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Als gäbe es ein Morgen
Der zweite Tag des OBS 27 stand dann ganz im Zeichen der Gegensätze. Auf der einen Seite waren da die Unterhaltungs-Acts wie Grillmaster Flash & The Jungs, Randale und Schreng Schreng & La La, die mit verschiedenen Abstufungen generationenübergreifenden Schlager-Power-Pops und -Liedermachings sowohl hartgesottene Frühaufsteher als auch große und kleine Kinder und ernsthafte Musikfreunde mit ihrer ungebremsten Lebensfreude zu begeistern wussten – und auf der anderen Seite waren da die musikalischen Nihilisten wie Texoprint, Tommy & The Teleboys oder Marathon, die mit missionarischem Sendungsbewusstsein das musikalische Äquivalent von Zahnwurzelbehandlungen ohne Betäubung aber viel körperlicher Gewalt zu implementieren suchten – nicht ohne Spaß auf und vor der Bühne übrigens. Etwas verloren erinnerten dann The Good Looks und Dylan LeBlanc an die längst vergangenen Zeiten, zu denen das OBS eine Art Tempel der Americana-Bewegung gewesen war. Aber der Reihe nach – denn es gab auch durchaus einige Highlights zwischen den durchziehenden Tiefdruckgebieten zu entdecken.
Los ging es zu nachtschlafender Zeit gegen 11:30 Uhr mit einer Bühnenparty von Grillmaster Flash & The Jungs. „Grilli“ – wie ihn seine Freunde und Fans zärtlich nennen – war 2019 schon mal als Walking Act auf dem OBS zu Gast gewesen (damals solo und ohne Jungs) und träumte seither sehr eindringlich davon, auch mal auf der Hauptbühne des OBS aufspielen zu können. Als er dann Anfang des Jahres postete, dass er sein Geschäft als „Vollfunktionsentertainer aus Bremen Nord“ 2025 an den Nagel hängen wollte, ließ sich Rembert nicht lange erweichen, den Meister schnell noch zu buchen, bevor das systembedingt nicht mehr möglich sein sollte. Die Zuschauer erwartete ein solider Mix aus performerischem Jux und musikalischer Ernsthaftigkeit, in dem Grilli & Co. eine Art Best Of aus ihrer immerhin zehnjährigen Laufbahn Revue passieren ließen. Dabei ließ Grilli selbst keine Gelegenheit aus, sich mit stadienreifen, überlebensgroßen Gesten als monumentaler Rockstar und Comedian in Personalunion zu profilieren und überraschte die Fans mit einem bunten Programm zwischen Mitgröl-Gassenhauern, Schlager-Sentimentalitäten und munterem Powerpop mit gelegentlichen Rockschlenkern.
Wer nach diesem Auftritt vorgehabt hatte, noch über eine Mütze Schlaf nachzudenken, konnte diesen Plan gleich wieder verwerfen. Aufgrund einer der zwei Absagen des ursprünglichen Festival-Line-Ups war freundlicherweise das Rotterdamer Postpunk Trio Texoprint eingesprungen (was insofern bemerkenswert war, als dass die Jungs am Abend noch eine Show in ihrer Heimatstadt spielen mussten). Das Trio – das früher unter dem Namen Kalaallit Nunaat firmierte – besteht aus den drei eher schüchtern wirkenden, freundlichen Herren Davip Pop, Jasper Werij und Redwin Rollerman, deren Hobbies (Brettspiele, Fantasy-Bücher, Bier, Gewichtheben oder American Football) so gar nichts über ihr sinistres musikalisches Anliegen verraten, denn Texoprint betätigen sich mit brutaler Gewalt als musikalisches Totschlagargument und lassen auf der Bühne nur die Macht des musikalisch Stärkeren gelten. Erkennbare Songs gehören dabei nicht zum Mittel der Wahl und auch das „Aufbrechen von Grenzen“ spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle – denn diese überschreiten Texoprint in Sachen Härte sowieso. Wer gelungene Live-Musik einzig danach bemisst, wie viele Kalorien auf der Bühne verbrannt werden, der dürfte dann auch von der auf die reine physische Essenz ihres Tuns verdichtete energischen Anti-Show von Texoprint begeistert gewesen sein.
