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Als die Songwriterin Hayley Reardon – damals als Support des irischen Songwriters Ryan O’Reilly – Ende 2018 erstmals in unseren Breiten aufschlug und mit ihren einfühlsamen, melancholischen und persönlichen Folksongs die Herzen der Freunde dieser Art von Musik im Sturm eroberte, war sie bereits sechs Jahre als Songwriterin im Geschäft und hatte bereits drei Alben und mehrere EPs auf der Habenseite zu verbuchen – und eine rastlose Reise als Touring-Artist obendrein. Es war deswegen nicht besonders verwunderlich, dass die junge Frau aus Boston schon damals mit der emotionalen Tiefe und der altersweisen Reife ihrer poetischen Folk-Kapriziösen zu überzeugen wusste.
Schon damals präsentierte sich Hayley als wahre Weltenbummlerin, die zwar immer mal wieder in ihre Ostküsten-Heimat reiste, wo sie seit zwei Jahren auch wieder in der Nähe von Boston lebt – aber grundsätzlich zog es Hayley oft in europäische Gefilde, wo sie unablässig tourte und ihre Basis immer mal wieder in Deutschland (in Dachau und Berlin) und zuletzt Spanien aufschlug, wo sie längere Zeit mit Stipendien oder Künstler-Residenzen lebte. In Barcelona fand sie dann eine Gruppe spanischer Musiker um die Brüder Pau und Arnau Figueras, mit denen sie auch ihre letzten EP-Projekte, „Changes“ und „After Everything“ realisierte, die sie in diesem Jahr auch intensiv live bei uns präsentiert.
Natürlich findet Hayley Reardon auf ihren Reisen und Touren jede Menge Inspirationen für ihre Songs. Waren es früher eher die direkte, familiäre Umgebungen und die Zeit des Aufwachsens, die Hayley beschäftigten, so geht es ihr heutzutage eher darum, über ihre zuweilen skurrilen Geschichten ihren Platz in der Welt zu konsolidieren. Ist „After Everything“ ein Ausdruck dieses Bestrebens, zum besten möglichen Selbst zu kommen?
„Ja, wir suchen ja alle irgendwie nach unserem bestmöglichen Selbst, oder?“ meint Hayley, „ich würde sagen, dass es bei ‚After Everything‘ darum geht, zum Ausdruck zu bringen, dass die Reife, die man durch Erfahrungen gewinnt, einen selbst verändert. Man bleibt zwar man selber – aber auf eine andere Weise, die auch alle Fehler beinhaltet, die einen stärker gemacht und ihre Marken hinterlassen haben. Und davon gibt es eine ganze Menge auf der neuen Scheibe.“
Geht es dabei auch um veränderte Erwartungshaltungen? „Ja, genau, es geht um Erwartungen, die sich ändern. Es geht darum, seine Werte zu erkennen und seine Unebenheiten. Es geht darum, schwierigen und schmerzvollen Erlebnissen auf diese Weise eine Bedeutung beimessen zu können.“
Was ist dabei die Funktion der Musik für Hayley? „Das ist witzig, dass du das so sagst“, meint sie, „denn darüber denke ich selbst viel nach und bin geradezu besessen davon, die Funktion von Songs zu ergründen. Ich denke, dass es mir um Sicherheit geht. Die Songs sind für mich Bereiche, die ich einnehmen kann und in denen ich mich sicher fühlen kann in einer ansonsten ziemlich chaotischen Welt. Das will ich dann auch auf meinen Konzerten zum Ausdruck bringen. Die Funktion der Musik ist also ein Bereich der Sicherheit und Präsenz für mich.“
Warum sind Hayley’s Songs eigentlich immer so melancholisch und traurig? „Das liegt vermutlich daran, dass ich früher nicht so viel Gelegenheit hatte, meine Gefühle in meinem ‚echten Leben‘ auszuleben – das habe ich dann über mein Songwriting gemacht. Ich denke auch, dass ich sehr im Einklang bin mit dem Schmerz des Lebens – sogar erfreuliche Sachen bringen einen gewissen Schmerz mit sich. Das hängt mit der engen Beziehung zwischen Freude und Trauer mit sich. Ich bin dabei aber kein ‚Sad Girl‘ – diese Mode mache ich nicht mit, denn ich bin eine glückliche Person.“
Woran liegt es eigentlich, dass Hayley’s Leben sich so episodisch gestaltet? „Weil ich den Brotkrumen des Lebens folge“, führt sie aus, „ich bin immer dem verpflichtet, was sich mir offenbart und nicht dem, was ich geplant hätte. Man könnte das ‚distanziert‘ oder ’nicht proaktiv‘ nennen – es hat aber für mich immer funktioniert, weil mir immer jede Lektion, die ich gerade brauchte, zum perfekten Zeitpunkt präsentiert wurde – und das ist zu meiner Philosophie geworden.“
Zeit für unsere zehn Fragen, also:
1. Was ist deine Definition von „guter Musik“?
Musik, bei der ich glauben kann, dass die zum Ausdruck gebrachten Emotionen echt sind.
