Platte der Woche KW 36/2025
Für sein neues Album überlegte sich Altmeister David Byrne, seine eigene Motivation als Musiker zu hinterfragen und kam dabei auf die Idee, das Hinterfragen an sich zum Thema seiner neuen Songsammlung zu machen. Angeregt durch den Lapsus einer Transkriptions-App (der Titel des Albums „Who Is The Sky?“ ist eigentlich ein falsch verstandenes „Who is this guy?“) beschäftigte er sich aus ungewöhnlichen Perspektiven mit Fragen, die sich als Individuum in einer von Reizen überfluteten, immer chaotischer werdenden Welt zwar nicht unbedingt aufdrängen, aber dann doch interessante Aspekte aufzeigen.
So schildert er etwa in dem Song „Moisturizing Thing“ die Probleme, die sich ergeben, wenn man durch eine Feuchtigkeitscreme zwar äußerlich jünger erscheint, aber ansonsten ganz der Alte bleibt. In „My Apartment Is My Friend“ singt er ein Loblied auf seine Wohnung, die ihm – etwa als Alternative zu rechten sozialen Kontakten – zum lieben Freund geworden ist. In dem Song „A Door Called No“ scheitert er an einer Tür, die ihm den Eintritt verwehrt, bevor die Kraft der Liebe und ein Kuss sich als Türöffner erweisen. In dem vielleicht charmantesten Song des Albums bewundert er dann die Fähigkeit seiner Freundin, ihm die Welt zu erklären – und verkehrt damit das Phänomen des „Mansplaining“ auf humorvolle Weise. Und in dem nun auch als Single ausgekoppelten Track „The Avant Garde“ bringt er seine Affinität für „kantige und unkonventionelle Arbeiten“ zum Ausdruck – auch wenn die vielleicht gar nicht gut sind.
Dieser Ansatz führt dazu, dass Byrne als Erzähler wie ein Kind mit staunenden Augen durch die Welt geht und alles neugierig betrachtet – und auf charmant naive Weise auch hinterfragt (was für einen Songwriter, der oft aufgrund seines intellektuellen Appeals geschätzt wird, ein besonderes Lob darstellt). Dabei hatte er offensichtlich auch jede Menge Spaß an der Absurdität des Lebens – was der Song „Everybody Laughs“ denn auch thematisiert. Letztlich führt das dazu, dass das ganze Projekt eine unschuldig positive Sichtweise demonstriert, die sich dann auch auf der musikalischen Seite niederschlägt. Hierfür tat sich Byrne mit dem 15-köpfigen Ghost Train Orchestra zusammen, das er bei einer Tribute-Show für den Kult-Avantgardisten entdeckt hatte und dessen ungewöhnliche Besetzung (neben Streichern und Bläsern ist eine komplette Band enthalten) ihn faszinierte. Ebenfalls mit dabei ist der englische Songwriter und Produzent Kid Harpoon (den Byrne auf einer Party kennenlernte und für die Produktion des Albums engagierte) und Hayley Williams von Paramore und St. Vincent als Gast-Vokalistinnen sowie Tom Skinner, der Drummer von The Smile.
Byrne sagt, dass die intimen – und zuweilen auch skurrilen – Orchesterarrangements das waren, von dem er glaubte, dass sie die Emotionen der Songs am besten zum Vorschein bringen könnten – und hat damit keineswegs Unrecht, denn in Kombination mit den für Byrnes Verhältnisse geradlinig dargebotenen, verdrehten Alltagsgeschichten und den eingängigen Melodien entstand so Byrnes poppigstes, originellstes, zugänglichstes, amüsantestes – und insbesondere anrührendste – Album seit Jahren.
„Who Is The Sky?“ von David Byrne erscheint auf Matador Records/Beggars Group/Indigo.