Wer indes auf Besinnlicheres Lust hatte, der war dann bei der Lesung von Thorsten Nagelschmidt richtig, die – wie üblich – auf Annes Reiterhof schräg gegenüber des Festival-Geländes ausgerufen war, in diesem Jahr aber sicherheitshalber in einer nach einer Seite offenen Scheune stattfand – was sich als richtige Entscheidung erwiesen hatte, denn genau zum Start der Veranstaltung begann ein Regenschauer. Im letzten Jahr war Thorsten Nagelschmidt mit seiner Band Muff Potter zu Gast auf dem OBS gewesen und hatte dort ordentlich Rabatz gemacht. In diesem Jahr las er aus seinem Roman „Soledad“ („Einsamkeit“). Dazu spielte er einleitend Softcore-Pop wie den Song „Soledad“ von Westlife und erzählte Anekdoten von seinem Verhältnis zur Musik und den Protagonisten seines Romans. Währenddessen trafen immer mehr potentielle Fans ein, sodass das Auditorium mehrfach mit bereitgehaltenen Gartenbänken aufgestockt werden musste. Bücher konnten dann auch erworben werden und wurden auch gleich vor Ort unterschrieben – wie sich das gehört. Die Sache war dabei nur die: Im letzten Jahr hatte Thorsten seine CD-Sammlung mit zum Meet & Greet gebracht, die er im Rahmen des allgemeinen Digitalisierungsgebotes dann an die Fans verkloppt hatte. Wie sich nun herausstellte, hatte er die vom letzten Jahr übrig gebliebenen Exemplare wieder mitgebracht und hatte zu diesem Zweck eine zusätzliche Session am Meet & Greet-Stand angesetzt, bei der dann die Aktion aus dem Vorjahr fortgesetzt werden sollte. Da sage noch einer, die Musiker von heute hätten keine Ideen mehr in Sachen analogem Marketings.
Alle, die es eher nach Musik als Worten gelüstete, fanden dann vielleicht bei dem ersten von zwei Auftritten der „Kinder-Rock-Band“ Randale auf der Mini-Bühne, wonach sie suchten. Hier zeigten die vier tierlieben Rock-Freunde dann, dass selbst ein Mix aus Schweine-Rock, Liedermaching, Reggae und Ska und Kinderliedern eben nicht alleine in der Parodie stecken bleiben müssen. Obwohl es natürlich schon ganz schön lustig war, wie Jochen Vahle und seine Jungs (eine aufblasbare Riesen-Banane als Taktstock schwingend) dem Nachwuchs als „Reggaebär“ den Unterschied zwischen Reggae und Ska erklärten und dann auch die Erwachsenen dazu anregen konnten, sich mit einem sauberen Finger vor dem Kopf beim „Einhorn“-Lied zu Mittätern zu machen.
Während es zwischenzeitlich aufgrund der ständigen Regenschauer fast schon lebensgefährlich geworden war, über den Matsch auf dem Gelände zwischen den Bühnen hin und her zu schlittern, gab es auf der Hauptbühne dann wieder einen jener Acts zu bewundern, deren Karrieren mit einem OBS-Auftritt auf der Minibühne dereinst erst so richtig ins Laufen gekommen waren. Nach etwa AnnenMayKantereit, Giant Rooks, Tom Allan, Alice Phoebe Lou und zuletzt Afrodiziac war es nun an Stina Holmquist und ihrer Band mit einem fantastischen Auftritt auf der Hauptbühne, diese illustre Runde fortzusetzen, nachdem sie im Jahr zuvor die Fans bereits auf der Minibühne entsprechend begeistert hatte. Zwar hatten es die sympathische Duisburgerin und ihre Band (zu der auch ihr Bruder hinter dem Drumkit gehört) immer noch nicht geschafft, eine ganze LP fertigzustellen – aber dafür hat die Frau, die vor allen Dingen von dem Anliegen getrieben wird, ihre Songs mit anderen teilen zu wollen – ungemein an ihrer Performance gearbeitet.
