Das Jahresende ist traditionell die Zeit der Best-Of-Alben. So beschert uns WEA nun auch das „All Their Greatest Hits“ untertitelte Album „Disc One“ der Barenaked Ladies, das den Schaffenszeitraum zwischen der 1991 erschienen Debüt-EP und der Gegenwart der 1988 in Toronto gegründeten Formation abdeckt. Geboten wird hier ein ziemlich repräsentativer Rückblick über die Band- und Stilgeschichte, freilich um den unwiderstehlichen Kaufanreiz dreier Erstveröffentlichungen erweitert. Auch wenn die Platte für den dezidierten Anhänger allein deshalb vermutlich unerläßlich sein dürfte, stellt sich um diese Zeit die Frage, was den aufgeschlossenen Neuling veranlassen könnte, die Platte unter den Weihnachtsbaum zu legen oder sie dorthin zu wünschen. Das musikalische Spektrum der fünf Multiinstrumentalisten reicht im Laufe der Songs, also de facto im Laufe ihrer Karriere, durchaus weit und macht „Disc One“ nicht zum uninteressantesten Best-Of, das man im Schrank haben kann. Die Songs sind im 20-seitigen Booklet von den Urhebern selbst amüsant, lakonisch und bisweilen recht selbstironisch kommentiert. Bisweilen ereilen einem im Laufe dieser Tour de Force jedoch rechte Entgleisungen. In einigen Songs erreicht das ohnehin teils übertriebene Crooning (aka „Knödeln“) des Lead-Sängers beinahe Meat Loaf’sche oder Tom Jones’sche Höhen der Danebenheit. Die Gitarren klingen durchwegs ein wenig zu sehr nach Nylon-Saiten und insgesamt so, als ob die ganze Veröffentlichung von Ovation gesponsort wäre. Auch mit den Arrangements geht ab und zu etwas schief. „Enid“ beispielsweise bietet – wie das Booklet stolz vermerkt – „pedal steel, a horn section, latin percussion, three different vocal melodies, all going on at the same time“%3B und genau das ist das Problem – früher haben wir einfach „überarrangiert“ dazu gesagt. Achja, ein Bruce Cockburn-Cover gibt’s auch noch dazu, dem Original trotz der Übersetzung von Rock in Bluegrass an Pathos in nichts nachstehend. In den besseren Momenten aber wird’s durchaus hörbar und dort offenbart sich endlich jene von den Fans geschätzte Cleverness und Slickness, dort werden postmoderner Synkretismus und Intertextualität so ordentlich gefeiert, daß man sich fast an They Might Be Giants oder gar an den alten Morrissey erinnert fühlen mag (vielleicht ist es in letzterem Fall aber auch wieder vor allem das engagierte Crooning).
„If I had a Million Dollars“ konterkariert Cole Porters „Who wants to be a Millionaire“ nicht minder witzig, auf einer netten Beinahe-Country-Folie. Und die 91er Durchbruchsnummer „Be My Yoko Ono“ kommt nicht nur im Titel so pophistorisch daher, sondern überzeugt auch mit einem unzeitgemäß akustischen Skiffle/Bluegrass-Groove mit Close-Harmony-Vocals. Noch pop-historischer wird’s in der Uptempo-Nummer „Brian Wilson“, die ihre Nobilitierung ex post nicht nur dadurch erfuhr, daß die Band später auch mal von Wilson-Produzent Don Was betreut wurde, sondern daß sogar der Meister diese Hommage höchstpersönlich coverte. Auch bemerkenswert sind die Tracks, die etwas gegenwärtiger daherkommen. Da geistert dann über angenehm steif programmierte Beats hier ein abstraktes, an Mirwais erinnerndes Gitarrenriff, dort eine betrunkene Orgellinie, da drüben ein Elektronikeffektchen, oben ein paar seltsame e-bow generierte Soli und sogar der Sänger läßt mal das Knödeln sein und toastet sich eins. Und wir erinnern uns wieder mal daran, was man an New Wave eigentlich mal gut finden konnte…
Aber auch solche Glanzmomente und das meist gelungene Songwriting vermögen in der Gesamtheit nicht völlig über die Lapsi der Produktion hinweg zu trösten. „Enjoy (…) with someone you love or a light Sauvignon Blanc“ empfehlen die Liner Notes an einer Stelle. Entweder liegt der Fehler bei der Differenz zwischen dem letzteren und dem schalkhaften, magenschonenden Merlot, der diese Rezension begleitet, oder doch tatsächlich bei der Unentschiedenheit zwischen dem offensichtlich vorhandenen Potential und dem Wunsch nach weitestmöglicher Akzeptanz. Etwas mehr Entschlossenheit in der einen oder anderen Richtung könnte jedenfalls nicht schaden, und dann hätte die Platte vielleicht auch eine Chance, unter meinem Weichnachtsbaum zu erscheinen oder auf einem meinem Lieblingssender zu laufen.
„Disc One 1991 – 2001: All Their Greatest Hits“ von Barenaked Ladies erscheint auf Reprise/WEA.