum Krieg an die Öffentlichkeit gehen. Ich wollte lieber die Idee des Friedens propagieren - was aber gar nicht so einfach war, denn die Musik ist ja nun wirklich nicht friedfertig. Es musste also irgendwie diesen Widerspruch auch widerspiegeln. Der Colt Single Action Army Peacemaker war das ursprüngliche amerikanische Werkzeug des Krieges. Das ist das Symbol des amerikanischen Westens. Das ist dann für mich der Widerspruch von etwas Gewalttätigem und Schmerzhaftem das mit dem eigentlich schönen Wort 'Peacemaker' überdeckt wird. Wie können wir diesen Widerspruch auflösen? Wie kann ich das Friedfertige wieder für mich in Anspruch nehmen? Das war die eine Sache - die andere war, dass ich mich in meinem Leben heute als Friedensstifterin für meine Freunde und meine Familie sehe. Und ich schließe Frieden mit mir selber und meinem Ich, das ich war, als ich diese Musik gemacht habe, denn ich habe mich ja stark verändert." Und dann gibt es ja noch einen anderen Aspekt mit Bezug auf den Colt Peacemaker, der in Veras Familie eine gewisse Rolle spielte. "Ja, genau", bestätigt Vera, "ich bin ein direkter Nachkomme von Bat Masterson mütterlicherseits. Er war ein berühmter Revolverheld, hat mit Wyatt Earp zusammengearbeitet, war der Deputy-Marshal von Dodge City und hatte verschiedene Sheriff-Posten inne. Er hätte sogar bei der Schießerei am OK-Corrall dabei sein - ist dann aber vorher abgereist. Er war auch ein Glücksspieler und Büffeljäger und hat alles gemacht, was Cowboys damals taten - ist dann aber nach New York gezogen und ein Journalist geworden. Ein faszinierender Charakter, der meinem ganzen Thema des Zurückeroberns des Friedfertigen eine weitere Facette hinzufügt."
Weitere Infos:
www.verasola.com
www.facebook.com/verasolasound
www.instagram.com/vera.sola
www.youtube.com/@VeraSola
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ebru Yildiz-
Vera Sola
Aktueller Tonträger:
Peacemaker
(City Slang/Rough Trade)
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