2. Was war der wichtigste Einfluss bei den Aufnahmen zur neuen Veröffentlichung?
Inhaltlich waren das die letzten fünf Jahre. Musikalisch haben meine Musiker mich beeinflusst – und die Art, in der ich mit ihnen zusammenarbeiten konnte. Das hat meinen Sound beeinflusst und verbessert – das hört man aus der Musik auch heraus. Auch die Art, in der ich Musik erfahre und aufnehme, hat mich beeinflusst.
3. Warum sollte jeder deine neue Veröffentlichung kaufen?
In meinen eigenen Worten? Ich weiß nicht. Ich würde sie mir kaufen, weil es echt ist. Ich mache Musik aus einem Gefühl heraus, das sich echt anfühlt – und für mich ist es das, worauf es ankommt.
4. Was hast du dir von deiner ersten Gage als Musiker/-in gekauft?
Meinen ersten Laptop, glaube ich. Ich war damals 12. Gitarren hatte ich damals schon. Ich hatte die Gitarre meines Onkels und meine Eltern haben mir auch eine eigene gekauft.
5. Gab es einen bestimmten Auslöser dafür, dass du Musiker/-in werden wolltest?
Ich denke, ich bin in die Musik auf so natürliche Art hineingewachsen, dass sie schon zu einem Teil meines Lebens wurde, bevor ich noch darüber nachdenken konnte, was ich damit überhaupt anstellen wollte. Und als ich begann, darüber nachzudenken, war ich schon eine Musikerin. Es gab da also keinen definierbaren Moment.
Aber ich erinnere mich, dass ich die Songwriterin Lori McKenna in einem kleinen Folk-Club in Cambridge – der Stadt bei Boston, wo ich herkomme – gesehen habe, als meine Eltern anfingen, mich zu Konzerten mitzunehmen. Ich erinnere mich, dass diese einzelne Songwriterin, die da auf der Bühne stand, mich sehr fasziniert hatte, weil sie in den Pausen zwischen den Stücken über die Songs gesprochen hatte. Das war eine andere Art Musik zu erleben, als die, die ich zuvor kannte, weil sich das für mich anfühlte, wie Memoiren, die von einer einzelnen Psyche zur Musik gemacht wurden und das gefiel mir so gut, dass ich das auch machen wollte. Das war dann ein definierender Moment in Bezug auf den Pfad, den ich einschlagen wollte – aber ich war da der Musik schon verfallen.
6. Hast du immer noch Träume – oder lebst du den Traum bereits?
Ich lebe meinen Traum. Der nächste Traum ist aber der, mich stärker auf die besten Teile dieses Traumes konzentrieren zu können. Es soll mehr Raum für kreative Freiräume geben, die Sachen machen zu können, die ich machen möchte.
7. Was war deine größte Niederlage?
Hm – ich habe von allem gelernt. Ich denke, dass alles, was mich enttäuscht hat oder länger gedauert hat, als ich es mir wünschte, sich im Nachhinein als sinnvoll erachtet hat. Es gibt eine Menge Niederlagen – das Leben ist schließlich hart – aber das ist es dann auch wert.
8. Was macht dich derzeit als Musiker/-in am glücklichsten?
Mit den Musikern, die ich in Barcelona getroffen habe, zusammenzuarbeiten. Das hat die Beziehung zu meinen Songs wesentlich vertieft. Das und in das hineinzuwachsen, was mich jetzt als Selbst auszeichnet. Ich habe ja viel Zeit damit verbracht, da hineinzuwachsen und nun kann ich darauf aufbauen. Das ist aufregend.
9. Welches ist das schlechteste Lied, das je geschrieben wurde?
Ich habe keine Idee. Ich mag keine Musik, die seelenlos ist. Ich habe da keine Genres, die ich nennen könnte. Aber Musik sollte von Menschen für Menschen gemacht werden. AI-Musik schließe ich da aus.
10. Wer – tot oder lebendig – sollte auf deiner Gästeliste stehen?
Ich könnte jetzt meine ganzen Idole auflisten – aber dann würde ich eingeschüchtert sein, sie hier zu haben. Okay – ich würde aber Fiona Apple nennen, die ich sehr liebe … und Joni Mitchell.
„After Everything“ von Hayley Reardon ist eine Eigenveröffentlichung.