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Big Heart Music
Wir können an dieser Stelle ja eigentlich nicht jedes Mal schreiben, dass das Static Roots Festival – das dieses Jahr in die achte Runde ging – inzwischen zur maßgeblichen Institution in Sachen Americana & Artverwandtes geworden ist und erneut mit einem beeindruckenden Line-Up internationaler Acts aus Europa, den USA und Kanada aufwartet, das im nächsten Jahr dann kaum noch zu toppen sein dürfte – auch wenn das nach wie vor wieder zutreffend war.
Versuchen wir es also mal anders: Auch dieses Mal beglückte und beseelte der von Dietmar Leibecke mit Liebe und Bedacht zusammengestellte Mix aus so ziemlich allen Spielarten dessen, was gemeinhin als Americana bezeichnet wird (und vielem mehr) wieder auf eine Weise, die jede Kritik schlicht und ergreifend überflüssig macht und schon wieder auf das neue Jahr freuen lässt. Und außerdem geht es ja beim Static Roots Festival auch gar nicht darum, irgendetwas zu toppen, Musik-Acts zu bewerten oder musikalische Gegebenheiten zu analysieren. Das Ereignis ist nämlich allmählich schlicht zu einer kollektiven, spirituellen Ganzkörpererfahrung herangereift, die sich den üblichen Kriterien eines Festivalbesuches sowieso auf elegante, glückselig machende Weise entzieht.
Das hängt auch damit zusammen, dass das Angebot ständig ausgeweitet wird. Dietmar Leibecke hat zum Beispiel ein großes Herz für „seine“ Musik – und das brauchte mehr Raum zur Entfaltung: Der Spielort des Static Roots 2025 wechselte in eine größere Spielstätte gleich gegenüber der bisherigen – so dass 150 Fans mehr die Gelegenheit hatten, die begehrten Festival-Tickets zu erlangen. Neben der bereits etablierten „Tour de Ruhr“, bei der interessierte Fans vor Beginn des Musikprogrammes durch das Ruhrgebiet geführt werden und einem das Festival beschließenden „Singalong“ gab es in diesem Jahr beispielsweise noch einen von der Journalistin Christine Heise geleiteten Panel-Talk, in dem die Songwriterinnen Michèle Stodart, Pearl Charles und Hayley Reardon ihre Meinung zu der Position der Frauen im Musikbusiness darlegten und aus ihrem Leben berichteten. Und dann gab es für interessierte Musiker noch die Möglichkeit, in einem professionellen Studio Static Roots Sessions einzuspielen, die zur Zeit bearbeitet und später veröffentlicht werden. Auch neu war dann das literarische Angebot beim Merch-Stand, das von der Buchhandlung Proust unter der Leitung von Marion und Johanna Leibecke betreut wurde.
Zusätzlich dazu gab es für die zahlreichen internationalen Fans, die aus logistischen Gründen schon am Vortag aus Irland, dem UK oder gar Amerika anreisen, dieses Jahr erstmals eine Art Welcome-Party am Abend vor dem eigentlichen Festival. Im Kulturcafé Gdanska in der Nähe der Oberhausener Fußgängerzone spielten dann zwei Acts, die es (noch) nicht in das eigentliche Festival-Line-Up geschafft hatten. In dem Fall waren das die gut gelaunte Old-School-Honky-Tonk-Kapelle Dom Glynn & His Sunday Best und die Alt-Country-Band Savannah Gardner & The Recovering Good Girls.
Wie in dieser Szene üblich, ging es bei beiden Acts um klassische Fälle von Mistaken Identity: Dom Glynn stammt ursprünglich aus Birmingham – lebt aber heute in London und gibt sich wirklich keine Mühe zu leugnen, dass er sich lieber als Amerikaner ausgibt (inklusive Southern Snarl und Yee-Haw-Seligkeit im Abgang). Savannah Gardner ist zwar zumindest in Kalifornien geboren, residiert aber nun auch in London und macht auch dort Musik mit ihren Recovering Good Girls. Um eine authentische Repräsentation originär amerikanischer Spielarten brauchten sich die Fans also keine Sorge zu machen.
