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That was epic!
Eigentlich wollte Sherri Anne Nyberg (a.k.a. Sister Speak) die Politik bei der Release-Show zu ihrer aktuellen EP „Coming Home“ außen vorlassen. Nun ist das aber so, dass die zurzeit in Montreal lebende Kanadierin, wenn sie auf Tour ins Nachbarland reist, natürlich schon aufpassen muss, was sich das Regime in den USA als nächstes ausdenken könnte, wenn es darum geht, Nachbarstaaten einzugemeinden oder Ausländer auszuladen. Und da passte es dann ganz gut, dass Sherris Gitarrist – der aus Nashville stammende Army-Veteran und Blues-Virtuose Oscar Jesus Bugarin – mit seiner Meinung zur Situation nicht zurückhalten wollte und auf dem Rücken seiner Gitarre „Fuck ICE“ in großen Lettern geschrieben hatte – was das Publikum dann aber erst sehen konnte, als er zu einem Solo aus dem Halbschatten heraustrat und dieses dann (wie weiland Jimi Hendrix) seine Gitarre über Kopf hinter dem Rücken spielte. „Das war episch“, musste da sogar Sherri attestieren.
Das war es dann aber tatsächlich mit der Politik. Ansonsten ging es darum, die Songs der an diesem Tag offiziell veröffentlichten EP (die wir gerade zur Platte der Woche gekürt hatten) im Rahmen eines Showcase-Events zu zelebrieren, der dann die ganze Karriere der ursprünglich von Vancouver Island stammenden Songwriterin umfasste. Dass sich Sherri für dieses Ereignis das wenige Meter vom legendären Blue Note Club gelegene, altehrwürdige Groove im New Yorker Village ausgesucht hatte, hing damit zusammen, dass Sherri eine Zeitlang in NYC gelebt hatte und dort auch eine Fan-Gemeinde hat. Nachdem das gesagt ist, muss noch hinzu gefügt werden, dass Sherri aber nicht nur ein Herz für den Big Apple hat (was sie etwa mit dem Song „New York Sunrise“ zum Ausdruck brachte), sondern für alle Orte, an denen sie eine gewisse Zeit verbracht hat – beispielsweise auch Chicago (was dann durch den Song „Chicago Dream“ markiert wird) – aber auch Deutschland (namentlich Berlin, Norderstedt und Köln) – und ihre Ansagen dann mit entsprechenden Anekdoten anreichert.
Musikalisch gab es – wie gesagt – einen kunterbunten Blick auf die gesamte musikalische Laufbahn des Projektes Sister Speak; insbesondere ihre 2022er LP „Love For All“ – wobei die Songs der neuen EP „Coming Home“ dann in eine Art Akustik-Show eingepasst waren. Denn die besagte EP hatte Sherri auf Wunsch ihrer Fans erstmals auch in einem Akustik-Setting ausgeführt. Darunter befand sich dann auch die französische Version des Titeltracks der LP „L’amour toujours“ – denn Sherri ist gerade dabei, Französisch zu lernen. Freilich: Das Akustik-Setting ist dann nur eine der Stilistiken, die Sherri anzubieten hat. Ansonsten wurden nämlich so ziemlich alle Spielarten, die sich in der populären Musik gut machen, im vollen Band-Arrangement abgegrast.
Sicherlich ging es da auch um klassisches Songwriter-Material wie den Opener „Mirror“ – dann gab es aber auch eher ungewohnte Zielrichtungen zu bestaunen, wie z.B. die Disco-Grooves von „Dance To The Rhythm“, den authentischen Reggae von „Run Away“, das mit den Hip-Hop-Kollegen The Brothers Burns geschriebene, als klassischer Rocksong dargebotene „Lose Control“ (bei dem der anwesende Burns 1 daselbst dann auch gleich den Rap-Part beisteuerte) und nicht zu vergessen den reinrassigen Blues „Crush On You“ (der Track, bei dem Oskar dann seine Reverse-Guitar-Einlage beisteuerte).
Zwischen den Tracks informierte Sherri dann über die Backstories einzelner Nummern: „Will It Ever“ etwa kommt in dem John Travolta-Film „Cash Out“ zum Tragen, der ältere Track „One Good Friend“ erzählt die Geschichte eines Obdachlosen und „Mirror“ ist ein Song über das Vergeben. Als besonderen Bonus coverten Sister Speak dann noch Ed Sheerans „Bloodstream“ – wobei das aus musikalischer Sicht sicherlich nicht nötig gewesen wäre, genug eigene Songs haben Sister Speak ja schließlich selber im Gepäck. Mit 16 Tracks war die Setlist für einen „Early Gig“ am frühen Abend dann auch gut gefüllt. Der Umstand, dass im Groove während der Shows Essen serviert wird (eine NY-typische Unsitte), ließ die Fans nicht davon abhalten, sich eifrig ins Geschehen einzubringen, mitzusingen, zu klatschen und eine gute Zeit zu haben – wie auch die bestens motivierte Band auf der Bühne.
In Deutschland ist Sister Speak ja regelmäßig zu Besuch und sie versprach dann auch, so bald wie möglich wieder zurückzukommen. Ob es dann allerdings organisatorisch möglich sein wird, eine ganze Band mitzubringen, steht dabei in den Sternen. Wollen wir die Daumen drücken!