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Entdeckungsreise
Exklusiv mit London oder Bands von der Insel hat das London Calling-Festival in Amsterdam ja schon lange nichts mehr zu tun, das Konzept wurde schon vor Jahren auf andere Länder ausgeweitet und es geht mittlerweile in erster Linie darum, neben bereits etablierten Künstlern vor allem den eher unbekannten Bands eine Plattform außerhalb ihrer jeweiligen Heimat zu bieten, das gerne zweimal pro Jahr im schönen Paradiso in Amsterdam. Siobhán Winifred fasst es in ihrem Instagram-Reel-Titel perfekt zusammen: „first gig abroad, first time in amsterdam, first tattoo.“
Ein gutes Händchen und Gespür hatten die Macher des Festivals schon mehrfach unter Beweis gestellt, seit sie 1992 damit anfangen haben. Zuletzt konnte man dort Bands wie English Teacher, Honeyglaze, Sasami, Wet Leg, Heartworms, Divorce, Big Special oder auch The Last Dinner Party im Line-Up und auf der Bühne bewundern, die Mai 2025-Ausgabe wird dann zeigen, ob auch hier wieder auf Großes vorausgegriffen wurde.
Der Zeitplan ist netterweise so gestrickt (keine parallele Planung, sondern alles hintereinander), dass man nahezu alle Bands sehen könnte, wenn man das denn wollte. Wollten wir jetzt nicht, aber wir haben beim Pendeln zwischen dem großen Saal im Erdgeschoss und dem kleinen in der ersten Etage des Paradiso einiges mitnehmen können.
Für viele britische Bands ist dies der erste Auftritt außerhalb der Insel, und neben der großen Freude, dies tun zu können, müssen sie mit den Auswirkungen des Brexit leben und am eigenen Leibe erfahren, dass Konzerte außerhalb Englands sehr kostspielig sind – so hört man einige dieser Bands dann vor allem darauf hinweisen, dass die Leute doch bitte möglichst beim Merch-Stand vorbeischauen und neben einem Plausch im besten Fall auch etwas kaufen, um die Kosten einzudämmen.
Am Freitag standen gleich 12 Bands in den Startlöchern – das Festival eröffnete Will Paquin aus Boston mit seiner Fingerpicking-Neigung und anschließend wurde es sehr laut (aber klanglich hervorragend abgewischt) mit Fazi aus China – verstehen konnte man da aufgrund der Sprachbarriere natürlich nicht viel, aber einfach mitreißen lassen vom Post-Punk und Psychedelic-Rock war auch in Ordnung. Will Wiesenfeld aka Baths war dann eine recht eigensinnige One-Man-mit-Laptop-Show, die man nicht unbedingt braucht – aber Geschmäcker sind ja verschieden. Weitaus sympathischer und gut gelaunt ging es anschließend weiter mit Siobhán Winifred aus London – normalerweise steht sie mit Band auf der Bühne, in Amsterdam musste sie allerdings solo auftreten, was sie aber nicht weiter sonderlich störte und sich sogar etwas darüber freute, auf diese Weise wieder an ihre Anfänge erinnert zu werden (auch wenn sie zugeben musste, mit dem Gitarre-Stimmen etwas aus der Übung zu sein). Die Songs aus der Alt-Pop-Ecke brauchen sich auch im Solo-Vortrag nicht zu verstecken, eine schöne Melodie hat schließlich noch nie geschadet und man konnte durchaus einige Leute viele Songs mitsingen sehen.
Im großen Saal war dann auch genügend Platz auf der Bühne für Bria Salmena mit ihrer Band – und konnte dort durchaus mit ihrem wilden Mix aus Goth, Psychedelia, Krautrock und vielem mehr überzeugen, vor allem die gesangliche Unterstützung der Keyboarderin wusste zu gefallen. Während oben im kleinen Saal zu KuleeAngee aus Schottland getanzt werden konnte (alle Konzerte aus der oberen Etage wurden netterweise im großen Saal auf Leinwand live übertragen), wurde die große Bühne für Prima Queen (Louise Macphail (Bristol, Großbritannien ) und Kristin McFadden (Chicago, USA)) hergerichtet – die dann mit ihren tollen Songs aus der Indie-Alternative-Ecke ein leichtes Spiel hatten und mit Sicherheit viele neue Anhänger gefunden haben. Richtig eng wurde es dann im kleinen Saal bei Balancing Act aus London – verhältnismäßig viele Leute im Publikum waren bereits dem Aufruf nach Merch-Kauf nachgekommen und bevölkerten die ersten Reihen mit entsprechenden Band-T-Shirts. Für überaus gute Stimmung war also schon gesorgt, da konnte für die Band um Sänger/Gitarrist Kai Roberts eigentlich gar nichts mehr schiefgehen. Tat es auch nicht und der kraftvolle und energische Indie-Rock mit Arctic Monkeys-Anleihen tat sein übriges, inklusive eines Bades in der Menge für Kai Roberts. Wenn schon, denn schon.
Schottisch folkig ging es dann weiter mit Brògeal, bevor es mit Hello Mary, einem Trio aus New York bestehend aus Helena Straight (Gitarre, Gesang), Stella Wave (Drums, Gesang) und Mikaela Oppenheimer (Bass), eine tolle Entdeckung in Sachen Indie-Rock, Shoegaze und Noise-Rock mit vielen Laut-Leise-Passagen gab. University aus England und The Deadlians aus Dublin beschlossen dann den Freitagabend.