Don Glynn hat sich mit Haut und Haaren dem klassischen Honky-Tonk-Sound verschrieben – vermutlich, weil ihn die Geister von Hank Williams und Johnny Cash (dem er mit dem „Cocaine Blues“ auch musikalisch Tribut zollte) auf eine Weise bewegt haben, die Außenstehende nicht vollkommen verstehen können (wie es in seiner Bio heißt). Das geht dann bei einer authentischen Auslebung des Genres los und hört bei den gefakten Grand Ole Opry-Outfits der Musiker noch lange nicht auf. Dazwischen gibt es jede Menge High-Lonesome, Twang, Hollerin‘, Yodelin‘, Shout-Outs und Two-Steps zu bestaunen (auch wenn zum Tanzen vor der engen Bühne kein Platz blieb). Das machte Spaß und war auch sehr lustig.
Ein bisschen mussten sich sowohl Dom Glynn als auch Savannah-Gardner mit den Umständen arrangieren – denn die beiden Bands überschnitten sich personell teilweise. So spielt Drummerin Carmen Ruiz Vincente eigentlich in beiden Bands – entschied sich aber für diesen Event für Savannah Gardner. Beide Acts sind außerdem mit dem Produzenten Dale Davis miteinander verbandelt, der als Bassist und Musical Director für Amy Winehouse zu Bekanntheit gelangte. Normalerweise spielt Dom Glynn des Weiteren mit dem Fiedel-Virtuosen Dr. Duncan Menzies, der aber verhindert war, weswegen sich Glynn den jugendlichen Gitarristen Laurence Kingston mitgebracht hatte, der für eine ordentliche Portion Bakersfield-Twang sorgte und für den keine Stadiengeste zu groß und keine Pose zu übertrieben war. Das war dann großes Kino – und wie gesagt sehr lustig.
Ganz so lustig waren Savannah Gardner und ihre Mädels dann nicht (obwohl Drummerin Carmen die ganze Zeit grinste wie ein Honigkuchenpferd). Hier ging es ja auch nicht (alleine) um Honky Tonk, sondern eher um das klassische, teils konfessionelle Storyteller-Songwriting Savannahs. Das darf dann auch mal düstere Töne haben, wie z.B. in dem Song „Cowboys Of Carizo“ – oder auch der neuen Single „Born In A Wrong Generation“, die a) das musikalische Lebensmotto von Savannah Gardner ganz gut zu umreißen scheint und b) just am Tag der Show zu Ehren des Static Roots Festival veröffentlicht wurde. „Leider spiele ich morgen dann nicht auf dem Festival“, meinte Savannah, die mit ihren Mädels eigens für die Show angereist war, „vielleicht dann aber im nächsten Jahr.“ Aus Fan-Sicht kann man da nur sagen: Ja, bitte!
Das eigentliche Festival ging dann musikalisch am Folgetag um 16 Uhr so richtig los – nachdem die Teilnehmer der Tour De Ruhr eingetroffen waren, auf der David Ford mit Unterstützung von Michèle Stodart und Emma Holbrook als Überraschungsgast für musikalische Unterhaltung gesorgt hatte.