So schaffte es Stina mühelos, die quirlig/fröhliche Art, die gerade die Vorjahres-Show so sympathisch gemacht hatte, auf die große Bühne mitzunehmen – nutzte dann aber zugleich die Möglichkeit, sich die große Bühne insofern mit ihrer Performance zu eigen zu machen, als dass sie sich nur selten hinter ihrem Keyboard versteckte, sondern stattdessen das Publikum mit aufmunternden Gesten und einer gewissen performerischen Grandezza – oft am Bühnenrand herumtanzend – anspielte und mitnahm. Party-Mucke entstand dadurch noch lange nicht – da war schon alleine die nachdenkliche, wahrscheinlich skandinavisch geprägte Note vor, die Stinas Songs Wertigkeit jenseits des bloßen Unterhaltungsfaktors verleiht. Trotzdem machte das Spaß beim Zuschauen – auch wenn das aufgrund des inzwischen einsetzenden Landregens nicht so ganz einfach war. Im letzten Jahr hatte Stina die wenigen Exemplare ihrer nach wie vor aktuelle Vinyl-Ep innerhalb weniger Minuten ausverkauft. Dieses Mal hatte sie jedoch genügend Nachschub dabei, sodass die Fans beim Meet & Greet allesamt bedacht werden konnten.
Auf der Hauptbühne hatten sich derweil die Good Looks eingefunden. Die vier Herren aus Austin, Texas, waren – neben Dylan LeBlanc einer von lediglich zwei US-Acts, die in diesem Jahr aufspielten. Nominell gehören Tyler Jordan und seine Jungs zur Americana-Sektion. Diese Klassifizierung ließen die Good Looks aber gleich wieder vergessen, als sie sich mit einer wirklich ansteckenden Lebensfreude in ihr Live-Set stürzten. Hier ging es dann auch gar nicht mehr um eine bestimmte Art von Stil. Sicher: Gitarrist Jake Ames hätte den alten Americana-Fans (die ja schon lange nicht mehr zum OBS kommen) auf Nachfrage sicherlich mit großer Begeisterung Neil Young ersetzt und Tyler Jordan machte – breit grinsend – deutlich, dass er in den großen Heartland-Rockern seines Heimatlandes seine Vorbilder sieht. Aber: Da schlichen sich zwischen Psychedelia, Grunge-Rock, Jangle-Pop und Garage-Rock so viele Elemente ein, dass man als Zuhörer irgendwann auch gar keine Lust mehr hatte, nach musikalischen Referenzen zu suchen und sich dann stattdessen an jeder Menge brillanter Songs wie „Can You See Me Tonight?“ erfreute. Zweifelsohne gehörten die Herren zu jenen Acts, die am meisten Spaß auf der Bühne hatten. Auf diese Vermutung angesprochen meinte Tyler Jordan nach der Show dann allerdings. „Meinst du, wir hätten Spaß gehabt? Auf keinen Fall – wir haben das gehasst. Wir sind halt nur sehr gute Schauspieler.“ Und Witzbolde sind sie obendrein.
Auch die Band Tommy & The Teleboys aus der „mitteldeutschen Provinz“ musste kurzfristig als Ersatz einspringen – für die Band Divorce, die die Buchung beim OBS wohl als optional angesehen hatte. Insbesondere bei der Glitterhouse Mannschaft erfreuen sich der singende Drummer Tom Konheißer und seine Jungs großer Beliebtheit – und das sicherlich nicht ohne Grund, denn Tommy & The Teleboys sind anders als alle anderen. Es ist unmöglich, das, was die Jungs auf der Bühne und davor (Sänger Simon Pense stieß erst Mitte des ersten Songs mit einem Megaphon aus dem Publikum kommend zu seinen Kollegen) machen, kategorisch in Worte zu fassen. Sicherlich: Die Teletommys spielen alle Instrumente und geben sich als konventionelle Band. Sie äußern sich stimmlich auch in Mikrofonen. Es darf allerdings angezweifelt werden, dass das, was die Herren da treiben, als Musik im klassischen Sinne bezeichnet werden darf. Das ist eher eine verstiegen, avantgardistische Performance, in der sich Gesten, Bewegungen, Töne, Geräusche, Rhythmen, Hiccups, Richtungswechsel, Stops & Gos, Breaks, Sound-Kaskaden, Riffs und sonstige Noises unerbittlich bekriegen und auf verstörende Weise den Konventionen entziehen. In der aktuellen Single „Ladybug“ etwa reißt dieser Ansatz die Zuhörer in einem unerbittlichen Malstrom ins Verderben. Das ist alles nicht ohne performerischen Unterhaltungswert – zumal sich alle Beteiligten mit einer Chuzpe ins Geschehen einbringen, als gelte es, in eine übergeordnete Dimension auszubrechen. Für konventionell gepolte Musikfreunde ist das dann aber eher nichts. Und wie so oft auf dem OBS: Auch Tommy & The Teleboys unterscheiden sich auf der menschlichen Ebene auf sympathische Weise von ihren irritierenden Bühnenpersonas.
