Soloalben von Keyboardern können ein reiner Akt der Autoerotik sein (mit anderen Worten: Gewichse) – und sind dann meist nur für Speedvoyeure und Soundfreaks genießbar. Oder sie können so sein, wie „Rhythm Of Time“: Zwar erkennbar auf musikalischen Gestaltungswillen und Erfahrung eines Tastenmagiers beruhend, aber auch unabhängig davon zu genießen, in sich stimmig, auch für Nichtpianisten fesselnd und aufgrund von faszinierenden Komplizen sogar mit so etwas wie einem Ensemblesound versehen.
Wie schon das letzte in diesem Kino besprochene Kind der Dream Theater-Bandfamily „An Evening With John Petrucci & Jordan Rudess“ wäre auch das Entstehen dieses Albums ohne des Künstlers Gattin Danielle nicht möglich gewesen. Denn sie hatte die Lösung für das eigentlich unlösbare Problem, dass ihrem Manne nur 14 Tage zwischen den zahlreichen Verpflichtungen bei seiner Stammband Dream Theater blieben. Der vielbeschäftigte Jordan, der unlängt noch für Bowies „Heathen“-Album die Tasten gedrückt hatte, ließ sich also von seinem Gespons in dieser knappen Auszeit komplett ins eigene Studio sperren und versagte sich fortan auch Telefon und E-Mail. Die gute Danielle stellte Essen vor die Tür, Freunde und Bedienstete regelten den Verkehr mit der Außenwelt, z. B. den per Datenträger zuliefernden Gaststars, als da wären: Joe Satriani, Steve Morse, Greg Howe und Vinnie Moore an Gitarre, Dave LaRue (bss), Rod Morgenstein (drms).
„Introducing: Daniel J – Guitar“ steht noch bescheiden im Booklet, und in einem Interview erläuterte Rudess, dieser Daniel habe ihm soviel im Studio geholfen, dass er ihn auf diesem Album auch zu Gehör kommen lassen wollte. Wenn aber alle Gitarrentracks, die nicht eindeutig den o.a. Gitarrensuperstars zugeschrieben sind, auf Jordans neues Protegé zurückgehen, so ist dieser schon als Ausnahmetalent einzustufen.
Das Resultat dieser Einsiedelei mit Fremdzulieferungen ist ein packendes Stück aktueller Instrumentalmusik (mit zwei Sangeseinlagen) geworden. Der Opener „Time Crunche“ ist funky wie sonst nur alter Jan Hammer%3B das rasante show piece „Screaming Head“ (mit sahnigen Soli von Joe „Satch“ Satriani) klingt gelegentlich wie ein gutes Beispiel für amerikanische Actionfilmmusik an der Stelle, wo die unvermeidliche Autoverfolgungsjagd einsetzt%3B der Einstieg zu Insectsamongus“ erinnert auf humorvolle Weise an Franz Zappa-Kompositionen aus der „Roxy & Elsewhere“-Zeit mit rasenden Band-Tutti über Ruth Underwoods Marimba- und Vibraphone-Stakkato sowie spassigen „singende Geige“-Sounds. Das zehnminütige „Beyond Tomorrow“ sowie „Tear Before The Rain“ sind vom Aufbau her noch am ehesten „normale Songs“, wohl daher wurde mit Kip Winger (den Rod Morgenstein gut von seiner Zeit bei Winger kennt) hierfür auch ein Sänger rekrutiert.
Sehr nah am Jazz gebaut hat dann wieder „Bar Hopping With Mr. Picky“, mit unverwechselbaren Soli von zunächst Greg Howe, woraufhin dann Steve Morse den Sack nun wirklich zubindet. Die Keyboardsounds zitieren hier teilweise die Hochzeit des 70er Jahre Britprogs, in Sonderheit die Rudess-Vorbilder Wakeman und Emerson.
Alles in allem ein beeindruckendes, enorm kurzweiliges Statement, das mit mehr Gesang und vielleicht etwas mehr Abwechslung bei Sängern noch stärker hätte werden können.
„Rhythm Of Time“ von Jordan Rudess erscheint auf Magna Carta.