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Zusammen
Der zweite Tag begann – wie üblich – schon gegen Mittag mit dem Programm des Canada-House im Uwe-Club. Früher war diese zweitägige Veranstaltung eine sichere Bank in Sachen kanadischer Americana-Acts, die sich hier – oft zum allerersten Mal – dem europäischen Publikum präsentierten. In den letzten Jahren hat sich der Charakter dieser Reihe aber geändert – und zwar insofern, als dass hier nicht mehr Musiker einer bestimmten Musikrichtung aus ganz Kanada zusammengekarrt wurden, sondern dass die Tage in Blöcke nach Provinzen aufgeteilt sind – wobei dann ein bunter Querschnitt durch allerlei Stile und Genres entsteht – darunter zunehmend auch Pop, Electronica oder Rock.
Los ging es mit einer alten Bekannten aus Regina – der Hauptstadt der Provinz Saskatchewan: Marissa Burwell war bereits 2019 (noch vor der Veröffentlichung ihres Debütalbums „Bittersweet“) auf dem Reeperbahn Festival zu Gast gewesen. Damals tatsächlich noch im Rahmen eines Americana-Showcases. Mit ihrer zweiten LP „Before The Hour’s Up“ – die kurz vor dem Festival veröffentlicht worden war – und von der Marissa zusammen mit ihrer Band auch einige Tracks spielte, hat sie sich indes vom klassischen Americana-Setting gelöst und in eine poppig ausgelegte Laurel-Canyon-Style-Richtung weiterentwickelt. Außerdem ist das Projekt als Konzept-Album über die verschiedenen Aspekte der Liebe in den verschiedenen Stadien einer zerrütteten Beziehung angelegt, was den Songs eine emotionale Tiefe verleiht. Marissa präsentierte das Material – unterbrochen von eher positiv ausgerichteten Tracks wie „Minneapolis“ (der Geschichte eines Mädelsausflugs in die US-Metropole) – mit heiterer Gelassenheit und musikalischer Souveränität.
Souverän agierten danach auch Bria Rose ‘N Thorns. Die eigenartige Schreibweise des Bandnamens hat damit zu tun, dass „Dornröschen“ im englischsprachigen Sprachgebrauch „Briar Rose“ heißt – wobei die Dornenhecke dann im Bandnamen „Thorns“ abgehandelt wird. Hinter dem Künstlernamen Bria Rose (also ohne „r“) verbirgt sich die First Nation Musikerin K’ōs Kīs (North Wind Blowing) vom Stamm der Cree, die ursprünglich aus den Yukon Territorries stammt. Mit Americana oder gar nativer Folklore hat Bria Rose aber nichts am Hut – dafür aber mit Soul, Funk und Blues. Das ziemlich generische Songmaterial (das typisch für diese Art der Stil-Melange ist) überspielte Bria Rose als energiegeladene Rampensau – mit dem für diese Stil-Melange ebenfalls typischen, körperbezogenen Sendungsbewusstsein. Wach waren nach dieser Show aber zumindest alle Anwesenden.
Schon etwas länger im Geschäft ist die ursprünglich aus Wales stammende, aber heute in London basierte Musikerin Catrin „Catty“ Hopkins, die ihre Laufbahn bereits 2016 im Duo-Projekt Dusky Grey anstieß, bevor sie seither als Solo-Songwriterin unterwegs ist, die sich inzwischen mit ihrem Queer-Power-Pop einen Namen gemacht hat. Catty entschuldigte sich zunächst dafür, dass sie es sich nicht leisten konnte, ihre Band zur Show in der Sommerliebe mitzubringen und stürzte sich nach einem ca. 15-sekündigen „Soundcheck“ dann in eine hyperaktive, energiegeladene und immens unterhaltsame Power-Pop-Playback-Show. Dabei standen dann zwar weniger die doch recht generisch produzierten Pop-Songs im Mittelpunkt als vielmehr die haarsträubend absurden, komischen Stories um amouröse Verwicklungen und queere Beziehungsdramen, die Catty mit selbstironischer Note und einem großen Augenzwinkern mit der Energie einer Stand-Up-Comedienne mit Schilddrüsen-Überfunktion unters zahlreich versammelte Volk streute.
Die Wiener Songwriterin Filiah hatte ja bereits am Tag zuvor bewiesen, dass die akustisch ausgelegte Variante ihrer ambitioniert komponierten Laurel-Canyon-Style-Balladen in einem akustischen Solo-Setting bestens funktionieren und eine hypnotische Wirkung entfalten. Das zeigte sie dann erneut bei einem kurzen Gig im für diese RF-Edition leider typischen Grauwetter beim MOPO-Bus auf dem Festival Village – der allerdings in diesem Jahr äußerst ungünstig platziert war – was aber dem Charme der Performance nichts nahm.