Es war dann eine vielleicht gar nicht so schlechte Idee, die OBS-Institution Schreng Schreng & La La nicht nur – wie üblich – als Walking Act über das Festivalgelände zu schicken, sondern ihnen obendrein auch zwei Minibühnen-Auftritte zuzugestehen. Denn zum einen hatten Jörkk und Lasse auch in diesem Jahr wieder mit ihrer Signature-Show für einen Stau vor dem OBS-Mural vor dem Festivalgelände gesorgt und zweitens hat die schrullige Agit-Folk-Musik des Duos ja durchaus Potential, auch die großen und kleinen Kinder, die um die Abendzeit noch nicht ins Bett mussten, zu bespaßen. Dabei machte Jörkk Mechenbier – logischerweise mit Kaltgetränken in der Hand – zum Thema, dass er mit dem Rauchen aufgehört habe – und den Umstand, dass das Leben dadurch zwar nicht schöner, aber zumindest besser geworden sei. Lasse Paulus schwieg dazu (wie er das ja sowieso bei Auftritten meistens tut) und schrammelte sich stoisch durch das Musikprogramm. Da man sich ein OBS ohne das dynamische Duo sowieso nicht vorstellen kann, machte das dann auch Sinn – außer vielleicht im kommerziellen Sinne: Das Söhnchen von Lasse Paulus verkaufte im Backstage-Bereich mit einigem kalkulatorischem Geschick die neueste Ausgabe von Lasses Crazewire-Magazin – wohl um die Heimfahrt finanzieren zu können.
Nach dem ersten der beiden Minibühnen-Shows machte sich dann Dylan LeBlanc bereit, die Hauptbühne mit seiner – teils überraschend abgespaceten – Cosmic American Americana Mixtur zum Levitieren zu bringen. Rembert hatte schon mehrfach versucht, den Mann aus Louisiana für das OBS zu buchen – was aber aus diesen und jenen Gründen erst jetzt geklappt hatte – da die ursprüngliche Zielgruppe für diese Art von Musik schon lange nicht mehr zum OBS kommt. Das war aber vielleicht auch ganz gut so, denn schon lange bedient der eigentlich sehr zurückhaltende, sanftmütige Mann nicht mehr die Klischees des Roots-Rock-Genres – auch wenn er nach wie vor gelegentlich ein Solo nach der Manier eines Neil Young zu schätzen weiß. Von Beginn seiner Laufbahn als Solo-Musiker spielten Frauen in Dylans musikalischer Welt eine große Rolle. Schon auf seinem Debüt-Album gastierte Emmylou Harris. Später arbeitete er mit Brittany Howard oder Lera Lynn zusammen. Vielleicht aus diesem Grund – vielleicht aber einfach auch aufgrund seiner Falsett-Stimme – lässt die Musik von Dylan LeBlanc jene Art von Testosteron-geschwängerter Flanellhemd-Vibes vermissen, die dieser Art von Musik gemeinhin so anhängt und strahlt stattdessen regelrecht feminine Vibes aus. Will meinen: Der Auftritt von Dylan LeBlanc auf dem OBS war dann wohl auch etwas für Frauen.
Als Performer geht LeBlanc ganz in der epischen Gelassenheit und melancholischen Mystik seiner Kompositionen auf, schaut kaum ein Mal vom Griffbrett seiner Dusenberg-Gitarre auf und singt konsequent mit geschlossenen Augen. In Songs wie seinem Signature-Track „Dark Waters“ nahm Dylan LeBlanc die Zuhörer(Innen) dann mit in seine nachtschattige Zwischenwelt, in der er seinen Dämonen nicht mit musikalischer Gewalt, sondern mit feinsinnigen Zwischentönen entgegentritt. Zwar gab es bei dieser Show dann keine weitläufigen Streicher-Arrangements wie auf seinen Scheiben „Renegade“ oder „Coyote“ – aber auch so gelang es LeBlanc und seinen Mannen, Zeit und Raum mit seinem Material zu überbrücken. Dass nach der Show dann nicht ganz so viele Fans zum Meet & Greet kamen, lag dann wohl nicht so sehr daran, dass die nächste Band bereits spielte (wie Dylan vermutete), sondern daran, dass die wenigen mitgebrachten LPs schnell vergriffen waren.
