Zunächst mal: Bessere Songs als die, die auf dem beeindruckenden neuen Doppel-Album der Decemberists versammelt sind, hätten Colin Meloy und seine Getreuen vermutlich nicht mal dann hinbekommen, wenn sie es ernsthaft versucht hätten. Das ist dann ausdrücklich als Lob gemeint, denn der Eindruck, der sich beim Hören der neuen Songsammlung einstellt, ist der von unangestrengter Mühelosigkeit – und das, obwohl dieses Album sicherlich das ambitionierteste und schwierigste gewesen sein muss, das die Decemberists in ihrer mittlerweile auch schon wieder fast 25-jährgen Laufbahn in Angriff genommen haben.
2018, nachdem die Decemberists mit ihrem letzten Album „I’ll Be Your Girl“ auf Tour gewesen waren, schien Bandleader Colin Meloy ausgebrannt – jedenfalls soweit, dass er die Decemberists nicht mehr als alleine maßgebliche Triebfeder seines Tuns betrachtete und sich anderen Projekten zuwandte, wie etwas seinen „Wildwood“-Büchern, Film- und Theater-Arbeiten und einem eigenen Newsletter namens „Machine Shop“ – und dann war da ja auch noch die Pandemie. Erst allmählich richtete Meloy seinen Fokus wieder auf die Decemberists, aber noch Anfang 2023 scheiterte der Versuch, sich in Tucker Martines Studio einzumieten und dort in Abwesenheit des Produzenten an neuen Songideen herumzuwerkeln. Erst sechs Monate später gab es einen neuen Anlauf – dieses Mal arbeiteten Meloy und Martine aber zusammen, um aus den vorhandenen Songskizzen, die Meloy angesammelt hatte, das Song-Potential hervorzukitzeln, bevor dann die Musiker hinzukamen und Gäste wie James Mercer von den Shins und Mike Mills von R.E.M. eingeladen wurden, um den Sound der Decemberists erweitern zu können.
Dieser Ansatz erwies sich als besonders fruchtbar, denn nachdem die Grundlagen gelegt und die Details ausgearbeitet worden waren, entstand in relativ kurzer Zeit das – nach Meloys Aussage – beste Decemberists-Album bis dato. Und warum? Nun, weil hier alles zusammenkommt, was die Decemberists seit jeher auszeichnete: Brillantes Songmaterial mit mehr melodischen und harmonischen Ideen als je zuvor, eine geradezu ansteckende Begeisterung für das eigene Tun und eine Spielfreude, die die Live-Energie, die die Band für gewöhnlich auf der Bühne versprüht, auch im Studio spürbar widerspiegelte, so ziemlich alle Genres, derer die Band in ihrer Vielseitigkeit habhaft werden kann, in perfekter Symbiose zusammengeführt – und nicht zuletzt der Wille, immer wieder auch das musikalische Weltbild zu erweitern und neue Dinge zu probieren. Dabei überzeugen die Decemberists mit Beatlesquer Vielseitigkeit, Orbinsonscher Grandezza, Calexico-mäßig pulsierender Gelassenheit, R.E.M.scher Kling-Klang-Spielfreude und fast schon puristische, Seegerscher Folk-Attitüde – und dann ist da ja auch noch der abschließende Track „Joan In The Garden“ – ein Epos von fast 20 Minuten Spiellänge, das die Fieberträume einer Joan Of Arc zum Thema hat, und in dem die Decemberists all das Genannte konsequent und unerbittlich mit ihrem früher viel öfter zur Schau getragenen Faible für Prog-Rock-Delirien und psychedelische Kakophonien verquicken. Wer schon immer mal wissen wollte, wie man von einer veträumten Folk-Ballade über einen dystopischen klanglichen Abwärtsstrudel und eine Heavy-Metal-Passage zu einem triumphierenden Prog-Finale mit liturgischer Note geleitet werden kann, der sollte sich „Joan In The Garden“ unbedingt mal anhören. Inhaltlich ist das Werk weniger stark politisch geprägt als das während der 2016er Wahlen entstandene Vorgänger-Alben, aber in Songs wie „Burial Ground“, „America Made Me“ oder „Never Said“ gelingt es Meloy von seinem Mörderballaden-, Fabel- und Moritaten-Modus abzuweichen und ein wenig Sozialkritik einfließen zu lassen. Das alles führte zu einem Album, das schlüssiger und perfekter nicht hätte werden können. Kaum vorzustellen, dass Meloy selber lange Zeit nicht gedacht hatte, dass es jemals hätte zustande kommen können.
(Yabb/Membran/Thirty Tigers)