Man/Woman/Chainsaw stürzen sich live mit derselben Furchtlosigkeit ins Chaos wie auf ihren Aufnahmen: Auf der Bühne passiert ständig etwas – vertrackte Rhythmen, Stimmen wechseln, eine Violine ist zu hören, während die Band mit spürbarem Spaß aneinander kollidiert und sich wieder auffängt. Es ist dieser permanente Wechsel aus Kontrolle und Kontrollverlust, der ihren Auftritt zu einem kleinen Kunstwerk macht – wild, lebendig und wunderbar unberechenbar.
Live scheinen Witch Post in ihrer ganz eigenen Welt zu schweben: Alaska Reid und Dylan Fraser liefern sich zwischendurch einen „Staring Contest“, während Bassist und Drummer fast stoisch weiterspielen – weitgehend ignoriert, aber grundsolide im Fundament. Zwischen den rauchigen Indie-Songs schleusen sie plötzlich Cover aus ihrer eigenen musikalischen Vergangenheit ein, kleine Zeitreisen also. Wie gesagt: Eigene Welt und so, in der sich die beiden sichtlich wohlfühlen. Kann man machen.
Live treibt TTSSFU ihre Aura der lässigen Unnahbarkeit auf die Spitze – diesmal mit einer herrlich schief sitzenden Perücke, die ihrem ohnehin hohen Coolness-Faktor noch einen Extra-Kick verleiht. Ansagen spart sich Tasmin Nicole Stephens weitgehend; stattdessen tauscht sie mit der Band kryptische In-Jokes aus, die von einer dreckigen, fast verschwörerischen Lache begleitet werden. Die Band spielt dabei treibenden Indie-Rock, der auch immer ein wenig Melancholie beinhaltet. Gegen Ende wagt sie einen kurzen Ausflug ins Publikum, bevor sie schließlich in einem dramatischen Finale die Perücke wegschleudert und im Sturm durchs Publikum davonzieht.
Just Mustard aus dem irischen Dundalk konnten bereits 2019 auf dem Reeperbahn Festival in der kleinen Skybar des Molotow Clubs ihren unfassbaren Wall Of Sound eindrucksvoll live präsentieren – 2025 kehrten Katie Ball, David Noonan, Mete Kalyon, Rob Clarke und Shane Maguire kurz vor der Veröffentlichung ihres neuen Albums „We Were Just Here“ nach Hamburg zurück. Und durften gleich drei Mal an den verschiedenen Festival-Tagen auftreten (Bahnhof Pauli und zweimal im Molotow) – dabei sind sie immer noch kontrolliert laut, klingen immer noch wie keine andere Band und fesseln mit ihren Songs aufs Neue. Apropos neu: Es waren auch schon einige neue Songs in den Sets zu finden – eine stetige Weiterentwicklung ist deutlich herauszuhören. Mehr davon, bitte!
Einen Überraschungsgast gab es abschließend im Angie’s-Club zu bestaunen – denn Mina Richman und ihre Band (die im letzten Jahr ja mehrfach im offiziellen Programm auf dem RBF zu Gast gewesen war) hatten erst am Abend vorher eine Anfrage erhalten, ob sie wegen einer Absage als „Ersatz“ im Angie’s einspringen könnten. Da ließen sich Mina und ihre Jungs natürlich nicht lange bitten und nutzten die Gelegenheit, gleich auch ein paar neue Stücke zu spielen – denn zurzeit sind sie eigentlich damit beschäftigt, an einer neuen Scheibe zu arbeiten. Neben den gewohnten Gassenhauern wie „Nearly To The End“ vom Debüt-Album oder „A.D.H.D.“ von der gleichnamigen EP gab es dann eben auch neuen Stoff zu hören – und der entwickelte sich dann erstaunlich deutlich in Richtung Funk, Soul, Disco und Tanzparty, zu der die Band das unnötig vernebelte Angie’s dann deutlich nach Mitternacht mit einem Ausflug ins erfreulich gut gefüllte Auditorium machten. Das war dann ein würdiger Abschluss eines emsigen Festivaltages – auch wenn das sogar gerne noch etwas länger hätte weitergehen dürfen.






