Die besagte nächste Band waren die OBS-Veteranen von Suzan Köcher’s Suprafon, die zuletzt 2019 auf dem OBS 23 aufgetreten waren, wo sie als Ersatz für die bis heute im Nichts verschwundene Laurel eingesprungen waren. Seither hat sich viel getan für die Solinger Combo, die sich hierzulande zwischenzeitlich zur führenden Institution in Sachen Psychedelia entwickelt hat und gerade ihr drittes Album „In These Dying Times“ veröffentlicht hat. Zu trauriger Bekanntheit gelangten Suzan und ihre Band, als im letzten Jahr bei ihrem Auftritt auf dem Solinger Stadtfest direkt vor der Bühne drei Fans von einem islamistischen Attentäter erstochen (und viele weitere verletzt) wurden. Wie sich nun auf dem OBS offenbarte, war eines der drei Mordopfer unser Freund, der langjährige OBS-Fan Florian, der bis zum letzten OBS auch regelmäßiger Gast am Meet & Greet Stand gewesen war, wo er sich etliche Autogramme der teilnehmenden Künstler abgeholt hatte. Glitterhouse ehrte Florian – zusammen mit dem ebenfalls (allerdings an einer Krebserkrankung) verstorbenen Andreas Rode, der bislang das Frühstückszelt beim OBS-Gelände betrieben hatte – durch Aushänge im sogenannten „Schrein“, wo früher ausschließlich verstorbene Musiker geehrt wurden, inzwischen aber auch „normale“ Mitglieder der ständig wachsenden OBS-Community.
Auf dieses erschütternde Thema angesprochen versicherte Suzan Köcher noch mal eindringlich, dass sie sich von diesem Ereignis nicht aus der Bahn werfen lassen werde, da ansonsten ja nun mal das Böse gewinnen würde. Mit so etwas möchte man ja auf einem Musikfestival eigentlich gar nicht konfrontiert werden – aber andererseits zeigt das ja auch, wie tief die Verbindungen von Musikern und Fans auf dem OBS eigentlich ist (denn selbstredend kannte Suzan Florian auch persönlich, der regelmäßig zu vielen ihrer Konzerte gekommen war).
Aber mal zur Musik von Suzan Köcher’s Suprafon. Im Laufe der Jahre hat sich aus dem ursprünglichen Solo-Projekt Suzans eine veritable Band entwickelt, indem nämlich Bassist Janis Rosanka und Drummer Dale Lohse auch in kreativer Hinsicht eingebunden sind, wenn es darum geht, die von Suzan und Julian Müller (der als Gitarrist und Co-Produzent als eine Art inoffizieller musikalischer Direktor agiert) im Studio – und schon gar auf der Bühne – mit Leben zu erfüllen. Letzteres ist ein gutes Stichwort, denn früher war es so, dass sich Suzan und ihre Kollegen sozusagen hinter ihrer Psychedelia in den Halbschatten versteckten – während insbesondere Suzan heutzutage keinerlei Probleme mehr damit hat, die Rolle der Frontfrau mit augenzwinkernden Charme, eleganten Moves, jeder Menge Energie, einer angemessenen Prise Theatralik und vor allen Dingen dem notwendigen performerischen Selbstvertrauen auszufüllen. Davon ließen sich die anderen Musiker dann offensichtlich beim Auftritt auf der OBS-Bühne mitreißen – vielleicht auch deswegen, weil die Musiker in aufeinander abgestimmten Glitter-Kostümen antraten, und damit den hippiesken Geist ihrer Musik feierten. Zwar mussten aufgrund des Zeitlimits die Songs eher gestrafft als ausufernd präsentiert werden – so dass die bei „normalen Konzerten“ üblichen, längeren Impro-Passagen hintangestellt wurden – was aber dem Unterhaltungswert der Sache keinen Abbruch tat. Letztlich besetzten Suzan & Co. ihre musikalische Subnische mit Bravour. Als echte Musikfans ließen sie es sich dann auch nicht nehmen, den Rest des Festivals als Zuschauer (und im Austausch mit den Fans) mitzuerleben.