Der Samstag war zweigeteilt in neun Bands zur so genannten „High Tea“-Zeit (von 13:30-18:25 Uhr) und nochmal 12 Bands im Abendprogramm ab 18:30 Uhr bis 01:20 Uhr. Volles Programm also, besonders wenn man die erste und letzte Band des Tages unbedingt sehen wollte. Wollten wir. Den Anfang machte Amber Strawbridge aka Bored At My Grandma’s House. Die Engländerin trat zusammen mit ihrem Gitarristen und Notebook auf (und war zudem aktuell als Support für Soccer Mommy in Europa unterwegs) und ihre tollen Indie-Pop-Songs waren genau der richtige Einstieg in den zweiten Festival-Tag. Super entspannt, zum Dahinträumen, alles super. Ohrwürmer wie „Inhibitions“ und „Show & Tell“ sind bis heute aktiv. Laurie Wright gehört dann auch zu der Sorte „zufällige Entdeckung“, laut und mitreißend, nichts Außergewöhnliches, aber dafür absolut ehrlich, Themen wie die eigene Drogen- und Alkohol-Abhängigkeit bestimmen seine Songs. Tja, Nap Eyes. Was soll man sagen. Fällt irgendwie in die gleiche Ecke wie The War On Drugs – tut nicht weh, braucht man aber auch nicht unbedingt. Spannender war da schon das Folk Bitch Trio aus Melbourne – allein der Name macht ja schon neugierig, und Gracie Sinclair, Jeanie Pilkington und Heide Peverelle sollten nicht enttäuschen und wurden lautstark abgefeiert. Der tolle Harmonie-Gesang gepaart mit sehr obskuren Texten, trockenem Humor und reduziertem Gitarren-Einsatz fesselte und überzeugte auf ganzer Linie.
Die ganze Breite der Bühne des großen Saals konnte dann The Orchestra (For Now) für sich beanspruchen – wenn man sich schon Orchestra nennt, dann braucht man halt Platz. Die sieben Leute aus London hatten ebenso epische Songs im Gepäck, Sänger/Pianist Joseph Scarisbrick sticht etwas hervor mit seiner manischen Darbietung. Hier ist halt alles larger than life. Die Songs sowieso, man weiß nie, wohin oder zu was sich diese mit dem nächsten Takt entwickeln. Spannend. Tasmin Nicole Stephens aka TTSSFU dürfte den Titel „Schönste Gitarre des Festivals“ locker für sich beanspruchen können, war doch der Korpus als Herz konstruiert. Musikalisch ging es zusammen mit ihrer Band laut und heftig zur Sache, irgendwo zwischen Shoegaze und Post-Rock, Tasmin äußerst gut gelaunt und es gab sogar ein kleines Geburtstags-Ständchen für ihren Vater, der auch im Publikum anwesend war. Das ist doch nett.
Im großen Saal folgten dann zwei Auftritte für vermutlich das jüngere Publikum – Total Tommy aus Sydney schwimmt irgendwo im Gitarren-Sound der 90er, allerdings bleiben die Songs nicht wirklich im Gehörgang hängen. Chloe Slater präsentierte ihre Pop-Songs gut gelaunt und mit viel Energie auf der großen Bühne – allerdings wirkte das alles teilweise schon sehr einstudiert. Eigentlich sollte Soccer Mommy als nächstes im großen Saal antreten, der Auftritt (und die restliche Europa-Tour) wurde leider kurzfristig aus persönlichen Gründen abgesagt – eingesprungen sind dafür Long Fling, eine neue Band und fast schon sowas wie eine kleine niederländische Supergroup, denn dahinter stecken Pip Blom und Willem Smit von Personal Trainer. Eine gute Mischung, was sich vor allem am hohen Melodie-Anteil messen lässt, vor allem Pip als gesanglicher Gegenpart zu Willem hat schon was von Dreamteam. Dieser kurzfristig angesetzte Gig war anscheinend auch das ungeplante Live-Debüt der Band. Toll!
The Guest List aus Manchester könnte durchaus einen guten Weg vor sich haben, wenn sie ihre Songs noch weiter ausarbeiten und den eigenen Stil weiterentwickeln – schon jetzt können ihre Songs aus der Brit-Pop/Rock-Ecke durchaus begeistern, das Publikum feierte diese gebührend ab. Zum Abschluss der Mai 2025-Ausgabe des London Calling stand eine Band auf der Bühne, die viele vermutlich zum ersten Mal gesehen haben dürften, aber es waren auch Leute anwesend, die Mclusky aus Cardiff, Wales endlich wieder nach über 20 Jahren Bühnen-Abstinenz wiedersehen konnten. Leider, leider bekamen Andrew Falkous, Damien Sayell und Jack Egglestone nur 30 Minuten Spielzeit zugewiesen, aber diese hatten es in sich. Angefangen mit „Lightsabre Cocksucking Blues“ über „Without MSG I Am Nothing“ war schon sehr schnell klar, wohin die Reise gehen wird – mit Vollgas Richtung Glückseligkeit. Neue Songs wie „Unpopular Parts Of A Big“, „Chekhov’s Guns“ oder „Autofocus On The Prime Directive“ fügten sich nahtlos ein, bevor es dann mit „Alan Is A Cowboy Killer“ und „To Hell With Good Intentions“ zu Ende ging. Großartig und ein wahrhaft würdiges Ende des London Calling Mai 2025.