Ohne Frage muss jemand, der seine Band (in dem Fall aber eher ein Kleinorchester) „Frühmorgens am Meer“ nennt ja schon eine lyrische Ader haben. Und diese bricht sich dann erwartungsgemäß auch auf dem vierten Album der singenden Poetin Nadine Maria Schmidt Bahn. Freilich: So romantisch wie der Bandname es vermuten lässt, ist das alles nicht, denn die Leipziger Liedermacherin suchte sich für dieses Projekt wirklich harten Tobak aus. Wie der Titel des Albums „Die Kinder an unseren Händen“ es erahnen lässt, geht es um die Abhängigkeiten, denen sich Kinder ausgesetzt sehen, wenn die Umstände sie und ihre Eltern aus der Gewissheit von Routinen und Szenarien herausreißen.
In ihren Chansons (denn als solche lassen sich die mit jazziger Leichtigkeit und klassischer Stringenz arrangierten Songs musikalisch am ehesten typisieren) singt Schmidt von Extremsituationen, denen sie in den Songtiteln bestimmte Ereignisse zuweist. Beispielsweise den Treck über den zugefrorenen Ladogasee im eingekesselten Leningrad des Jahres 1941, den Massenselbstmord im Vorpommerschen Demmin in den letzten Kriegstagen 1945 oder die Situation von Flüchtenden im Idomemi des Jahres 2016. Immer geht es um Flucht, Vertreibung, Trennung und Tod – jeweils geschildert aus der Perspektive von Kindern, die den Wirren der Geschichte schutzlos ausgeliefert sind, wenn die Erwachsenen ins Verderben rennen (müssen). Dafür, dass das alles nicht rührselig oder gar kitschig rüberkommt, trägt die Ernsthaftigkeit des Vortrages und die dezidiert naive Sichtweise der Kinderaugen Sorge – und auf der musikalischen Seite sind es die kunstvoll verwobenen Arrangements, die der Cellist und Komponist Christoph Schenker für die Streicher, Bläser, und Bandmusiker schrieb. Oft beißen sich ja poetischer Feinsinn und musikalische Ambitionen – nicht jedoch in diesem Fall. Da wird alles zu einem schlüssigen großen Ganzen zusammengeführt.
„Die Kinder an unseren Händen“ von Nadine Maria Schmidt & Frühmorgens am Meer erscheint auf BSC.