Die Sache mit den sogenannten „Headlinern“ ist beim OBS immer so eine Sache – denn eine echte Musiker-Hierarchie, bei der die Reihenfolge der Acts (wie bei anderen Festivals) nach kommerzieller Wertigkeit und Popularität festgelegt wird, gibt es hier nicht. Insofern erhalten beim OBS nicht nur angesagte Überflieger, sondern vor allen Dingen performerisch ansprechende Acts die Chance, die jeweiligen Konzerttage beschließen zu können. Wie zum Beispiel das inzwischen zum Quintett hochgestufte Amsterdamer Postpunk-Projekt Marathon. Die junge Band wurde dereinst von dem Frontmann Kay Koopmans, der Bassistin Nina Lizenga und dem Drummer Lennart van Hulst gegründet und in dieser Formation wurde auch das Debüt-Album „Fading Image“ – weitestgehend live im Studio – eingespielt. Obwohl die Songs schon auf der Scheibe ganz schön rocken, hat das dann aber wenig damit zu tun, was Marathon heutzutage auf der Bühne auszeichnet (was auch der eigentliche Grund ist, warum Rembert die Band gebucht hat). Denn inzwischen wird die Band durch die Gitarristin/Sängerin Sofie Ooteman und den Multiinstrumentalisten Victor Dijkstra verstärkt.
Das bedeutet, dass eine Marathon-Show klanglich sehr viel mehr zu bieten hat als das streng lineare Sounddesign der LP und die stilistische Aufsplittung in verschiedene New Wave- und Postpunk-Varianten. Eingedenk dessen, dass Nina Lizenga einen sechssaitigen Bass spielt (der insofern spieltechnisch wie eine Gitarre traktiert werden kann), erwarten die Zuschauer eine Soundwand von bis zu vier Gitarren, die dann auch oft alle gemeinsam bis zum Anschlag aufgedreht werden. Bei der Show auf der OBS-Bühne demonstrierte das Quintett dann einen fast schon beängstigenden Bewegungsdrang, der schon recht nahe an das heranreichte, was die zweifachen OBS-Veteranen The Holy für gewöhnlich zelebrieren – allerdings ohne deren destruktive Ader, denn das Bühneninventar blieb heile. Stattdessen gab es eine pausenlose, hyperaktive Jam-Session, bei der die dynamische Spannung, die die meisten Marathon-Tracks (wie z.B. der dystopische Opener „Out Of Depth“ oder der Schlüsseltrack „DH22“) auszeichnet, schlicht auf die ganze Show umgelegt wurde – und zwar weitestgehend im Grunge-Modus.
Die New Wave- und Shoegaze-Elemente, die sich Marathon bis heute zurechnen, traten dabei auf sympathische Weise in den Hintergrund. Nach unten schauen taten die Protagonisten schon des Öfteren – blickten dabei aber nicht auf ihre Schuhe, sondern eher auf ihre Instrumente (und zwar oft mit diebischer Freude grinsend). Dazu tanzten alle (bis auf Drummer Lennart) wie hyperaktive Derwische ohne Pause über die Bühne, so als gälte es, dem Bandnamen zumindest in bewegungstechnischer Hinsicht Ehre zu machen. Auch wenn sich Kay Koopmans alles Mühe gab, den manischen jungen Mann mit dystopischem Sendungsbewusstsein typgerecht zum Ausdruck zu bringen, war es vor allen Dingen der Spaß, den alle Beteiligten bei ihrem Tun hatten, der sich dann auch auf die Zuschauer übertrug. Ist ja irgendwann schon komisch, dass eher düstere, nihilistische, spannungsgeladene Musik auf der OBS-Bühne oft unerklärlich viel Spaß macht – zumindest wenn die Musiker diesen Eindruck vermitteln können – wie eben Marathon.
Für Marathon ging zudem mit dem Auftritt beim OBS ein langgehegter Traum in Erfüllung, der Koopmans dazu veranlasste, voller Begeisterung eine sympathisch ernst gemeinte – und dementsprechend beklatschte – Lobeshymne auf das Festival vom Stapel zu lassen. Kleine Randnotiz noch: Am Tag Zuvor hatten Shirley Holmes ja noch eingeräumt, mittlerweile ins Fitnessstudio gehen zu müssen, um eben fit für die Bühnenshow sein zu können. Auf die Frage, ob Marathon denn auch Sport machen, um sich vorzubereiten, meinte Kay nach der Show: „Nein – das, was wir auf der Bühne machen, ist unser Sport.“ Auch wenn man den Regen und Matsch mittlerweile dicke hatte, war diese Show dann doch ein grandioser – und für viele sicherlich überraschender – Höhepunkt des zweiten Festival-Tages.
Der 3. Teil folgt asap.