Eigentlich hätte der aus der Zeit gefallene Old-School-Country-Aficionado Todd Day Wait das Festival eröffnen sollen – der steckte zu dieser Zeit aber noch irgendwo zwischen Dünkirchen und Oberhausen im Stau, sodass sich Emlyn Holden mit seinem Outfit The Southern Fold bereit erklärte, diesen Job zu übernehmen. Das erwies sich als kluge Entscheidung, denn die Band aus Irland begeisterte dann mit ihrem stilistisch breit gefächerten Mix zwischen Alt-Folk, „Gothic“-Country und Roots-Rock (um die Eckpunkte abzustecken) nicht nur die irischen Fans, die die Band bereits aus dem Umfeld des Kilkenny Festivals kannten, sondern auch die Traditionalisten, die gerade wegen dieser Art von Musik zum Static Roots Festival kommen. Mit großer Begeisterung und Intensität – die neben Holden selbst insbesondere von der Sängerin Madeline Leclezio und dem Gitarristen Stephen Doohan (die beide erst vor kurzem zu dem Projekt gestoßen sind) mit jugendlicher Frische implementiert wurde – hatten The Southern Fold keine Mühe, das Publikum bei ihrem ersten Auftritt in Deutschland für sich einzunehmen. Nicht zuletzt auch deswegen, weil sie (neben jeder Menge eigener Songs zum Thema Tod und Religion) mit „Passenger Side“ von Wilco und „Effigy“ von CCR zwei klassische Americana-Teaser im Angebot hatten, die sie mit Verve zu neuem Leben erweckten.
Todd Day Wait war inzwischen mit seinen Musikern eingetroffen und berichtete von seiner Odyssee, die ihn von seiner Wahlheimat England mit der Fähre über den Kanal nach Belgien und die Baustellen auf den deutschen Autobahnen nach Oberhausen geführt hatte – und listete dabei alle Stationen auf, an denen er nichts zu essen bekommen hatte, weswegen er nun ein bisschen durch den Wind war. Das steckte er aber ganz gut weg: Nachdem er sein umfangreiches Merch-Material angegeben hatte, sich ein Schnittchen aus dem Backstage-Raum reingeschoben und seine Zopffrisur konsolidiert hatte, stürmte er umgehend auf die Bühne und präsentierte dann – ähnlich wie Dom Glynn am Tag zuvor – seine Version klassischer Honky-Tonk-Sounds. Allerdings hat Wait andere Vorbilder (etwa Jimmie Rogers, George Jones oder Willie Nelson (dem er stimmlich sehr ähnelt)) und präsentierte seine munteren Dittys weniger elektrisch, sondern eher im klassischen Prairie-Hometown-Sound – also leicht kitschig, aber auch besonders authentisch. Dass Wait jahrelang in den USA als Troubadour und Hobo durch die Bars getingelt ist und dabei auch als Busker tätig war, merkte man dem Vortrag dann ebenso an wie seine Hingabe an die ursprünglichen Formen des Country-Genres. In der größeren Halle war dann auch genügend Raum zum Tanzen, sodass dann die ersten Two Steps gewagt wurden.
Mit klassischer Country-Mucke hat die französische (!) Songwriterin Bobbie gar nicht so viel am Hut – auch wenn auf ihrer LP „The Sacred In The Ordinary“ sicherlich auch Country-Sounds zu finden sind. Aber eben auch Soul-, Blues-, Spiritual- und vor allen Dingen klassische Singer/Songwriter-Elemente – wie bei ihrer Namenscousine Bobbie Gentry. Diesem Genre könnte man Bobbie auch am ehesten zuordnen. Sie selbst zählt etwa Joni Mitchell und Dolly Parton (deren „Jolene“ sie auch in Oberhausen zum Besten gab) zu ihren Vorbildern, räumt aber auch ein, dass sie Courtney Marie Andrews kennt und mag – was nicht verwundert, denn Bobbie trägt ihr Material mit der gleichen gesanglichen Nachdringlichkeit und Intensität vor, wie ihre amerikanischen Kollegen. Das machte sich dann – bis hin zu einem vergleichbaren Vibrato im Abgang – besonders bei den balladeskeren Tracks wie „Nothing Ever Lasts“ und der abschließenden Ballade „Losing You“ bemerkbar. Dabei wurde die Show von Bobbies Begeisterung darüber getragen, dass diese zwar zum allerersten Mal in Deutschland aufspielte – dabei aber gleich aufgenommen wurde, wie eine alte Bekannte. Dabei erwies sich Bobbie als ungemein versierte und sympathische Performerin und mischte sich nach der Show auch unter die Fans – so als sei sie schon lange Teil der Static Roots Familie. Nicht zuletzt aufgrund der Klasse von Bobbies Songs – viele davon neu und unveröffentlicht – und der charmanten Art der Darbietung war das dann gleich auch ein erstes Highlight des Festivals.
