Es war ja nur eine Frage der Zeit, bis die kanadische Songwriterin aus der Provinzhauptstadt Regina, Saskatchewan, ein Trennungsalbum vorlegen würde, denn seit die Gute 2019 ihre erste EP vorlegte, war klar, dass Marissa zur Spezies der konfessionellen Liedermacherinnen gehört, die über ihre Kunst ihr Leben kommentieren, begleiten und verarbeiten. Dass nun bereits die zweite LP mit einer Sammlung bittersüßer, eher melancholischer Folk- und Dreampop-Songs behandeln sollte, ist der Unvorhersehbarkeit des Lebens geschuldet. Mag sein, dass das für Marissa Burwell selbst jetzt vielleicht nicht so angenehm ist – aber den so entstandenen Songs wird auf diese Weise eine emotionale Tiefe zuteil, die den zuweilen recht unbeschwerten Songs der Anfangstage noch abging.
Es geht aber nicht nur um das Schmachten nach Verflossenem, die Folgen von Therapiesitzungen (worauf sich auch der Titel des Albums bezieht), das Trauern um verpasste Chancen, Enttäuschungen, geplatzte Träume oder den Blick zurück im Zorn. Das mit der Kollegin Cassie Dasilva geschriebene „Minneapolis“ ist etwa ein verträumter Blick auf ein Mädels-Night-Out in Minneapolis, während „Tight Grip“ ein selbstkritischer Blick Marissas auf ihre Fähigkeiten und ihre Position als Musikerin darstellt.
Für die Songwriterin Marissa Burwell bedeutete dieses Album auch einen kreativen Schritt nach vorne, denn während sie bislang ihre Lyrics stets im Alleingang fabriziert hatte, tat sie sich für dieses Album mit den Songwriter-Kolleginnen Cassie Dasilva und Sam Lynch zusammen – um das eigene songwriterische Spektrum auszuweiten und sich in der Zusammenarbeit mit weiblichen Künstlerinnen weiter öffnen und verwirklichen zu können.
Auch in musikalischer Hinsicht entwickelte sich Marissa Burwell weiter – denn während sie sich zunächst noch als Repräsentantin der kanadischen Americana-Richtung sah, hat sie – zusammen mit ihren Musikern – nach und nach eine recht eigenständige Indie-Dreampop-Subnische besetzt. Mit „Before The Hour’s Up“ entfernt sich Marissa Burwell heutzutage somit immer weiter von den folkigen Roots und driftet mit Songs wie „Everything“, „Minneapolis“ oder „Reality“ immer mehr in Richtung der angesagten Indie-Pop-Queens unserer Tage – wobei der Gedanke, Whisperfolk-Gesang mit Folk- und Dreampop-Elementen zu kombinieren, ja sicherlich nicht ganz neu – aber dank des überzeugenden Songmaterials auch in diesem Falle enorm effektiv ist.
„Before The Hour’s Up“ von Marissa Burwell erscheint auf DevilDuck.