Dass das Projekt Laura Lee & The Jettes – quasi über Nacht – vom Notnagel und Side-Project zum Haupt-Betätigungsfeld für Laura Lee werden musste, als das Projekt Gurr 2020 auf Eis gelegt wurde, wurde spätestens dann deutlich, als sich Laura Lee in der Pandemie-Phase entschloss Nägel mit Köpfen zu machen und aus dem ursprünglichen Duo-Ansatz dann eine Band zu machen, zu der seither auch Gitarrist Mark Lewis zählt und mit der sie dann nach diversen Inpromptu-Live-Auftritten 2021 auch das Debüt-Album „Wasteland“ in die Welt setzte. Schon auf diesem von Max Rieger produzierten Album wurde schnell deutlich, dass sich Laura Lee & The Jettes sich weder stilistisch noch in Bezug auf die Mechanismen des Rock-Biz festlegen wollten um einfach das zu machen zu können, was sie für richtig hielten.
Auch wenn es nun gewisse Parallelen zu dem ersten Album gibt, schlagen Laura Lee & Co. dann noch mal neue Kapitel in Sachen Wagemut und Empowerment auf. So setzte Laura Lee sich beispielsweise wieder hinter das Drumkit und erstmals hinter die Regler, überließ aber dem Mix Collin Depuis und Rhys Edwards, beschäftigte ihren ehemaligen Labelchef Grant Box als Duett-Partner, steuerte mit „Zu viel“ auch wieder einen Song auf Deutsch bei und probierte sowohl musikalisch wie auch inhaltlich einfach neue Sachen aus.
So bedankt sie sich in dem Song „Unsolicited Advice“ (der musikalisch mit basslastiger Produktion und Sprechgesang in Richtung Sleaford Mods unterwegs ist) auf humorvolle Weise für die unaufgeforderten Ratschläge, die ihr wohl insbesondere von Männern in Bezug auf ihre Rolle als junge Mutter entgegengebracht werden – und macht diesen Songtitel dann auch gleich zum Namen des eigenen Labels. In „Zu viel“ beklagt sie sich über die eigenen Ambitionen und Ansprüche, findet in „Ordinary People“ gar Silberstreife am Horizont und macht sich in „Vandalize“ über die Balance von bewegten Beziehungen Gedanken.
Musikalisch hat das neue Album alles zu bieten, was auch auf dem Debüt schon zu finden war – insbesondere die verschiedenen Aspekte des Indie-Rock, mit dem Laura Lee selber aufgewachsen ist. Songwriterisch und kompositorisch indes werden neue Maßstäbe gesetzt. Indem Laura Lee etwa nach eigener Aussage das Songwriting ganz stark vom Rhythmus bzw. Schlagzeug her dachte, kommen in Songs wie „Body Options“ oder „Ordinary People“ unerbittliche Krautrock-Einflüsse zum Tragen. Die Idee – jedenfalls partiell – in Songs wie dem Opener „Grand Total Of Nothing“ oder eben „Unsolicited Advice“ mit Sprechgesängen (deutlich jenseits aller Hip-Hop-Ansätze) zu agieren, verleiht der Angelegenheit eine zuweilen geradezu hypnotische Note. Auf der anderen Seite sind dann ambitioniert komponierte Power-Pop Rausschmeißer wie der Titeltrack, Indie-Rocker wie „Zu viel“ oder Glam-Rocker wie „So Cool“ zu finden. Das abschließende „Heartbreak“ kommt gar im Gewand eines aufwändig arrangierten und metikulös strukturierten Retro-Pop-Songs mit 60s Flair daher.
Es ist nun nicht gut möglich, das Album „Tough Love Paradigm“ irgendeiner bestimmten musikalischen Sparte zuzusortieren – aber gerade die Vielschichtigkeit und der unberechenbare Stilmix machen ja den Reiz der Scheibe aus. Mag sein, dass diese dann auf den ersten Blick etwas sperriger und eklektischer erscheint als das Debüt, dafür bietet sie aber auf lange Sicht mehr Möglichkeiten, die vielen Details zu entdecken und wertzuschätzen, die sich zwischen den Gitarrenriffs und Grooves finden. Das Wichtigste ist aber, dass Laura Lee ihre Lebensumstände (etwa als junge Mutter) und Erfahrungen (beispielsweise jene mit Theaterproduktionen) dazu genutzt hat, die Entwicklung der Band in musikalischer und inhaltlicher Hinsicht ebenso authentisch wie wagemutig voranzutreiben.
„Tough Love Paradigm“ von Laura Lee & The Jettes erscheint auf Unsolicited Advice.