Wann hat man schon mal 53 Jahre auf die Veröffentlichung von Live-Aufnahmen warten müssen? Als Filmemacher Louis Van Gasteren 1953 den Blues-Recken Big Bill Broonzy bei ein paar Auftritten in Amsterdam mitschneidet, war die Welt noch eine andere. Broonzy erzählt zwischen den Tracks davon: Von seinen Freunden – vor über einem halben Jahrhundert verstorbenen Blues Größen, von der Rassen-Diskriminierung in den USA, von seinem Großvater, der noch in Sklaverei lebte und von den Folk-Songs, die er zum Besten gab. Alle Lieder seien für ihn Folk-Songs, so meint er, weil er eben noch keine Pferde habe singen hören. Die meisten der Tracks sind heutzutage nicht mehr geläufig, aber einige – „Midnight Special“, Leadbellys „Good Night Irene“ oder „Trouble In Mind“ gehören zu den Eckpfeilern des Genres – und wir erleben sie hier in ihrer pursten Form. Musik, wie Broonzy sie spielt, ist heute ausgestorben – oder dient lediglich noch als Gimmick. Und noch etwas wird deutlich: In seinen zeitnahen Songs kommentiert Broonzy die damalige Lage und transportiert lokale Neuigkeiten aus seiner Heimat („Back-Water-Blues“ über eine Flut in Mississippi). Der Blues erweist sich hier als Informationsmedium in Zeiten vor Handy und Internet. Wie viele alte Blueser hat Broonzy wesentlich mehr Humor als man dem Musikstil zutraute – und das macht diese Doppel-CD zu mehr als einem bloßen Zeitdokument: Die Amsterdam Concerts gehören sicherlich zu den unterhaltsamsten Blues-Aufnahmen überhaupt. Für alle, die sich für die Ursprünge des Genres interessieren, ist dies eine mehr als interessante Veröffentlichung.
„Amsterdam Live Concerts 1953“ von Big Bill Broonzy erscheint auf Munich Records/Indigo.
