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Open Air im Westerndorf
Ein lauer Abend kurz vor Sommeranfang. Die Sonne senkt sich über dem Open-Air-Gelände der Blues Garage in Hannover-Isernhagen. Die Location ähnelt einem liebevoll zusammengezimmerten Westerndorf, wenngleich nicht in der amerikanischen Prärie, sondern in einem Industrieviertel. Ausgediente Fahrzeuge all überall: ein rostiger Pick-up, ein Schulbus, ein Polizeiauto. An einem Feuerwehrauto wird das Bier gezapft und das Mischpult sowie die Vorbühne haben Straßenkreuzer-Teile integriert. Über 250 Gäste haben sich dazwischen eingefunden, um die siebenköpfige dänische Band The Black Tornado um den Sänger, Gitarristen und Hauptkomponisten Thorbjørn Risager zu sehen. Dessen Songs basieren auf dem Blues, streifen aber auch Funk, Boogie, Swing, Rock und Rhythm ‘n‘ Blues. Dazu bieten sie eine knapp zweistündige unterhaltsame Show.
Mit „Already Gone“ rocken die Dänen pünktlich um acht Uhr los. ZZ Top kommen in den Sinn oder die Black Keys. Risager mit rauchiger Stimme, der Sound beabsichtigt leicht verzerrt. Der Swamp-Blues „Long Time Ago“ entführt in die Südstaaten, während „The Straight And The Narrow Line“ geradezu swingt. Das countryeske „We’ll Get By“ mit Risager an der Akustikgitarre bereichert Joachim Svensmark, seit sieben Jahren als Gitarrist dabei, mit beseelten Slide-Fahrten. Von ihm stammt kompositorisch der Titelsong des aktuellen Albums „House Of Sticks“. Ein träge dahinfließender Lavastrom mit wunderbaren Bläsersätzen und perlendem Klavier. Der getragene Soul von „Light Of Your Love“ vereint das Motiv des Unterwegsseins mit kontrastiven Licht- und Dunkelheit-Metaphern, ein roter Faden in Risagers Lyrics. Das funkige „Hold My Lover Tight“ stützt sich auf Søren Bøjgaards pulsierenden Bass, darüber erheben sich die Bläser mit Peter Kehls Trompete und Hans Nybos Saxofon. Damit verabschieden sich die Musiker in die Pause.
Das zweite Set beginnt mit dem Trennungslied „If You Wanna Leave“. Das markante Boogie-Riff animiert sofort zum Mitklatschen. In dem melancholischen „The Inner Light“ thematisiert der 54-jährige Risager das Älterwerden, doch das euphorisierende Bläser-Duo hellt die düsteren Gedanken auf. Erst Nybos jazziges Saxofon, dann Unisono-Spiel mit Kehls Trompete, bis sich das Saxofon wieder löst und eigene Wege geht. Ein Höhepunkt: „Never Givin‘ In“. Svensmark streicht mit einem Bogen über die Gitarrenseiten wie einst Jimmy Page bei den Yardbirds und Led Zeppelin. Ein knarziger Blues, der nach dessen Urvätern klingt, setzt ein, schwingt sich auf zu einem Elektro-Blues mit schwebenden Klängen und angedeuteten Wah-Wahs aus Svensmarks Gitarre und wird schließlich getoppt von Bläserpower bis zu einem abrupten Stopp, was das Mitklatschen jäh beendet. Doch hey, die Mannen steigen wieder ein, die Klatschenden ebenso. Die mysteriöse Trucker-Ballade „Long Forgotten Track“ pluckert in einem entspannten West-Coast-Sound vor sich hin, erinnert an Grateful Dead, auch durch Svensmarks melodiöses Gitarrensolo.
Risager ist ein Bandleader, der sich zurückzunehmen weiß und auch an der Gitarre eher die „zweite Geige“ spielt. Nybo und Kehl übernehmen immer mal die Ansagen. Letzterer, der nebenher auch als Tourmanager fungiert, stellt „Train“ als Liebeslied an die Deutsche Bahn vor. Sarkastisches Hohngelächter im Publikum, doch Kehl erklärt, die dänische Bahn sei weitaus unpünktlicher als die deutsche. Man mag es kaum glauben. Nybo setzt sich eine rote Bahnbedienstetenmütze auf, um die Zuneigung zu unterstreichen.
Mit dem Rhythm ‘n‘ Blues-Song „All I Want“ beschließen die Dänen zunächst ihr Konzert. Svensmark begeistert noch einmal mit einem mit allerlei Finessen ausgestatteten Gitarrensolo. Big Joe Williams‘ oft gecoverter Gassenhauer „Baby Please Don’t Go“ folgt noch als Rausschmeißer, Kehl und Nybo schwenken ihre Instrumente parallel im Takt. Nicht unerwähnt bleiben sollen Martin Seidelin, der auf der hinten recht schummrigen Bühne ebenso versteckt bleibt wie Emil Balsgaard an den Keyboards, die aber den Klangkörper des Septetts erst abrunden. Ein Open-Air-Konzert bei angenehmen Temperaturen in einer Location, die mit Tanksäule, unaufgeräumter Werkstatt, Totempfahl, Indianer-Skulptur und vielem anderen liebevoll drapiertem Tand aus dem alten Amerika zum Wohlfühlen einlädt. „Seid ihr bereit für ein bisschen mehr Blues?“ ruft Risager während des Konzerts. Auch am Ende des Auftritts wäre die Zustimmung genauso lauthals gekommen wie zum Zeitpunkt der eher rhetorischen Frage.