Der britische Songwriter Peter Bruntnell war ja bereits auf dem Static Roots Festival 2017 zu Gast gewesen und hatte 2020 auch schon ein Hauskonzert bei Dietmar Leibecke gespielt, sodass es jetzt nicht wirklich überraschte, dass er nun erneut mit seiner Band gastierte, um sein aktuelles Album „Houdini And The Sucker Punch“ zu präsentieren. Obwohl auch Peter Bruntnell immer wieder gerne dem Americana-Genre zugewiesen wird (und auf dem Album ja auch Banjo und Pedal Steel-Gitarren zu hören sind), präsentierte sich der Meister beim Static Roots mit einem soliden No-Nonsense-Rock-Ansatz. Will meinen: Da gab es dann mehr Replacements-Referenzen als Cosmic American Music. Peter Bruntnell selbst schien dabei weniger gelöst als manche der anderen Performer und präsentierte sein Material mit einer gewissen ernsthaften Verbissenheit. Dagegen war aber nichts einzuwenden, denn das verlieh seinem Vortrag eine Art trotziger, kämpferischer Note – was bei rockorientierter Musik ja durchaus von Vorteil sein kann.
Der abschließende Act des ersten Tages – das kanadische Kleinorchester Bywater Call – machte seinem Namen alle Ehre (denn Bywater ist keineswegs ein Stadtteil des heimatlichen Toronto, sondern ein musikalisch prägender Vorort von New Orleans) und überzeugte auch designierte Zweifler mit ihrer mitreißenden Performance, Gospel- und Spiritual-Einlagen und einem fiebrigen Mix aus Southern Swing, Memphis Soul, Delta Blues, Funk-Elementen und erstaunlich viel Roots-Rock. Meghan Parnell – die hyperaktive Frontfrau der Band – sicherte sich im Vorfeld der Show von Dietmar die Zusage, dass die Band die zugesagten 70 Minuten spielen durfte, obwohl sich inzwischen eine viertelstündige Verschiebung im Zeitplan ergeben hatte, und konnte dann sogar Jeff Robson (der die Band gegen Ende der Show in den behördlich angeordneten Curfew drängen wollte) überzeugen, sie noch mal für eine Zugabe auf die Bühne zu lassen, wo dann eine zehnminütige Version von The Band’s „The Weight“ in einer abenteuerlich rockigen Version abgefeiert wurde.
Performerisch outete sich Meghan Parnell als klassische Rampensau und ließ keine Gelegenheit aus, das frenetisch jubilierende (und tanzende) Publikum – oft am Bühnenrand animierend – in die Performance einzubinden. Der performerische Druck kam dann aber auch von Gitarrist Dave Barnes, der zusammen mit Meghan auch für das Songwriting zuständig ist und die Performance mit einer gewissen Coolness von der Bühnenseite aus steuerte. Die Bläser Julian Nalli und Stephen Dyte sorgten dann – wie auch Keyboarder John Kervin (der als letzter zu der Band gestoßen war) – für eine ordentliche Portion Stax-Feeling – und damit für Klangfarben, die auch beim Static Roots Festival nicht so oft zu hören sind – und die dafür sorgten, dass die Sache am Ende in eine einzige große Party ausartete. Ein fulminanterer Abschluss des ersten „richtigen“ Festival-Tages hätte man sich denn auch kaum ausdenken können.
Wer sich hier bereits gefragt haben mochte, was den doch recht unterschiedlichen Acts gemein war – und warum Dietmar Leibecke diese für das Static Roots Festival gebucht haben könnte – dem sei gesagt, dass das nicht etwa stilistische oder genrespezifische Ähnlichkeiten waren, sondern der Umstand, dass man wirklich allen Beteiligten irgendwie anhören und anmerken konnte, warum sie ihre Musik machen (müssen). Und das ist dann das Wichtigste.